Forum für Philosophie und Politik
Von Claudia Kilian
Die Feuchtgebiete von Charlotte Roche habe ich gerne gelesen. Ein bisschen von oben herab muss ich gestehen. Den jungen Frauen zusehen, wie sie den Sex und die Liebe entdecken, bei Charlotte Roche gar in der naturalistischen Variante, macht schon Spaß.
Als Ü-50 Frau ohne Kinder – das heißt, ohne Mädchen-Erfahrung – unterschätze ich wahrscheinlich den Druck, der auf den jungen Frauen in Bezug auf den ganzen Körperkult liegt. Den Druck, dass alles glatt und haarlos sein muss. Geruchlos sowieso.
Wie auch immer. Ich mag Charlotte Roche, wenn sie mir beim Fernsehen mal über den Weg läuft. Eher seltener in den letzten Jahren. Den Roman Schoßgebete habe ich nicht gelesen. Aus einem ziemlich paradoxen Grund. Ich wusste, dass er von der Handlung her kein Roman ist. Das war bei Feuchtgebiete schon so, aber da war es nicht so tragisch. Ein fiktionaler Text hat so oft eine autobiografische Komponente verarbeitet, und wie viele Autobiografien sind Fiktion? Da ist es mühselig, unterscheiden zu wollen.
Aber bei „Schoßgebete“ ist das anders. Mein Voyeurismus wurde beim Buch durch die Ethikabteilung meines Ichs abgehalten, sich auszuagieren. Nicht Eindringen in das Unfassbare, das wollte Charlotte Roche nicht. Nicht durch die Medien, nicht durch ihre Fans – und dann schreibt sie dieses Buch, nennt es Roman und alle dürfen zuschauen.
Ich verstehe ihre Sicht gut. Sie hat damit die Kontrolle darüber, was sie preisgeben möchte und was nicht. Was sie für wahr halten möchte und was nicht.
Damit spielt auch die Handlung im Film. Sich andere Realitäten fantasieren, bis eine soweit ist, weiter zu leben nach der Katastrophe. Das kann ich verstehen.
Nur mich hält das nicht von meinem Voyeurismus ab. Der Film stand nicht unter dem selbst auferlegten Bann, also habe ich mich selbst ausgetrickst und ihn mir angesehen.
Könnt ihr auch machen. Er ist bezaubernd schön, falls eine das bei dieser Thematik sagen kann.
Sex heilt viele Wunden. Nur eine Katastrophe kann er nicht rückgängig machen. Eine von diesem Ausmaß sowieso nicht.
Lavinia Wilson spielt Elizabeth Kiehl authentisch und durchdringend in ihrer Trauer um die Geschwister und die Unversehrtheit ihrer Mutter, Jürgen Vogel den Ehemann ruhig, bedächtig und nur an den richtigen Stellen intensiv.
Dass das Leben manchmal nur noch über Fiktion zu begreifen ist, das vermittelt dieser Film.
Nachtrag:
Um diesen Text einordnen zu können, muss eine vielleicht wissen, dass 2001 auf dem Weg zu ihrer Hochzeit die drei Brüder von Charlotte Roche bei einem Autounfall getötet wurden. Ihre Mutter wurde dabei schwer verletzt.
Nachtrag 2:
Der Film erschien vor zwei Jahren und lief kürzlich auf Arte, wo er in der Mediathek zu sehen ist. Auch auf DVD ist der Film zu bekommen. Nachtaktive können ihn am Freitag um 1.30 (also eigentlich Donnerstag spätabends) nochmal im Fernsehen anschauen.
Dies ist ein Crosspost von dem Blog Sammelmappe.
Das freut mich.
Ich hab noch immer einen großen Nachholbedarf in Bezug auf Biographien und Autobiographisches von Frauen. Da gibt es noch so viel zu entdecken.
Krieg Lust, den Film zu sehen. Danke!