Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Durch alle Gazetten ist sie schon geschwommen, in Talkshows hat sie sich verbreitet, zahlreiche Gründerinnen- oder Nachhaltigkeitspreise hat sie bekommen – und nun erscheint sie also auch auf bzw-weiterdenken: Sina Trinkwalder, 36jährige Jungunternehmerin aus Augsburg, die aus dem (scheinbaren) Nichts die Textil-Fabrik „Manomama“ für Bio-Klamotten gegründet hat. Arbeitgeberin für 140 Frauen (darunter ein paar Männer) ist sie mittlerweile.
Wenn sich jemand so brillant auf die eigene Vermarktung versteht, kann da was Ernsthaftes dahinter stecken? Ah ja, Werberin ist sie gewesen, in der eigenen Agentur, die sie nach abgebrochenem BWL-Studium gegründet hat. Mit 21 Jahren. Zehn Jahre hat sie dort zusammenmit ihrem Mann ordentlich Kohle gemacht.
Und dann kam die Frage nach dem sinnvollen Tun.
Meine anfänglichen Vorbehalte verwandelten sich in Interesse, als ich ihr Buch „Wunder muss man selber machen“ las. Sina Trinkwalder präsentiert sich dort als eine Frau, die sich auf einem völlig anderen Weg, als Philosophinnen und Denkerinnen um ein gutes Leben – naja, nicht für alle, aber doch für etliche – bemüht. Ein bisschen „durchgeknallt“ erschien sie mir auch – aber das ist eine der Erfahrungen, die ich aus der Begegnung mit Sina Trinkwalder mitgenommen habe. Wenn frau wirklich etwas verändern möchte, etwas Neues in die Welt bringen möchte, ist es durchaus hilfreich, etwas „durchgeknallt“ und von sich selbst überzeugt zu sein. Und frau braucht ein unglaubliches Durchhaltevermögen und unbändig viel Power und Einsatzbereitschaft. Und drittens gehört meistens auch der Verzicht auf gewohnte Sicherheiten dazu, und das ist das, was oft am schwersten fällt.
In dem Sinne ist Sina Trinkwalder kein Maßstab, keine Vorbildfrau. Niemand sollte versuchen, sich an ihr zu messen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau – und sie ist bemüht, aus ihren Begabungen etwa Sinnvolles zu machen: „Ich habe etwas mehr Power mitbekommen und die nutze ich für Andere, die es schwerer hatten“.
Ob sie Feministin ist, habe ich sie gar nicht erst gefragt, inklusive Sprache kommt bei ihr nicht vor. Aber sie denkt, „dass Frauen das stärkere Geschlecht und eher bereit sind, aus den konventionellen Mustern auszubrechen und etwas zu verändern, zu initiieren“. Und sie tut etwas – ganz gezielt – für Frauen.
In ihrem Buch beschreibt sie, wie auf ihrer Suche nach Sinn eine Reisebekanntschaft in der Bahn ihr folgenden Satz mit auf den Weg gab: „Man darf nicht nur nach dem Sinn der eigenen Arbeit suchen, sondern vielmehr nach der Wirkung für unsere Gesellschaft.“ In ihren vier Semestern Betriebswirtslehre hatte sie gelernt: „Je mehr Sicherheit das Unternehmen einem Mitarbeiter gibt, um so weniger Geld bleibt unterm Strich für die Firma übrig“. Und das höchste Gut eines Betriebswirts sei es, möglichst viel unterm Strich zu generieren. Aber das hatte ihr und ihrem Mann schon in der Werbeagentur widerstrebt. Dort hatten am meisten diejenigen verdient, die (allein) eine Familie zu ernähren hatten.
Nun also ging Sina Trinkwalder noch einen Schritt weiter. Über einen soliden und angemessen bezahlten Arbeitsplatz wollte sie denjenigen Sinn, Sicherheit und Wertschätzung geben, die in der heutigen Wissensgesellschaft keinen Platz gefunden hatten. Das sind überwiegend Migrantinnen, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose. Alle sollten einen Stundenlohn von 10 Euro bekommen. Und das sollte in der Textilbranche sein – in Augsburg, einem alten Textilstandort, in dem in den letzten Jahren im Rahmen der Globalisierung fast alle Bekleidungsfabriken dichtgemacht hatten.
Nur – vom Nähen hatte sie keine Ahnung. Also kaufte sie sich die allerbeste Maschine und fing an zu üben. Denn das ist ihr Anspruch: Was ihre Ladys – so nennt sie liebevoll ihre Arbeiterinnen – an der Nähmaschine leisten müssen, will sie auch selber können, und zwar mindestens so gut und so schnell wie sie.
Ein zweites Ziel schälte sich heraus: Sie will der Welt, sich selbst und allen Zweiflern beweisen, dass man in Deutschland solide Textilien in Bio-Qualität industriell fertigen kann; ohne Lohn-Dumping, allerdings auch ohne jene riesigen Gewinnmargen, die nimmersatte Unternehmer in Bangladesh auf dem Rücken der Ärmsten der Armen erzielen.
Wie es dann weiterging liest sich in ihrem Buch spannender als ein Krimi.
Die Produktion von Sweatshirts und T-Shirts lief an, online-Bestellungen kamen von Anfang an mehr als erwartet – und dann gleich ein Großauftrag: 175 000 Stofftaschen in Bio-Qualität für die dm-Drogeriekette. Zu liefern in einem halben Jahr. Sina Trinkwalder traute sich das zu, nahm den Auftrag an und bestellte sofort riesige Mengen an Bio-Stoff: ohne die entsprechenden Maschinen, ohne eine Fabrikhalle in der passenden Größe, ohne Business-Plan und ohne Kredite. Auf Banken und Politiker ist sie nicht gut zu sprechen: Viele schöne Worte, viele nette Preise, aber wenn es darauf ankommt: null Unterstützung. Allerdings weiß ich auch nicht, ob ich als Bankerin einer so von sich selbst überzeugten Frau voller unrealistischer (?) Visionen einen Kredit geben würde.
Genau das ist der Unterschied. Sie traut sich, auszubrechen aus den gewohnten Mustern, Abläufen und Sicherheiten. Ich und mit mir die meisten anderen Menschen trauen sich das nicht. Deshalb verändert sie was.
Und deshalb hat sie auch eine ziemlich Wut auf all die Schönredner, die sie und sich mit irgendwelchen Preisen schmücken, aber nichts bewirken und doch immer nur auf irgendwelche Projekte und Fördermaßnahmen verweisen, die sich dann bei näherem Hinschauen als Luftblasen entpuppen.
Sina Trinkwalder ist auf der Höhe der Zeit. Das Spiel mit den modernen Medien beherrscht sie perfekt und hat dort nicht nur viele Bewunderer, sondern auch Unterstützer_innen, die über crowdfunding die Finanzierung sonst nicht bezahlbarer Maschine gesichert haben. Großes Herumreden ist nicht ihr Ding. Über Twitter verkündet sie vor der Aufschwung-Messe in Frankfurt: „Mein Merkzettel für die Keynote morgen? „Machen, machen, machen!” Ein Follower fragt: „Wie kann ich dich wählen?“ Sie antwortet: „Gar nicht. Ich hab in der Politik nichts zu suchen. Arbeiten & bewegen geht nur in der Wirtschaft :)“
Dadurch, dass Sina Trinkwalder immer und überall selbst mit anpackt, sind auch ihre Mitarbeiterinnen motiviert, zur Not auch mal ein Wochenende durchzuarbeiten, wenn es Engpässe gibt. Bei manomama gibt es keine Akkordarbeit. Vielmehr können die Frauen ihre Arbeitszeiten so koordinieren, wie es ihr sonstiger Alltag erfordert. Sie entscheiden selbst, wann sie Pause machen und von wann bis wann sie überhaupt an ihrer Nähmaschine sitzen. Ein Alptraum für jeden Controller. „Wir haben keine Hierarchien. Azubis und Chefin, alle können mitreden und Ideen beisteuern, wie wir die Arbeit hier gestalten.“
So hat sie es geschafft mit den 175 000 Taschen, trotz vieler Hürden und ab und an einem glücklichen Zufall. Eine wilde Geschichte!
Und die Produktion läuft weiter, nach dem Motto: „Vom Garn bis zur Naht in Deutschland hergestellt. Transparent, ökologisch, ehrlich“. Jeden Monat mehr als 20 000 Taschen, eine kleine Kleidungs-Kollektion und seit Neustem die Augschburg-Denim, eine Jeans in Bio-Qualität. Die gibt’s für 79 Euro im online-Shop oder beim real. Das ist nicht billig, aber auch nicht überteuert. „Was wir hier produzieren, müssen meine Ladys sich auch selber leisten können.“ Und zum Abschluss noch einmal ungebrochener Optimismus: „Ich habe den Ladys einen Arbeitsplatz bis zur Rente versprochen – und das Versprechen halte ich.“
Sina Trinkwalder, Wunder muss man selber machen, Droemer Verlag München 2013, 255 S., 16,99 Euro.
Mehr Infos: www.manomama.de
Ich glaube auch nicht “an den menschlichen Kapitalismus”, da kapitalistisches Wirtschaften sich nicht am guten Leben aller orientiert, sondern an Profitmaximierung, dem ein zerstörerischer Konkurrenzmechanismus innewohnt und Menschen zu Gewinner_innen und Verlierer_innen degradiert.
Sina Trinkwalders Engagement gefällt mir, und ich
wünsche ihr und dem ganzen Team alles Gute.
Wunderbar … ich glaube an den menschlichen Kapitalismus. Sina gibt mir Kraft. Alles in unserer Welt ist eine Frage des ernsten Engagements für Menschen und eben nicht in erster Linie für Geld. Das wird von ganz alleine, wenn jeder seine Exklusivität für eine Gemeinschaft (unterschiedliche Ebenen)
ehrlichen Herzens einbringt.
Herzlich Ingrid Siegel