Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
So wünsche ich es mir öfter: In einem Buch, das sich nicht explizit an Feministinnen wendet und ein Buch, in dem es nicht um Frauenthemen geht, verwendet die Autorin bei Bibelzitaten konsequent die Bibel in gerechter Sprache.
„Geheimnisse des Christentums“ trägt dazu bei, den Horizont für Christinnen und Christen zu weiten und zeigt, dass es in früheren Jahrhunderten viel mehr gegeben hat, als die Instrumentalisierung des christlichen Glaubens für die Disziplinierungsbedürfnisse weltlicher und kirchlicher Machthaber. Die Autorin Renate Schoof interessiert sich nicht für den Vatergott über uns sondern lenkt den Blick auf die göttlichen Kräfte in uns. Das scheint überhaupt ihr großes Anliegen zu sein: Die ihr wichtigen „eigentlichen“ Botschaften des christlichen Glaubens zu erklären und so darzulegen, dass sie die Menschen nicht klein und unmündig machen, sondern ihre lebensfreundliche Kraft entfalten. Gott nennt sie, analog zur Bibel in gerechter Sprache, die „Ich-bin-da-Kraft“, die die Propheten und andere Protagonistinnen der Bibel ausstrahlen, die aber auch wir in uns spüren können, wenn wir mit den göttlichen Kräften verbunden sind.
Am Beispiel von mehr als 100 Abbildungen aus der Kunstgeschichte zeigt sie, wie diese „Ich-bin-da-Kraft“ im menschlichen Herzensraum oder in einem Baum leuchtend dargestellt wird und erklärt, wie die Künstler_innen vergangener Zeiten sehr genau gewusst haben, was sie warum gemalt haben. Viele hatten eine andere Verbindung zu ihrer Religion und zum Leben, als die Obrigkeit vorgab, auch wenn die Wirkungsgeschichte der christlichen Kirche das nicht vermuten lässt.
Was Renate Schoof zu der Bedeutung der mehr oder weniger versteckten Symbole erzählt, ist nicht wirklich neu, aber es ist sehr detailreich und gründlich zusammengetragen und all jene, die Kunstgeschichte nicht studiert haben, sich aber gerne mit Kunst beschäftigen, bekommen eine Fülle von Hinweisen, was sie in alten Bildern alles entdecken können. Die Bildbetrachtung wird dadurch richtig spannend.
Kleines Beispiel: Wenn Ochs und Esel auf einer Weihnachtsdarstellung im Stall an einem Schleier kauen, ist das ein Hinweis darauf, dass auf dem Bild mehr zu sehen ist, als das historische Geschehen und dass die Betrachterin die Aussage des Bildes „entschleiern“ kann.
Die Autorin greift auf die vor-monotheistischen Bilderwelten in der ägyptischen und griechischen Mythologie zurück, zum Beispiel bezüglich des Schlangen-Symbols, erklärt Hintergründe und Wort-Stämme und weist daraufhin, wie die Bedeutung im Laufe der Jahrtausende verformt wurde und wie frauen- und lebensfeindlich, ja brutal, die griechische Mythologie ist. Das blieb nicht ohne Folgen für das junge Christentum, auch wenn es eigentlich genau diese Haltung überwinden wollte. Viele Künstler_innen haben das erkannt und – manchmal offensichtlich, manchmal verschleiert – in ihren Bildern einen anderen Weg zu den göttlichen Energien gewiesen. Ähnliches gilt für die Chakrenlehre, die dazu beiträgt, die Botschaften in vermeintlichen Ornamenten und Anordnungen auf alten Bildern oder in Bibeltexten zu verstehen. Renate Schoof selber schreibt: „Mit Hilfe von psychologischen, philosophischen und nur allzu oft als esoterisch beiseitegeschobenen Vorstellungen werden Bibelworte lebendig, sind für Texte die Rätsel aufgeben, Deutungen möglich, werden Symbole zu Mosaiksteinen eines kosmosweiten Bildes.“
Dabei zeigt sich, dass es durchaus keine neue Erkenntnis moderner Psycholog_innen und Lebensberater_innen ist, dass die Lebensfunken, die lebendig machen, nicht vom allmächtigen Gott oben auf dem Himmelsthron für Wohlverhalten und Gehorsam zugesprochen werden, sondern dass schon die Maler_innen alter, sakraler Kunst genau dies zum Ausdruck gebracht und eine Art „Lebenshilfe“ gegeben haben. Auch wir heute können diese alten Bilder nutzen, um die „Ich-bin-da-Kräfte“ in uns selber zu finden. Mit ihrem Buch und den Erklärungen zu den Bildern gibt Renate Schoof Hilfestellung für die eigene Suche und erläutert tragische Entwicklungen der Geschichte.
Renate Schoof, Geheimisse des Christentums. Vom verborgenen Wissen alter Bilder, Patmos Verlag 2014, 216 S., 19,99 €.