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Von Antje Schrupp
In einer Serie fasst Antje Schrupp kapitelweise das Buch „Saving Paradise“ von Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker zusammen. Kapitel 11: Sterben aus Liebe.
Im 12. Jahrhundert starb die wahre, leidenschaftliche, glückliche Liebe. Stattdessen propagierten nun Bilder des gekreuzigten Christus eine Liebe, die sich vor allem in der Bereitschaft zeigte, für die Geliebten zu leiden und sich selbst aufzugeben. In Predigten, Gedichten und volkstümlichen Liedern wurde diese Vorstellung gefeiert: Wahre Liebende seien nur diejenigen, die bereit sind, für die Liebe zu sterben.
Für Brock und Parker beginnt damit eine „bis heute andauernde Liebesaffäre der westlichen Kultur mit der Gewalt“. Gleichzeitig wurde Sexualität im Raum der Kirche nun immer stärker bekämpft: Das Zweite Lateranische Konzil führte 1139 den Zölibat für Priester, Mönche und Nonnen ein.
In diesem Kapitel untersuchen Brock/Parker die theologischen Impulse wichtiger Theologen und Theologinnen dieses Jahrhunderts: Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, sowie Abaelard und Heloise, wobei sie vor allem letztere als eine Denkerin darstellen, die sich nicht von dem Trend ihrer Zeit zur Betonung von Leiden und Gewalt als religiöse Tugend habe verführen lassen.
Doch zunächst zu Bernhard, einem Zisterzienserabt und Mystiker, der das von ihm gegründete Kloster in Clairvaux als „Paradiesneugründung“ konzipierte und das Konzept einer mystischen, erotischen Gottesliebe in Form eines klösterlichen Lebens entwarf. Wer auf diese Weise lebt, so Bernhards Lehre, müsse nicht nach Jerusalem pilgern und an Kreuzzügen teilnehmen – im Gegenteil, das klösterliche Leben sei dem der Kreuzritter überlegen.
Trotzdem unterstützte Bernhard von Clairvaux die Kreuzzüge und legitimierte das „Töten der Bösen“. Brock und Parker finden in Bernhards Theologie die Grundlegung für die Idee, dass sich in wahrer Liebe „Eros und Gewalt vereinigen“ – die „gotteserotischen“ Mönche und die gewalttätigen Kreuzritter sind für ihn sozusagen zwei Seiten derselben Medaille. Insofern er beide parallelisiert, bekommt das Leben der Kreuzritter eine „mönchische“ Qualität und das der Mönche eine kriegerische. Das heißt, das Töten der „Anderen“ ist für Bernhard nicht mehr nur aus christlicher Sicht erlaubt oder eventuell sogar geboten, es bekommt geradezu eine spirituelle Komponente.
Hildegard von Bingen, die mit Bernhard in Briefkontakt stand, teilte viele seiner Ideen (und unterstützte ebenfalls die Kreuzzüge), dachte das Ganze aber endzeitlich weiter: Die Kämpfe auf dieser Erde dienen der Vorbereitung eines neuen Jerusalem. Dabei griff Hildegard auf frühere Ideen zurück, wonach die Menschwerdung Christi ein Zeichen dafür ist, dass Gottes Geist die ganze Erde berührt habe und alle Menschen durchdringe. Doch bevor die Endzeit anbricht, ist dieses „Paradies“ auch ihrer Ansicht nach auf die Klöster beschränkt. Dennoch fordert Hildegard die Christinnen und Christen dazu auf, sich bereits im diesseitigen Leben darum zu bemühen, diese göttliche Schönheit auf der Erde zum Erblühen zu bringen. Vom Gekreuzigten hingegen sprach sie, gegen den Trend der Zeit, selten.
Es gab auch christliche Strömungen, die die Kreuzzüge ablehnten und verurteilten, etwa die Katharer in Südfrankreich. Ein Kritiker der Kreuzzüge war auch Abaelard, der großen Respekt vor muslimischen und jüdischen Gelehrten seiner Zeit hatte und auch die Sühnetheologie Anselm von Canterburys ablehnte. Dessen Vorstellung, dass Gott das Blut von Unschuldigen zu irgendetwas brauchen sollte, fand Abaelard „pervers“. Gottes Perfektion könne durch menschliche Sünde nicht verringert werden, argumentierte Abaelard, und Gottes Liebe zu den Menschen sei unendlich, auch wenn diese sündigten. Gott brauche nicht, wie Anselm behauptete, eine „Bezahlung“ seitens der Menschen, um Gottes Ehre wieder zu installieren. Der Sinn des Kreuzestodes sei vielmehr, eine noch tiefere Liebe der Menschen zu Gott zu ermöglichen, weil Gott damit gezeigt habe, dass er für die Menschheit alles zu erleiden bereit sei.
Abaelards Originalität bestand laut Brocks/Parker darin, dass er den „inneren Gefühlen“ (dem Begehren, würde ich sagen) der Menschen etwas Positives abgewinnt. Gegen den damaligen Zeitgeist, wonach diese Gefühle sündig sind und überwunden werden müssen, sieht Abaelard in ihnen etwas normal Menschliches. Ebenso bestand er auf der Bedeutung der Intentionen – die Absicht zählt und nicht die bloße Tat, daher ist für ihn ein pures Befolgen von Regeln auch noch kein gottgefälliges Lebens. Auf diese Weise relativierte er auch die angebliche „Schuld“ der Juden am Tod Jesu: Sie hätten dabei nicht die Absicht gehabt, den Sohn Gottes zu töten.
Die Idee einer Erbsünde lehnte Abaelard ab, denn es sei unlogisch, dass Gott die gesamte Menschheit für Adams Sünde zur Rechenschaft ziehen sollte. Sünde wird laut Abaelard nicht „ererbt“, sondern entsteht aufgrund menschlicher Entscheidungen. Außerdem sei Adams Sünde klein gewesen im Vergleich zu dem, was andere Menschen seither schon gemacht hätten. Diese Neuinterpretation der Sündenlehre war ein Hauptgrund, warum Abaelard der Häresie angeklagt wurde.
Brock/Parker kritisieren an Abaelard, dass er aus lauter Betonung von Liebe und Hingabe das entschlossene Handeln vergesse. Er propagiere das Mitleiden, aber nicht das Handeln, das das Leid beenden will, womit Leiden und Tod romantisiert würden. Der starke Fokus auf die Innerlichkeit wiederum mache ihn unempfänglich für die konkreten Folgen des eigenen (Nicht-)Handelns, und der einzige Punkt, der ihn interessiere, sei die Reue des Sünders, aber nicht die Entschädigung derer, die unter seinen Sünden gelitten haben.
Heloise schließlich, zunächst eine Schülerin und heimliche Geliebte Abaelards, die nachdem ihre Affäre aufgeflogen und zum Skandal geworden war, ins Kloster ging, ist für Brock/Parker jene Theologin des 12. Jahrhunderts, die „an der Bedeutung, hier und jetzt im Paradies zu leben, festhielt.“ (299).
Ausführlich beschreiben sie das anhand der unterschiedlichen rückblickenden Bewertungen von Heloise und Abaelard in Bezug auf ihre eigene Liebesgeschichte. Für Heloise sei Liebe nicht ein ideales Gefühl, unabhängig von sozialen Bezügen, sondern eingebettet in Handeln, Verantwortlichkeiten und ähnlichem. Sie lehnte auch die Dämonisierung der körperlichen Sexualität ab und plädierte nicht für Machtlosigkeit aus Liebe, sondern für eine Form der Liebe, die in gegenseitige Fürsorge, Verpflichtungen und verantwortungsvollem Handeln mündet.
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