Forum für Philosophie und Politik
Von Andrea Günter
Mein Sohn, gerade mal 14 Jahre, regt sich schon lange über Erdogan, Trump oder den Brexitaustritt auf. Seine Reaktion ist altersentsprechend eher noch kindlich emotional. Er reagiert auf die Energien und Worte der Redner und Rednerinnen, die bei ihm ankommen. Die Welt und die Politik zu verfolgen, interessiert ihn außerordentlich, er will Nachrichten und Dokumentationen sehen, fragt nach, schaut in die Zeitung, bewundert politische Karikaturen, auch wenn ihm immer wieder die Sprache und Kriterien dafür fehlen, um die Gründe für seine emotionale Reaktion in Worte zu fassen.
Beim Abendessen am 12. März 2017 hatten wir zufällig eine ältere Schulfreundin zu Besuch. Sie erzählte, dass ihre Klasse am nächsten Montag eine Geschichtsepoche beginne. Wir versuchten herauszufinden, welches Thema das im 10. Schuljahr sein könnte. Nachdem ich nachgefragt hatte, was sie schon als Themen behandelt hatten, nämlich den 1. und 2. Weltkrieg zusammen mit dem Nationalsozialismus, meinte ich, dass dann wohl die Gründung der Bundesrepublik auf dem Plan stehen könnte. Ich fing an, ihre Ablehnung von Erdogan und Trump aufzugreifen, um beiden verständlich zu machen, worin die Gewaltenteilung einer Demokratie besteht und wie wichtig diese ist. Sie hörten aufmerksam zu.
Im Teaser zur Sendung TitelThesenTemperamente am selben Abend hörte ich nun, dass hier über „Die Schönheit der Demokratie“ gesprochen werden sollte, da es heute ja so wichtig wäre, über Demokratie Bescheid zu wissen, erklärte der Moderator Max Moor. Ausführlich über Gewaltenteilung zu informieren würde einen grundlegenden Aspekt dieser Schönheit aufgreifen: Legislative, Judikative und Exekutive immer wieder ins richtige, also schöne Verhältnis zu setzen, ist eine fortwährende Aufgabe. Jedoch wurde auf diese und ähnliche Fragestellungen nur kurz im Abspann hingewiesen – mit einem bärtiger Mann, der ein Plakat „Gewaltenteilung“ hochhielt. Der Beitrag ging vorwiegend um den Einzelnen, den Staat, die Beteiligung, die Mehrheit und die Minderheit.
Über die Schönheit der Demokratie sprachen wieder einmal nur Männer. So sehr ich Norbert Lammert und Andreas Voßkuhle als erste deutsche Repräsentanten der Demokratie schätze ebenso wie Julian Nida-Rümelin als Philosophenkollegen, aber ein solches Rednertriumvirat aufbauen, und nur dieses? Der Bundestagspräsident, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und ein bekannter Philosoph, der schon einmal ein Regierungsamt bekleidete, verkünden ihr Verständnis von Demokratie Und das bekommt dann die schöne Überschrift „Schönheit“ verpasst.
Die philosophische Klassifikation „schön“ ist – metaphysikkritisch und gerechtigkeitstheoretisch gedacht – durchaus angebracht. Wie absurd es dennoch werden kann, einen Beitrag über Demokratie mit Schönheit zu titulieren, wird durch den zweiten Beitrag der TTT-Sendung deutlich. Der Beitrag „Die Schönheit der Demokratie“ wurde nämlich von „Frauenschicksale in Afghanistan“ flankiert.
Die Wortwahl „Schicksal“ bringt es auf den Punkt: Nachdem Männer der Schönheit der Demokratie ein Loblied dargebracht haben, werden Frauen nach wie vor als Opfer von Demokratiefeinden (in Afghanistan: als Opfer der Taliban) oder, und das ist neu, als Heldinnen, die diesen Feinde bekämpfen, dargestellt.
Als deutsche Frau, die in geschützten und wohlhabenden Verhältnissen lebt, bewundere ich die afghanischen Heldinnen. Den diesem System ausgelieferten Frauen mache ich keinen Opfer-Vorwurf. Als mir immer mehr die Geschlechterkonstellation der Sendung bewusst wurde, begann ich zu lachen – so wie die thrakische Magd, allerdings aus genau den gegenteiligen Gründen.
Politisch-historisch: Welcher feministisch sensibilisierten Bürgerin stieß in den letzten Jahren nicht irgendwann die Frauen-Opfer-Mädchen-können-nicht-in-die-Schule-gehen-Legitimation für den deutschen, sogar von den Grünen gerechtfertigten Kriegseinsatz in Afghanistan sauer auf? Auch heute bleibt es äußert ambivalent, den Sinn dieses Einsatzes auf diese Weise zu rechtfertigen. Nun sollen wir das Demokratische besser verstehen, indem wir weiterhin Männer diese als Beteiligungsfrage definieren lassen und als Frauenbeteiligung am Demokratischen den Hype einer vermeintlichen Frauen-Opfer-Heldinnen-Polarität in Afghanistan vorgeführt bekommen?
Frauen in Afghanistan müssen dafür außerdem als Helden – was in der Berichterstattung auch noch besonders hervorgehoben wird: für afghanische Verhältnisse als Agentinnen in Männerrollen – stilisiert werden, damit über sie nicht nur mehr als Opfer berichtet werden muss. Ist aber genau dieses Heldentum nicht ein Zeichen für das Versagen dieser westlichen – männlichen – Kriegseinsätze? Wie gut, dass es diese Heldinnen gibt, dann müssen Männer auch nicht mehr vom Kampf und Krieg für Demokratie und Gerechtigkeit, sondern bloß noch von deren Schönheit sprechen. Und darüber hinaus: wie schön und frei die gezeigten Heldinnen sind, werbespotreif schön und frei…
Was mich an dieser sich als so up-to-date gerierenden TTT-Sendung empört, ist, dass da wohl noch keiner und keine etwas von den Grundlagen feministischen Denkens, sprich von Dualismuskritik, von Medienkritik und Geschlechterbilderkritik gehört zu haben scheint. Dabei lässt sich diese Kritik an der Geschlechterkonstruktion dieser Sendung wirklich auf einen einfachen Nenner bringen; einen, den wirklich jeder verstehen kann und verstanden haben müsste, will er oder sie sich zur intellektuellen Avantgarde zählen: Männer definieren, sie tun dies auch dann, wenn sie die Demokratie nicht mehr schulbuchmäßig definieren können, dann klassifizieren sie diese halt als „schön“. Und die Frauen? Sie repräsentieren nach wie vor. Und zwar nunmehr das, was aus dem männlichen Missionieren der Demokratie in der Welt für die Beteiligten folgt: das „Frauenschicksal“.
Wie kann man auf ein solches Geschlechterschema zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch hereinfallen! Die philosophische Deckerinnerung (Sigmund Freud) lässt sich aber leicht enttarnen. Männer definieren heute nicht mehr, weil das Definieren grundsätzlich nicht mehr so einfach ist. Dann huldigen sie der Schönheit, zwar nicht länger der der Frauen, nein ganz progressiv der der Demokratie. Als Krieger ist mann dann nicht mehr sichtbar, das, was der Krieg an Leid erzeugt, tragen Frauen als Schicksal.
Was eine Alternative zum SchönheitsSchicksalsDualismus darstellen könnte: die systematische Dekonstruktion (im strengen Sinne von Heidegger, Derrida, Muraro und Mouffe) der Demokratie aus dezidierter feministischer Perspektive, um das Demokratische immer besser zu verstehen. Dafür aber müssten Demokratietheoretikerinnen zu Sprache kommen. Dürfen sie das? Dürfen sie das nur, wenn sie schön sind? Und zwar nicht unbedingt, was ihr Äußeres betrifft, sondern vor allem, was die Schönheit ihrer Ideen über die Demokratie betrifft? Dürfen sie also Hässliches äußern, etwas, was die Harmonie in der Eigenvergewisserung über das Demokratische stört, um das Demokratische geradewegs weiterzuentwickeln?
Sie müssen! Dass sie das dürfen und sogar gehört werden, das wäre schön. Endlich.
ein sehr ‘schöner’ Beitrag, der deutlich macht, wie wichtig es ist, die Sicht auf die Welt und das Geschehen um uns herum aus feministischer Perspektive immer wieder ins Bewusstsein zu rücken…!
Zu wahr, um schön zu sein. Toller Artikel.
Ob Frau Merkel sich mit dem amtierenden US-Präsidenten über die ‘Schönheit der Demokratie’ ausgetauscht hat wissen wir nicht. Bekannt ist lediglich, dass beide für die gemeinsamen
sog. demokratischen Werte streiten wollen.
http://www.rationalgalerie.de/home/halleluja-trump-fuer-nato.html
“….die Demokratie funktioniert nur, wenn genug Menschen daran glauben.”
Lesens- bzw. hörenswert:
http://www.deutschlandfunk.de/historiker-philipp-blom-zeit-fuer-eine-neue-europaeische.694.de.html?dram:article_id=381698
Der Frauenanteil in den Parlamenten ist seit einigen Jahren wieder rückläufig. Das hat die alten, bekannten Gründe: Beruf, Hausarbeit, Sorgearbeit, Kinder geringeres Einkommen und daher weniger Kraft, Zeit und Geld für eine politische Arbeit nebenher.
Es hat aber auch neue Gründe: der in den Medien subtil geschürte Hass gegen erfolgreiche Frauen, die elektronischen Hassangriffe auf Feministinnen oder auch nur Genderwissenschaflerinnen in den neuen Medien und sozialen Netzwerken, der politisch geschürte Frauenhass von Rechts…
Und neue alte Gründe: Die Direktkandidatin der Feministischen Partei DIE FRAUEN in Berlin-Steglitz hat schon zweimal eine Geheimhaltung ihrer Adresse beantragt. Vorgelegt hat sie Hasspamphlete, die bei der Feministischen Partei DIE FRAUEN in Berlin eingingen: “Ihr Feministinnen sollt alle in den Ofen”. Das wurde bisher zwei Mal abgelehnt. Mit der Begründung, dass seien keine Drohungen gegen sie persönlich.
Das Frauen, insbesondere Feministinnen viel gefährdeter sind, wenn sie sich öffentlich exponieren, ist schon gar kein kein Grund für Überlegungen zur öffentlichen Gewaltprävention und zum Schutz von Kandidatinnen.
Demokratie ist schön. Für Männer. Von den schlichten Anfängen an der Basis bis hin zur Spitze.
Nicht wenige Frauen engagieren sich außerparlamentarisch und
leisten Arbeit an der Basis, auf der so etwas wie Demokratie
erst wachsen kann:
https://buechel
atombombenfrei.jimdo.com/gruppen/marion-k%C3%BCpker/
Könnte sein, liebe Andrea Günter, dass der Sohn sich für die Anstalt-Sendung interessiert, in der gezeigt wird, wie Demokratie in der EU funktioniert.
https://www.youtube.com/watch?v=PB1tQHofs_Y
Und das *Zentrums für politische Schönheit*
zeigt mit seinen provozierenden Aktionen,
was notwendig ist, damit die Demokratie schön zum Leuchten
kommen kann. http://www.politicalbeauty.de/index.html
So ärgerlich die TTT-Sendung über die Schönheit der Demokratie auch sein mag, folgender TTT-Beitrag zeugt von Vielfalt und fem. Engagement.
http://www.ardmediathek.de/tv/ttt-titel-thesen-temperamente/Poetisch-politisch-feministisch-Die-/Das-Erste/Video?bcastId=431902&documentId=38212412