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Sich “Die Leichtigkeit” erhalten

Von Jutta Pivecka

Die politischen Entwicklungen der letzten Wochen und Monate geben scheinbar wenig Anlass zu Hoffnung auf ein besseres Leben für alle: die ersten Wochen des US-Präsidenten Trump im Amt mit menschenverachtenden Dekreten (zu Frauengesundheit, Einreisestopp für Migrant_innen aus mehreren muslimischen Ländern, Deregulierung des Finanzsektors etc. pp.), die guten Wahlaussichten menschenfeindlicher Rechtsextremer in den Niederlanden und Frankreich, komplementär dazu die schleichende nationalistisch-islamistische Radikalisierung in der Türkei, die hohe Frequenz, mit der Verschwörungstheorien und Hasskommentare in den sozialen Netzwerken Verbreitung finden – all das empört und verstört, erschöpft und ängstigt.

Dagegen stehen die Millionen von Frauen, die mit den Märschen in Washington und überall in der Welt ihren Freiheitswillen bekundet haben, Anwältinnen, die das Recht gegen präsidiale Dekrete verteidigen (in den US, in der Türkei und vielen anderen Ländern), Journalistinnen, die recherchieren, statt Lügen nachschreiben, all die vielen, die weiterhin in ihren Gemeinden, in ihren Ämtern und Berufen, an den Schulen und Universitäten Geflüchteten helfen und Integration ermöglichen, die am Arbeitsplatz, in den Familien, auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken dem Hass und der Verachtung entgegentreten, die für Vielfalt und Gemeinsamkeit einstehen.

Es sieht nicht so aus, als werde dieser Kampf in den kommenden Monaten und Jahren leichter. Deshalb müssen wir alle schonend mit unseren Ressourcen umgehen, uns gegenseitig stärken und darauf achten, aus unseren Quellen schöpfen. Eine solche Quelle war für mich zuletzt die Graphic novel „Die Leichtigkeit“ von Catherine Meurisse. Die französische Zeichnerin, eine der Überlebenden des Massakers an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, erzählt in Worten und Bildern von ihrem Versuch, nach dem Attentat die Leichtigkeit des Lebens wiederzufinden. Meurisse´ Comic enthält, was wir alle in diesen Tagen brauchen können: die Fähigkeit zu Trauer und Wut, Aufmerksamkeit und Selbstreflexion, Humor und Lachen (auch über sich selbst). Vor allem aber: Schönheit. Meurisse endet mit einem Bild am Strand: „Ich habe fest vor, wach zu bleiben, schon auf das kleinste Anzeichen von Schönheit zu achten. Jene Schönheit, die mich rettet, indem sie mir Leichtigkeit zurückgibt.“

Leseempfehlung: Catherine Meurisse: Die Leichtigkeit, Carlsen Verlag (Hardcover, € 19,99)

Außerdem, um die Hoffnung am Horizont zu halten, weil eben nicht alles schlechter wird, sondern – on the long run – doch besser:

Our world in data. The world as 100 people over the last two centuries

Autorin: Jutta Pivecka
Eingestellt am: 05.02.2017

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    Es ist immer wieder schön und ermutigend zu sehen, wie Menschen, die dem Tod in die Augen gesehen haben, die Kostbarkeit des Lebens auf eine ganz besondere Weise entdecken. Ich lasse mich immer wieder gerne von dieser melancholischen Freude anstecken.

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Auch bei uns in Deutschland gibt es nationalistisch gesinnte Gruppen, deren Anhang Hasskommentare und Fakes verbreiten – und es stehen wichtige Wahlen an. Wieso hofften wir, dass die Folgen des zerstörischerischen Patriarchats samt entfesseltem Kapitalismus uns verschonen würden? Ob Leichtigkeit und Schönheit reichen, unsere und die Würde anderer zu bewahren?

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Wenn wir etwas Grossartiges erleben,auch heutzutage,müssen wir gleichzeitig die Vorgeschichte ausfindig machen,kennen,und innerhalb dem Gelungenen,die Vorgeschichte, “Pioniertaten” im Ganzen platzieren und erwähnen.Damit unsere Denkräume sich nicht verkleinern und verkürzen.Denn neue Machtsituationen können sich neu etablieren,auch ganz unerwartet.Achtsam sein auf den echten Austausch von beide Seiten.Dazu gehört auch unmittelbar im Geschehen,das Soziale,bei Gebrechlichen die Hilfeleistung.Ohne den andern in seinem/ihrem “Roten-Lebens-Faden”,was Leben erhält,zu bedrängen.

  • Juliane Brumberg sagt:

    Ich denke auch, dass wir Leichtigkeit und Zuversicht brauchen – und dass es auch positive Anzeichen gibt, dass wir sie haben können. Das Erschrecken über das Ergebnis der Präsidentenwahl in Amerika und das europaweite Erstarken rechter Gruppierungen hat bei vielen älteren und jüngeren Menschen zu neuem politischen Interesse geführt. Und die Bereitschaft, politisch mitzumischen wächst. So las ich in unserer (fränkischen) Regionalzeitung heute von verstärkten Parteieintritten bei SPD, Grünen, Liberalen und Linken (nur nicht bei der CSU, da treten oder sterben sie aus) seit den amerikanischen Wahlen.

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