Forum für Philosophie und Politik
In der Debatte rund um das Thema Prostitution finden sich zwei Zugänge, die nicht unterschiedlicher sein können:
In jeder der beiden Positionen finden sich durchaus Argumente, die sich gegen patriarchale Machtverhältnisse richten. Meiner Ansicht nach besteht der wesentliche Unterschied darin, dass sexuelle Handlungen von den einen als eine gabenförmige, von den anderen als eine tauschförmige Interaktionsform definiert werden.
Die Unterscheidung zwischen Gabe und Tausch ist eine wesentliche Voraussetzung des guten Lebens, da die Vermischung zu permanenten Irritationen und Konflikten führt (vgl. Markert 2006).
Im Folgenden möchte ich diese zwei Positionen gegenüberstellen. Marcel Maus (1990) war einer der ersten, der sich mit dem Phänomen der Gabe in Gesellschaften auseinandersetzte. Leider verwendet er den verwirrenden Begriff „Gabentausch“. Um schärfer zwischen Gabe und Tausch zu unterscheiden, werde ich auf der einen Seite von Gabe im Sinne von Geschenk sprechen, das verteilt werden kann, und auf der anderen Seite von Ware als Objekt eines Tauschhandels.
Es stellt sich die Frage, ob in einem guten Leben Sex als Ware marktförmig zirkulieren darf, oder ob Sexualität als ideelles Gut ebenso wie Freundschaft, Liebe oder Weisheit nicht käuflich erwerbbar sein soll, sondern nur gabenförmig verteilt wird, als ein unverfügbares Ereignis.
Gaben werden zwischen Menschen geteilt, die für einander etwas Besonderes darstellen. Ein Geschenk drückt das Wesen der Beziehung aus. Der Akt des Schenkens zeichnet sich durch das Geben, Annehmen und Erwidern aus. Die Gabehandlung ist ein zyklischer Prozess ohne punktuellen Beginn und Ende.
„Sie {die Gabe} strebt, bezogen auf längere Zeiträume abwechselnd, immer wieder neue Ungleichheit an. So entsteht ein Ungleichgewicht, aus dem sich eine ewige soziale Bewegung ergibt.“ (Markert 2006, 41)
Die Beteiligten an Gabehandlungen „verschleiern“ (Bourdieu 2009, 164) den Zusammenhang zwischen Gabe und Gegengabe. Damit diese Verschleierung gelingt, ist es notwendig, eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen. Dieses zeitliche Intervall hat die Funktion, „Gabe und Gegengabe gegeneinander abzuschirmen und zwei vollkommen symmetrische Handlungen als unverbundene Einzelhandlungen erscheinen zu lassen“ (Bourdieu 2009, 163).
Die Adressat*innen haben die Freiheit, eine Gabe anzunehmen oder zu verweigern. Angenommene Gaben verpflichten moralisch zur Gegengabe, können diese aber nicht erzwingen. Die Interaktionspartner*innen können immer, zu jedem beliebigen Zeitpunkt, bestimmen, ob, wann und was sie als Gegengabe einbringen werden. Dieser Prozess kann konflikthaft sein und verlangt nach Verhandlung.
Die Gabehandlung zeichnet sich durch das Risiko aus, dass das Geschenk nicht angenommen oder kein Gegengeschenk, beziehungsweise das „falsche Gegengeschenk“, erwidert wird. Die Rollen zwischen Schenkenden und Beschenkten wechseln ständig, wobei die Dynamik und Abfolge von der Person bestimmt wird, die zuvor beschenkt wurde. Auf ein Geschenk besteht kein Rechtsanspruch, jedoch existiert eine mehr oder weniger stark ausgeprägte soziale Erwartung, ein Gegengeschenk zu erhalten.
Sexuelle Aktivitäten, die gabenförmig interpretiert werden, zeigen sich als kompatibel mit romantischen Liebesvorstellungen.
In seinem Buch „Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie“ (2009) geht Marcel Hénaff der Frage nach, welche Güter zur Sphäre der Gabe bzw. zur Sphäre des Tausches gehören. Am Beispiel des Konfliktes zwischen Sokrates und den Sophisten macht er deutlich, dass bestimmte Lebensbereiche zu wertvoll sind, um ihnen einen verrechenbaren Preis zu geben. Leben, Freundschaft, Liebe und vor allem Wahrheit können seiner Ansicht nach nur geschenkt und durch Gaben erwidert werden (Hénaff 2009, 163). Sex gehört aus dieser Perspektive zu den Bereichen des menschlichen Lebens, die sich dem Marktgeschehen entziehen müssen, um ihren Wert zu erhalten.
Aus einer gabenorientierten Perspektive werden sexuelle Aktivitäten eng verknüpft mit menschlicher Identität. Das Tabu, Menschen zu kaufen, erstreckt sich somit auch auf Aktivitäten, die menschliche Existenz begründen können. Diese Perspektive forciert die Verbindung zwischen Geschlechtsverkehr und Schwangerwerdenkönnen und ist somit auch kompatibel mit konservativen Vorstellungen, die Sexualität rein in den Kontext der Zeugung von Nachkommenschaft setzen.
Tauschhandlungen im Sinne der herkömmlichen Marktökonomie legitimieren sich dadurch, dass eine unendliche Anzahl von Wünschen und Bedürfnissen einem begrenzten Anteil an Befriedigungsmitteln gegenüber steht. Dies führt automatisch zu einem Weltbild der Knappheit und des Mangels. Sex aus der Perspektive der Warenökonomie geht davon aus, dass ein schier unendlicher sexueller (tendenziell männlicher) Appetit auf eine begrenzte Zahl an Möglichkeiten der Befriedigung trifft. Dahinter verbirgt sich meiner Ansicht nach auch eine überhöhte Vorstellung von männlicher Potenz.
Im Unterschied zur Gabehandlung besteht die Voraussetzung für eine Tauschhandlung darin, dass sich freie, aber voneinander isolierte Individuen finden, die idealerweise nicht miteinander in Beziehung stehen. Je freundschaftlicher sie miteinander verbunden sind, je intimer die Beziehung zwischen ihnen ist, umso schwieriger wird es sein, einen Tauschhandel abzuwickeln. Das Tauschgeschehen hat in Abgrenzung zur Gabehandlung zudem einen klaren Beginn und ein klares Ende. Die Rechnung ist nach der Interaktion beglichen, man ist sich quitt.
Dieser Tauschhandel hat aber auch immer etwas von einer Täuschung. Etymologisch betrachtet geht das Wort „tauschen“ auf das mittelhochdeutsche Wort „tüschen“ zurück, was soviel wie „unwahr reden, lügnerisch versichern, anführen“ bedeutet (Duden 2007, 703). Es braucht eine gewisse Bereitschaft zur Täuschung, wenn ungleiche Dinge gleichgesetzt werden, um sie dann auszutauschen: „Um Sachen tauschen zu können, müssen wir uns in den Dingen täuschen. Das Marktprinzip setzt auf Identität, wo keine ist.“ (Schandl 1999, 42)
Wenn sexuelle Aktivität gegen Geld getauscht wird (wobei Sex jedoch auch gegen Sicherheit, Liebe usw. getauscht werden kann), dann wird eine*r der Akteure*innen für die Durchführung der Dienstleistung zuständig sein, während der*die Andere für die Bezahlung haftet. Interessant wäre, ob dieser Umstand den Akt selbst beeinflusst.
Die Person, die in einen Tauschprozess involviert ist, besitzt die Freiheit, mit jeder beliebigen Person Tauschhandel zu tätigen, unabhängig davon, ob eine gute Beziehung zwischen den Tauschpartner*innen besteht oder nicht. Potentielle Tauschpartner*innen verfügen über die Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Tauschoptionen. Der Markt ist der Ort, der diese Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stellt. „Die Freiheit des Tauschs {..} besteht darin, dass ich entscheiden kann, ob, mit wem, was und unter welchen Bedingungen ich tauschen will.“ (Knecht u.a. 2012, 133)
Während der Tauschhandlung sind die Akteur*innen daran gebunden, das vorher Vereinbarte durchzuführen. Ein Verhandeln während des „Geschäftes“ oder sogar der Abbruch desselbigen ist von diesem Standpunkt aus nicht vorgesehen. Das heißt, wenn eine Frau als (sexuelle) Dienstleisterin wahrgenommen wird, dann wird ihr „Nein“ im Sinne eines Zurücktretens während des Geschehens als unangebracht angesehen. Denn beim Kaufhandel wird vor dem Tauschakt gefeilscht und nicht mehr während des Prozesses.
Sex als Tauschgeschäft wahrgenommen hat zugleich jedoch den Vorteil, dass der Prozess unkompliziert stattfinden kann, weil keine Vergemeinschaftung stattfinden muss. Menschen, deren Sexualität nicht als Geschenk angenommen wird, aus welchen Gründen auch immer, oder die nichts herschenken wollen, können also auf die Tauschökonomie ausweichen. Interessant ist, dass es eine verhältnismäßig geringe weibliche Nachfrage auf käuflichen Sex gibt. Sexuelle Aktivitäten, die im Rahmen eines Tauschaktes angeboten werden, scheinen dem Bild hegemonialer männlicher Wunschvorstellungen entgegen zu kommen.
Für viele Frauen ist die Sexarbeit jedoch eine von wenigen Möglichkeiten, die eigene Existenz abzusichern und sogar gut zu verdienen. In Wien zum Beispiel dürfen Asylwerberinnen nicht arbeiten, außer als Prostituierte. Eine Grundvoraussetzung für ein gutes Tauschgeschehen ist zum einen die relative Gleichheit und Unabhängigkeit der Interakteur*innen. Es muss ein Machtgleichgewicht zwischen Freiern und Sexarbeiter*innen hergestellt werden. Freier und Sexarbeiter*in sollten daher sozial und rechtlich gleichgestellt sein. Nur diese Bedingungen führen zum Entsprechen der zweiten Forderung, die ein gutes Tauschgeschäft ausmacht, nämlich die Freiheit der Wahl vor dem Geschehen.
Aufgabe der Gesellschaft ist es, Strukturen zu schaffen, in denen ein menschenwürdiges Tauschgeschehen stattfinden kann. Weiters fände ich es sinnvoll, männliche Sozialisation auf Defizite in Bezug auf Gabeninteraktion zu analysieren.
Sind nun sexuelle Interaktionen Gaben- oder Tauschhandlungen? Auch hier gilt ein Sowohl- Als-Auch. Wichtig ist meines Erachtens, zu wissen, welche Spielregeln in der Interaktion jeweilsgelten. Erst wenn die Spielregeln bekannt sind, ist es möglich, das Spiel zu verändern bzw. grundsätzlich am Spielfeld aufzuräumen.
Bourdieu, Pierre (2009): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Dt. Erstausg., 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 1985 = N.F., 985).
Dudenredaktion (Hg.) (op. 2007): Duden. Herkunftswörterbuch. 4. Aufl. Mannheim/ Leipzig/Wien [etc.]: Dudenverlag (Der Duden in zwölf Bänden: das Standardwerk zur deutschen Sprache, 7).
Hénaff, Marcel (2009): Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Knecht, Ursula; Krüger, Caroline; Markert, Dorothee u.a. (Hg.) (2012): ABC des guten Lebens. Rüsselsheim: Christel Göttert Verlag.
Markert, Dorothee (2006): Fülle und Freiheit in der “Welt der Gabe”. 1. Aufl. Rüsselsheim: Göttert.
Mauss, Marcel (1990) : Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main.
Schandl, Franz (1999): Entwurf einer Metakritik des Tauschs. krisis. Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft. Nürnberg. Online verfügbar unter http://www.krisis.org/1999/entwurf-einer-metakritik-des-tauschs, zuletzt geprüft am 06.06.2013.
Trenkwalder-Egger (2016):Sharing und Caring. Das Phänomen der Gabe in der Sozialen Arbeit. 1. Aufl. Leverkusen: Budrich UniPress Ltd.
Ich verstehe die Intention der Grünen nicht warum sie jetzt pro Sexarbeit sind. es ist für mich nicht zu ende gedacht. wenn es für frauen, die einzige möglichkeit ist ihre existenz abzusichern ist das traurig, Es ist dann ein Zwang. Kein Tausch.
Echten Sex (mit Orgasmus der Frau) kann man nicht tauschen, nur schenken. Sex ohne echten Orgasmus is ja wohl kein Sex.
Und ich mein: Warum lasse ich einen Mann in meine Körperöffnung ohne das es mir freude orgasmen bereitet? Irgendwas stimmt da nicht.Warum gibts so wenig weibliche nNachfrage nach käuflichem Sex? was ist der Hintergrund?
Und warum wird vor allem die weibliche Sexualität in allen Weltreligionen unterdrückt, reduziert, beschnitten ja sogar kastriert? Wie frei wären wir wenn wir von Anfang an ganz normal mit mit unserer (weiblichen) Lust umgehen könnten?
…und jetzt wäre es interessant, Linien zu ziehen in die konkrete Politik der Regelung von “Prostitution” oder “Sexarbeit” oder wie immer wir es dann nennen wollen. Und zwar unter Beachtung der Tatsache, dass es sich tatsächlich um ein Sowohl-als-auch handelt. Es müssten also sowohl die gesetzlichen und praktisch-sozialen Grundlagen für gerechte Sex-Tauschverhältnisse geschaffen werden als auch der Gabecharakter der Sexualität geschützt werden. Sehe ich das richtig? Wie geht das?
Danke für die erhellende Unterscheidung – und ja ich freue mich sehr auf die weitere Diskussion, wie in der Praxis ein Sowohl-als-auch gehandhabt werden könnte.
Liebe Ina,
dieses Sowohl als auch (Strukturen für gerechte Tauschverhältnisse zu schaffen und den Gabencharakter der Sexualität zu schützen) umzusetzen und dabei keine “doppelte Moral” zu schaffen, darin sehe ich das große Problem.
Was sagt das über eine Autorin und ihre Betrachtung aus, die Sexkäufer als Freier bezeichnet? Das schöne Wort Freier bedeutet, dass ein Mann um die Gunst einer wirbt, nicht dass er einen Teil von ihr benutzen will und dafür bezahlt. Diesen Begriff mit eine Sexkäufer gleichzusetzen haben sich wohl Zuhälter ausgedacht, um zu verbrämen, worum es bei diesem Transfer eigentlich geht.
»Während der Tauschhandlung sind die Akteur*innen daran gebunden, das vorher Vereinbarte durchzuführen. Ein Verhandeln während des „Geschäftes“ oder sogar der Abbruch desselbigen ist von diesem Standpunkt aus nicht vorgesehen. Das heißt, wenn eine Frau als (sexuelle) Dienstleisterin wahrgenommen wird, dann wird ihr „Nein“ im Sinne eines Zurücktretens während des Geschehens als unangebracht angesehen. Denn beim Kaufhandel wird vor dem Tauschakt gefeilscht und nicht mehr während des Prozesses.«
Das ist schlicht nicht richtig. Auch materieller Handel und Dienstleistungen beinhalten immer die Möglichkeit zum Rücktritt beider Parteien unter vorher besprochenen Bedingungen als auch die Möglichkeit bei unvorhergesehenen Ereignissen zu verhandeln. Sonst wäre zum Beispiel der Abbruch oder die Nicht-Durchführung einer einmal bezahlten medizinischen Behandlung wegen kritischer gesundheitlicher Vorzeichen überhaupt nicht denkbar oder möglich.
Wichtig ist in diesem Fall natürlich, dass beide Parteien des Handels in dem Fall kooperieren und kommunizieren. Wenn also ein Möbelbauer beim Aufbau der Küche eine Scharte in der Arbeitsplatte hinterlässt, ist es Verhandlungs- und Garantiesache, dass eine Einigung erzielt wird.
Entsprechend lässt sich theoretisch auch eine vereinbarte sexuelle Handlung aus welchen Gründen auch immer abbrechen.
Sehr fruchtbare Analyse. Mir kommen so viele Gedanken, dass ich gar nicht weiss, wo anfangen. @Ina Praetorius: hier wird mir so richtig bewußt, dass Gesetze wichtig sind, aber noch viel mehr Kultur. Welche Beziehungen können durch Gesetze geregelt (geschützt) werden, welche aber nur durch Kultur (also moralische Normen?) – Ein sehr spannendes Feld!
Für die Debatte wäre jedenfalls schon viel gewonnen, wenn alle sich bewusst wären, dass der eigene Standpunkt nicht der einzig richtige ist, sondern dass dieses Sowohl-als-auch eine Tatsache ist, der ich nicht durch möglichst lautes Schreien und/oder Diffamierung der Gegnerin ausweichen kann.
Im Artikel von Andrea Trenkwalder-Egger werden falsche Fronten aufgemacht.
Es geht in der Diskussion um Prostitution nicht um eine Abschaffung der Prostitution versus einer Entkriminalisierung und Legalisierung der Sexarbeiterinnen. (1)
Die Apologetinnen der Abschaffung der Prostitution fordern eine völlige Legalisierung und Entkriminalisierung der prostituirten Menschen. Es sind die Freier, die kriminalisiert und bestraft werden sollen.
Auch besteht der wesentliche Unterschied zwischen beiden Positionen nicht darin, ob sexuelle Handlungen als „gabenförmige“ oder als „tauschförmige Interaktionsform“ definiert werden. Es geht nicht darum, wie etwas definiert wird. Es geht darum, was es ist.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Befürwortern und den Gegnerinnen der Prostitution bestehen darin, dass diejenigen, die die Prostitution abschaffen wollen die realen gesellschaftlichen Verhältnis im Auge haben, während diejenigen, die die die Legalisierung der Prostitution fordern entweder ganz reale Profitinteressen damit verbinden oder keine Ahnung von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der gesellschaftlichen Funktion und der Geschichte der Prostitution haben. Und deswegen der Illusion anhängen eine Legalisierung der Prostititution würde dazu führen, dass sie besser behandelt oder bezahlt würden. Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Einführung des „schwedischen Modells“ mit der Freierbestrafung sind dort die Honorare für Prostituierte gestiegen und diese werden nicht mehr kriminalisiert.
Es ist nämlich eine Illusion zu glauben, dass die Anerkennung der Prostitution als Beruf, Arbeit oder Dienstleistung etwas an der Diskriminierung und Stigmatisierung der dort tätigen Frauen ändert. Oder das es etwas ändert ob die dort vorgenommenen Handlungen als „tauschförmig“ oder „gabenförmig“ definiert werden. Denn die Funktion der Prostitution ist es nicht Männer (oder Frauen) sexuell zu befriedigen. Das geht in matriarchalen Gesellschaften ganz ohne Prostitution. Die Funktion der Prostitution ist es Frauen zu unterwerfen. Wohlgemerkt, nicht Prostituierte zu unterwerfen sondern Frauen generell. Die Hauptfunktion der Prostitution ist gerade die der Bedrohung, Stigmatisierung und Bestrafung von Frauen, die sich nicht patriarchalen Normen unterwerfen. Männer bezahlen Frauen, die darauf angewiesen sind, Geld, damit sie an ihnen ein Exempel statuieren können: Seht so geht es allen Frauen, die nicht keusch, monogam und treu sind.
Der Ruf nach der Beendigung der Diskriminierung von „Sexarbeiterinnen“ hat deswegen – wenig überraschend – bisher nur zur deren schrankenlosen Ausbeutung und zur Legalisierung und Steigerung der Profite aus der Zuhälterei geführt.
Prostitution ist keine Konstante der menschlichen Gesellschaft. Sie kommt auf mit dem Patriarchat und und der Enteignung von Frauen und der Aufrichtung der patriarchalen sexuellen Zwangsmoral, die von Anfang an nur für Frauen verbindlich war.
Diese sexuelle Zwangsmoral wird durch die Frauenbewegung ebenso in Frage gestellt wie das patriarchale Recht der Männer auf einseitige sexuelle Befriedigung und die damit einhergehende die sexuelle Unterdrückung von Frauen.
Die Prostitution soll deswegen unter anderem Namen erneut zu einer gesellschaftlich anerkannten Einrichtung gemacht werden wie einst das Hetärentum in Griechenland und Japan, dessen Anerkennung durch seien Nutznießer jeweils mit der Anerkennung der Abwertung von Frauen und der Verteufelung ihrer Sexualität und der Anerkennung des sexuellen Missbrauchs von Kindern Hand in Hand ging. (2)
Die sexuelle Dienstleistung findet nur statt, weil die eine Seite – die Frauen – das Geld braucht und die andere Seite – die Männer – das Geld hat. Die Freiwilligkeit ist bigotte Heuchelei. Wer zahlt bestellt.
„Die Unterscheidung zwischen Gabe und Tausch“ ist keine Voraussetzung des guten Lebens sondern die gleiche Verteilung von Gütern und von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen durch ein Wirtschaftssystem das sich am Wohl aller Menschen statt an der Profitmaximierung orientiert. Dadurch kommen wir zu einer Gesellschaft in der Frauen und Männer sich als Gleiche und Freie begegnen und ihre Sexualität frei ausleben können ohne das Geld oder andere Vorteile dazwischen stehen.(3)
1) Ich benutze das generische Femininum.
Rush, Florence: Das bestgehütete Geheimnis: Sexueller Kindesmissbrauch, Berlin, 1988, ISBN 3-922166-11-3
Rutter, Peter: Verbotene Nähe – wie Männer mit Macht das Vertrauen von Frauen mißbrauchen, Düsseldorf 1991
Kann ausgeübte Sexualität wirklich als Ware, als Dienstleistung, als Sache, als Produktionsmittel “verdinglicht” betrachtet werden und damit ein Tauschobjekt sein gegen Geld, eine Mahlzeit, Drogen, Obdach, einen Arbeitsvertrag, Karriere usw?
Oder bleiben wir bei unserer menschlichen Wahrnehmung, dass Sex Spaß machen soll und wir es aus freiem Herzen mit anderen Menschen “bedingungslos” teilen möchten?
In der Philosophie der Frauen lerne ich, immer präziser die feinen Unterschiede zwischen meinem menschlichen Sein als Frau und entfremdeten, übergestülpten kulturellen Sichtweisen wahrzunehmen.
Klar, die Realität ist leider so, dass es Prostitution gibt. Im Artikel von Andrea Trenkwalder-Egger findet sich ein krasses Beispiel aus Wien – es zerreißt mir das Herz.
Können wir nicht unsere Gesellschaften so formen, dass Frauen ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ohne ihren Körper als Produktionsmittel einsetzen zu müssen, also Sex als Sache verkaufen zu müssen?
Für die Sexuelle Selbstbestimmung und die “Freie Sexualität” in unserer Gesellschaft brauchen wir längst keine Prostitution mehr. Sexuelle Betätigung kann in unzähligen Flirtbörsen, Swingerclubs ganz nach Lust und Laune abgestimmt werden, auf Augenhöhe – frei, ohne ökonomische Gründe. Es gibt Polyamourie … niemand wird heute mehr geächtet wegen häufig wechselnder Sexualpartner*innen.
In Liebesbeziehungen/festen Bindungen – die nach wie vor von den meisten angestrebt werden – wird ausgehandelt, wie beide es mit der Treue handhaben möchten. Den gesellschaftlichen Zwang zur Treue gibt es längst nicht mehr – obwohl ich mich mitunter wundere, wie häufig die Institution Ehe als ein angebliches Gefängnis dargestellt wird und dass Sexualität in der Ehe kein Vergnügen wäre, sondern ein Tauschhandel. Wenn ich mir die junge Generation anschaue, die aktuell Ehe/Partnerschaft und Familie gestaltet, erscheinen solche Unterstellungen wie Anekdoten aus dem letzten Jahrtausend.
Über Margot Müllers Kommentar habe ich mich sehr gefreut. Ihre Ausführungen haben die Betrachtungen zum “Sex als Geschenk” oder “Sex als Geschäft” für mein Empfinden treffend eingeordnet und geerdet.
Ich möchte abschließend auf die aktuelle Aktion von TERRE DES FEMMES zum “Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen” hinweisen. Das gelungene Motto lautet: #S€XISTUNB€ZAHLBAR
Auf der Homepage von TdF finden sich die besten Artikel, Filme, Bücher, Studien über Prostitution, die ich kenne.
Liebe Andrea, danke für diesen wunderbar klaren Artikel. Ich finde es eine gute Idee, Prostitution bzw. Sexualität unter Gabe- und Tauschaspekten zu betrachten. Die Unterscheidung ist auf jeden Fall hilfreich für die Diskussion.