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Von Diana Sartori
Zum 500. Geburtstag der Theologin und Mystikerin Teresa von Avila veröffentlichen wir unter anderem einen Aufsatz der Diotima-Philosophin Diana Sartori, in dem sie der Frage nachgeht, warum Teresas Denken für Feministinnen heute noch interessant ist. In diesem vierten Abschnitt geht es um das Bewohnen der eigenen „Seelenburg“, um die Fähigkeit, die zu sein, die man wirklich ist.
Teil 1 – Ein kurzer Abriss von Teresas Leben
Teil 2 – Weiblicher Realismus am Beispiel Teresas
Teil 3 – Einen Ort für Wahrheit in sich finden und der Wahrheit einen Ort geben
Dass Teresa gelingt, woran andere gescheitert sind, kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden, von denen einige unergründlich sind, wie zum Beispiel die Außergewöhnlichkeit ihrer Persönlichkeit, ihre Kraft oder der Zufall. Über diese Voraussetzungen kann man nur wenig sagen und muss sie bewundernd festhalten. Andere Voraussetzungen dagegen können vielleicht zum größten Teil ermittelt werden, sie hängen mit der Qualität der Beispielhaftigkeit von Teresas Erfahrung sowie mit deren Beziehung zu ihrem Realismus zusammen. Realismus bedeutet in diesem Fall das, was es Teresa erlaubt, aus der Ekstase in die Realität zurückzukehren, und über die Ekstase hinauszugehen, indem sie deren Sinn verändert.
Am Ende des „Wegs der Vollkommenheit“, nachdem Teresa ihren Nonnen die Anbetungspraxis dargelegt hat, die sich an der Vereinigung mit Gott orientiert, eröffnet sie eine neue, räumliche Metapher: In euch, sagt Teresa, gibt es eine ungeheuer reiche Burg, gebaut aus Gold und kostbaren Steinen. Diese Metapher wird zum Schlüsselbild ihres Hauptwerkes, der „Seelenburg“.
Unsere Seele, erklärt Teresa mit diesem Vergleich, ist wie „eine Burg, die ganz aus einem Diamanten oder klaren Kristall hergestellt ist; dort gibt es viele Gemächer, gleichwie auch im Himmel viele Wohnungen sind“ (C, 19) – eine Burg also mit vielen Zimmern, alles Wohnsitze, die, wie die himmlischen Sphären, konzentrisch ausgerichtet sind, eine Art verinnerlichter Kosmos.
Dieser Vergleich, sagt Teresa, kann „auf den ersten Blick […] zu großem Nutzen sein. Da wir Frauenspersonen nicht gelehrt sind, so bedürfen wir eines solchen Mittels, um die Wahrheit zu bekennen, dass in uns selbst etwas unvergleichlich Kostbareres ist, als was wir äußerlich an uns wahrnehmen. Wir dürfen ja nicht meinen, wir seien inwendig leer. Wollte Gott, es dächten nur Frauenspersonen allein nicht daran, welch vornehmen Gast wir in uns beherbergen.“ (CP, 145)
Es handelt sich um einen inneren Schatz, an dessen Existenz nicht gezweifelt werden kann, der aber oft, insbesondere von Frauen, in seiner Bedeutung unterschätzt wird. Auch seine große Schönheit und sein immenses Vermögen sind nicht bekannt.
Teresa selbst erinnert sich daran, dass sie der eigenen wahren Natur gegenüber blind war, sowie dem gegenüber, was einfach existiert: „Ich sah wohl ein, dass ich eine Seele habe; jedoch ihren Wert kannte ich nicht, und ebensowenig, wer in ihr wohne. Durch die Eitelkeiten dieses Lebens habe ich mir die Augen so verhüllt, dass ich dies nicht sehen konnte.“ (CP, 146)
So bleibt also das Bedürfnis nach einem Weg, nach einer Enthüllung, nach einer Verbindung mit dem, was überlegen ist. Aber das ist nicht irgend etwas, das außerhalb von uns existiert oder von dem wir durch eine substanzielle Differenz getrennt sind. Es handelt sich vielmehr um eine Bewegung, um ein Vorwärtsschreiten. Es handelt sich um eine Reise in Richtung auf das eigene Zentrum, einen Prozess der fortschreitenden Zentrierung des Subjekts: Das Göttliche, das die Seele bewohnt, ist die Wahrheit des Subjekts. Um sich mit ihm zu vereinigen, ist also nicht mehr die Ekstase, sondern vielmehr die Instase notwendig. Wir sind von uns selbst, von unserer Wahrheit, von unserem Ursprung getrennt: „Wäre es, meine Töchter, nicht eine große Unwissenheit, wenn jemand auf die Frage nicht zu antworten wüsste, wer sein Vater, wer seine Mutter, welches seine Heimat sei? Schon dies wäre ein Zeichen großer Unvernunft, die sich aber noch unvergleichlich steigern würde, wenn wir uns nicht um die Erkenntnis unserer Selbst kümmerten, sondern uns nur mit unserem Leibe befassten.“ (C, 20)
Es ist wahr, dass die Eitelkeit der Welt uns oft die Augen verbindet. Aber genauso oft unterlässt man es aus Gründen der Nachlässigkeit, sich in die innere Burg hineinzubegeben, um sich selbst kennenzulernen – wie eine gelähmte Seele: „Es ist nicht wenig zu bedauern und keine geringe Schande, wenn wir durch eigene Schuld uns selbst nicht kennen und nicht wissen, wer wir sind.“ (C, 20)
Um zu wissen, wer wir sind, für die eigene Selbsterkenntnis, ist es notwendig, den Weg in Richtung auf unseren wahren Wohnsitz einzuschlagen. Es ist ein Ort, in den wir eintreten müssen, in dem wir aber schon sind; es ist notwendig, in sich selbst einzutreten: „Wir wollen nun wieder zu unserer schönen und wonniglichen Burg zurückkehren und sehen, wie wir in sie eintreten können. Dies scheint zwar eine unsinnige Rede und dasselbe zu sein, wie wenn ich zu jemandem sagen würde, er solle in ein Zimmer gehen, in dem er schon ist; denn wenn diese Burg unsere Seele ist, so folgt ja klar, dass wir nicht hineinzugehen brauchen, weil beides, die Burg und die Seele, dasselbe ist. Ihr müsst jedoch wissen, dass man in sehr verschiedener Weise an einem Orte sein kann.“ (C, 22)
Es gibt also zwei Weisen des Seins. Einmal die verdrängende und sich selbst gegenüber blinde Weise einer Person, die sich wenig daraus macht, wer sie ist. Es handelt sich hierbei um eine verwirrte und verstümmelte Seele, die um die Burg herumschwirrt, die jedoch der Wohnsitz von jemand anderem zu sein scheint. Dann aber gibt es eine volle Weise des Seins, eines Seins in Wahrheit, das die eigene Natur und den eigenen Wohnsitz kennt.
Der Weg der Vollkommenheit heißt folglich, dazu zu kommen, das zu sein, was man in Wirklichkeit schon ist; es ist das, was man ist, dieses wahre Sein, das einem erlaubt, souverän zu sein.
Das eigene Zentrum, den eigenen Wohnsitz zu finden, befreit in der Tat die Souveränität des Subjekts in der Welt und gibt es der Welt zurück.
In der siebten Wohnung der inneren Burg angekommen, hören die Zeichen der Ekstase auf: „Es wundert mich wirklich, dass alle Verzückungen ein Ende nehmen, wenn die Seele zu dieser Stufe gelangt ist (dieses Aufhören der Verzückungen ist nur von dem Sichverlieren der Sinne zu verstehen). Kommen sie zuweilen auch noch vor, so sind es doch nicht jene Entrückungen und Geistesflüge (von denen früher die Rede war).“ (C, 219)
Die Seele wurde zu etwas, das auf einzigartige Weise über Kraft verfügt, und sie „verliert diese große Schwäche, die ihr sehr peinlich war und sie nie verließ.“ (C, 219 f.) Desweiteren hört die beständige Furcht vor Täuschungen auf. Denn die Seele und Gott können sich „in tiefster Stille“ ergötzen (C, 218), weil die Seele, die nun das Göttliche selbst hat und mit diesem wohnt, künftig weder des Genusses noch der spirituellen Ratgeber bedarf.
Ein Jahr vor ihrem Tod beschreibt Teresa im letzten ihrer spirituellen Berichte diesen Zustand mit großer Gelassenheit: Ihre Seele „befindet sich sozusagen in einer Fassung, von der aus sie ihre Herrschaft ausübt, und sie verliert in keiner Weise den Frieden.“ (RS, 464) Sie wird nicht länger entrückt, und auch die imaginierten Visionen hören auf. Was aber bleibt, ist die beständige geistige Vision der Trinität und des Menschseins Christi, außerdem die inneren Gespräche, in denen sie Rat findet.
Auch wenn Teresas Kraft des Begehrens in mancher Hinsicht abgenommen hat, so will ihr Wille nichts anderes als der göttliche Wille, „mein Wille widersetzt sich doch niemals, selbst nicht durch eine anfängliche Regung.“ (RS, 467) Da dieser Wille wiederum möchte, dass sie lebt, lechzt Teresas Seele nicht mehr danach, zu sterben, sondern sie will leben.
Wie auch immer dieser Zustand beurteilt werden könnte – sie zeigt in den spirituellen Berichten, dass sie sich auf eine ganz bestimmte Weise dem Urteil unterwirft, so sehr sie auch erklärt, dass sie keine Furcht mehr vor Täuschung hat noch sich an Gelehrten und Theologen zu wenden wünscht –, Teresa fühlt sich gedrängt, zu betonen, dass sie „in allem, was in [ihr] vorgegangen ist und jetzt noch vorgeht, nichts tun kann.“ (RS, 466)
Was Teresa tut, ihr Tätigwerden, ihr Verlangen, ihre Gefühle, sind für sie Frucht der Notwendigkeit. In der intimsten Wohnung der inneren Burg und auf der extremsten Stufe des Wegs der Vollkommenheit erkennt die Seele die Notwendigkeit an, die sie angetrieben hat und sie noch bewegt. Es ist aber kein Zustand stumpfsinniger Harmonisierung ohne jedes Verlangen, ohne Bewegungen oder Handlungen. Die Seele würde hier im Gegenteil „von dem aber, was sie noch zu tun vermag und was nach ihrer Auffassung zum Dienste des Herrn gereicht, […] um nichts in der Welt unterlassen.“ (C, 215) Während der „mystischen Vermählung“, so nennt Teresa die siebte Wohnung, wird auch die Hochzeit der Seele mit der Welt gefeiert: „Dahin, meine Töchter, zielt das innere Gebet, und dazu führt auch die mystische Vermählung, dass aus ihr unaufhörlich Werke, (vollkommene) Werke hervorgehen.“ (C, 224)
Wenn man im Zentrum der Burg angekommen ist, schläft man nicht, „vielmehr kündigt […] die Seele von dort aus den Kampf an“. Die Worte sind hier Werke, ebenso wie das göttliche Wort Werk ist, Martha und Maria – das aktive und das kontemplative Leben – stimmen überein, und man wünscht nicht länger zu sterben, sondern zu leben, um dem Herrn besser in der Welt zu dienen.
An diesem Punkt kehrt jedoch – und mit diesem Thema schließt Teresa die Seelenburg ab – eine Schwierigkeit zurück, die sich schon zu Beginn des Wegs zeigte. Teresa sieht voraus, dass ihre Nonnen entgegnen könnten, ihnen sei „keine Möglichkeit und keine Gelegenheit gegeben, Seelen für Gott zu gewinnen; ihr würdet es mit Freuden tun, aber ihr hättet weder zu lehren noch zu predigen, wie die Apostel getan, und wüsstet darum nicht, wie ihr es könnt.“ (C, 228)
Es geht also darum, wie die großen Begehren sich in der Welt realisieren und inwiefern sich Möglichkeiten zum Handeln finden lassen, während doch die Möglichkeiten des Handelns und die Gelegenheiten, die existierende Ordnung zu modifizieren, stark begrenzt sind und die Frauen nur wenig gesellschaftlichen Einfluss haben.
Wenn solche starken Hindernisse einer Realisierung entgegenstehen, kann sogar das Nähren von großen Begehren, das Teresa immer empfiehlt, einen dämonischen Hinterhalt verbergen: „Ich habe euch schon anderswo gesagt, der böse Feind flöße uns manchmal ein Verlangen nach großen Dingen ein, damit wir nicht in dem uns Möglichen dem Herrn zu dienen uns bemühen, sondern uns zufrieden geben mit dem Verlangen nach dem Unmöglichen.“ (C, 229)
Weiter zu Teil 5 – Großes Begehren und praktikables Handeln