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Genese eines Bürgerkriegs

Von Antje Schrupp

Obhodjas_Bauchtaenzerin_Cover240Das Schicksal der aus Syrien geflüchteten Menschen berührt zurzeit viele. Doch die Vorstellung davon bleibt für die meisten von uns, die wir in Sicherheit leben, letztlich abstrakt. Wie es ist, die eigene bisherige Existenz aufgeben zu müssen und sich mit nichts mehr als einem Rucksack auf den Weg zu machen, um in einem völlig fremden Land nochmal von vorne anzufangen, kann ich mir nicht vorstellen. Selbst wenn man als Geflüchtete noch Geld hat: Was verloren geht ist ein Ort, an dem man gewohnt war, zu leben, die Dinge, die sich in einem Haus vielleicht über Generationen angesammelt haben, die Anschauung von Erinnerungen und Geschichten darüber, wie es früher war, das Netz aus Nachbarinnen und Nachbarn, kulturelle Gewissheiten und Normalitäten. All das, was dieses komplexe Phänomen „Heimat“ beschreibt.

In ihrem neuen Buch „Die Bauchtänzerin“ erzählt Safeta Obhdojas, die auch Autorin dieses Forums ist, die Geschichte von zwei jungen Frauen, die in einer kleinen Stadt in Bosnien aufgewachsen sind und am Ende gezwungen sind, wegen des Bürgerkriegs dort nach Deutschland zu fliehen. Es ist ein bisschen wie in einem Roman von Celia Fremlin, nur eben nicht auf individueller, sondern auf gesellschaftlicher Ebene: Aus dem ganz Alltäglichen und Banalen entwickelt sich unmerklich und ohne, dass ein klarer „Tipping-Point“ auszumachen wäre, ein schrecklicher Horror.

Sandra und Vildana stammen beide aus muslimischen Familien, ihre Väter sind befreundet und haben Anfang der 1980er Jahre gute Positionen und politische Ämter in Jugoslawien inne. Sie wohnen in einer „kosmopolitischen Straße“, ihre Freundinnen sind Kroatinnen, Serbinnen, Bosnierinnen, das spielt im Alltag kaum eine Rolle. Dabei zeichnet Obhodjas nicht das idealisierte Weltbild eines vermeintlich fröhlich-multikulturellen früheren Jugoslawiens. Denn gerade die Tatsache, dass kulturelle Differenzen unter dem Kommunismus größtenteils nur unter der Decke gehalten wurden, war ein Teil des Problems.

Aber was sie zeigt, das ist, dass Bürgerkriege nicht notwendigerweise aus „Pulverfässen“ entstehen, sondern sich auch in Gesellschaften entwickeln können, die stabil wirken und in denen sich die Menschen nicht im Traum vorstellen können, dass „so etwas“ bei ihnen selbst auch einmal geschehen könnte – Vildana zum Beispiel hat als Jugendliche nur wenig Verständnis für das Leiden eines geflüchteten palästinensischen Geschwisterpaars, das eine Zeitlang mit ihrem Bruder befreundet ist.

Was ebenfalls deutlich wird, ist der große Einfluss des ökonomischen Faktors: Wenn Menschen nicht mehr wissen, wie sie an Geld zum Überleben kommen sollen, wenn es kein verlässliches Einkommen mehr gibt und keine Möglichkeit, auf einer sicheren materiellen Basis aufbauend das eigene Leben planen zu können, ist das der geeignete Nährboden dafür, dass nationalistische Narrative Oberwasser gewinnen, dass Menschen sich in Clans organisieren, dass sie versuchen, sich durch korruptes Anbiedern an den Zeitgeist einen Vorteil zu verschaffen. Diese materielle Seite des Ursprungs von Bürgerkriegen, die letztlich Massenfluchtbewegungen auslösen, kommt in der Debatte meistens zu kurz.

Dieses Buch macht diese Entwicklungen am Beispiel von Bosnien sehr anschaulich, in ihren alltäglichen Erscheinungsformen im Leben der beiden Protagonistinnen. Große Leseempfehlung.

Safeta Obhodjas: Die Bauchtänzerin, Culture Books 2015, 7,99 Euro (nur als E-Book erhältlich). Am 10. November liest Safeta Obhodjas aus ihrem neuen Roman im Literaturhaus Wuppertal.

Artikel von Safeta Obhodjas in diesem Forum

Zwischen den Kulturen: Antje Schrupp im Gespräch mit Safeta Obhodjas

 

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 14.09.2015
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