Forum für Philosophie und Politik
Nicht nur durch anpreisende Erfolgsgeschichten, sondern auch durch Berichte vom Scheitern lassen sich Menschen ermutigen.
Vor ein paar Jahren hielt ich an einer Nachwuchsveranstaltung für potentielle Doktorierende an der Uni Basel einen Vortrag. Ich war eingeladen, als Mutter von zwei Kindern zu berichten, wie das so ist mit der akademischen Laufbahn und Familie.
Ich erzählte subjektiv, witzig, aber auch schonungslos von meinem erschöpfenden Alltag. Und darüber, wie wenig Unterstützung es von Uni-Seite her gibt. Am Ende gab es lauten Applaus.
Hinterher schickten mir mehrere Professor_innen und der Ressortleiter verärgerte Mails: Ich hätte alles in einem zu negativen Licht dargestellt. Meine Erzählung sei abschreckend gewesen, der laute Applaus nur ein Zeichen der Erleichterung, dass mein Vortrag endlich vorbei war.
Ich fühlte mich schlecht und hatte ein schlechtes Gewissen (und wurde nie mehr eingeladen).
Ein halbes Jahr später sitze ich in der Uni-Cafeteria. Zwei junge Frauen kommen auf mich zu und sagen, sie hätten sich unter anderem wegen meinem Vortrag dazu entschieden, zu promovieren (in Biologie). Mein Bericht sei zwar erschreckend gewesen, aber doch voller Lebendigkeit. Und sie hätten sich die Sache realistisch vorstellen können.
Ein Jahr später begegne ich an einer Tagung in Berlin einem Politikwissenschaftler, und vor einer Woche dann einer Pädagogik-Doktorandin, die beide ebenfalls damals meinen Vortrag gehört hatten. Und die rückblickend Ähnliches zu mir sagen.
Interessant finde ich den Umstand, dass Menschen sich offenbar nicht nur durch anpreisende Erfolgsgeschichten, sondern auch durch Berichte vom Scheitern – oder zumindest eine ungeschönte Darstellung der Schwierigkeiten – ermutigen lassen.
Es bestätigt meine Annahme, dass die Position des Erfolgs und des Gelingens weder Klarheit noch Schärfe hat. Und dadurch auch keine Leidenschaft, sondern höchstens leere Welten vermitteln kann.
Das Märchen vom perfekten Leben mag einfach niemand mehr hören.
Sehr gut beschrieben, liebe Franziska. Ich mache zunehmend die Erfahrung, dass wirklich gute und echte Begegnungen da enstehen, wo ich den Mut habe, mich zu zeigen, wie ich bin. Perfektion wird immer langweiliger und nichtssagender. Ich will wissen wie etwas geht, mit allen Ecken und Kanten und ich trotzdem einen Weg finde.
Ich finde es ebenfalls interessant zu lesen, dass sich Menschen durch Scheiter-Erfahrungen ermutigen lassen. Das bestärkt mich auf meinem Weg, danke!
Ich teile die Meinung von Fanziska Schutzbach fast ganz – das Märchen vom perfekten Leben wollen jedoch immer noch sehr viele Leute hören. Wenn ich an die Serien von Erfolgsbücher und Seminare denke, dann meine ich schon, dass es immer noch eine ganze Menge Menschen sind, die sich gerne am perfekten Leben orientieren. Scheitern und Versagen, nicht erfolgreich sein im Sinne des Zeitgeistes von Stellung, Bezahlung, Anerkennung liegt einfach nicht drin. Um so mehr schätze ich Menschen, die zu ihren “Mängeln” stehen und darin vielleicht sogar Angelpunkte für Lebensqualität entdecken. Das sind dann jedoch schnell die “Loser”, die ewigen Zweiten. Was ist das perfekte Leben überhaupt? Und wie komme ich dazu, dem Perfekten im Leben gesund zu misstrauen. Wo lerne ich, dass das perfekte Leben tatsächlich ein Märchen ist? Mir tut der Beitrag gut – vielen Dank dafür!