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Der Atem stiftet die Verbindung

Von Andrea Günter

Das beschäftigt die französische Philosophin Luce Irigaray in ihrem Buch „Das Mysterium Marias“, und Andrea Günter stellt uns dieses Buch hier vor.

cv_maria_low-150x237Maria wird verkündigt – und sie verkündigt selbst, so unterbreitet es der Evangelist Lukas mit dem Magnifikat. In dem geistigen Spannungsfeld von „verkündigt bekommen“ und/um „selbst zu verkündigen“ beginnt die Kontur Marias zu schillern.

Statt des alten Mannes eine junge Frau: die Philosophin Luce Irigaray verbindet die Inkarnation des Göttlichen mit einer jungen Frau. Dafür setzt sie bei der Bedeutung an, die der Atem gerade auch in den biblischen Schöpfungserzählungen für die Menschen annimmt. Der Atem stiftet die Verbindung zwischen Innen und Außen, zwischen Erde und Göttlichem, strömt oder wird zurückgehalten. Das „Mysterium Marias“, so der Titel von Irigarays Essay, lässt sich entlang dieser Linie beleuchten.

Zusammen mit dem Atem greift Irigaray weitere Ansatzpunkte auf, die die spirituelle Bedeutung Marias erhellen: Marias Virginität, ihr Schweigen, die Gnade, die sie erfährt, ihre Position zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, ihre Funktion als Brücke in der Zeit.

Denn den Atem teilen, so Irigaray, ist ein Ausdruck der Liebe, genauer gesagt der spirituellen Seite des Liebens. Marias Weisheit gründet auf dieser Praxis. Um diese spirituelle Seite menschlichen Lebens stark zu machen, verbindet Irigaray Gebürtigkeit und Schöpfungsberichte. Überhaupt werden mit den einzelnen Phänomenen sehr unterschiedliche Dimensionen menschlicher Spiritualität berührt. Geht es bei der Virginität um ein Verständnis von weiblicher Körperlichkeit, so beim Schweigen darum, wie Maria sich mit dem Außen in Beziehung setzt und welche Bedeutung dabei der Sammlung und Intimität zukommt.

Irigaray greift für ihre Interpretationen auf Konzepte zurück, die sie selbst entwickelt hat und die sie berühmt gemacht haben. So findet sie im Schweigen die Berührung der Lippen, für die französische Philosophin ein Ausdruck tiefster Selbstberührung und Autonomie.[1] In Bezug auf Maria stellt sie heraus, dass dieses Verschließen die Voraussetzung der Inkarnation ist, denn es ist die Voraussetzung dafür, sich autonom einem ganz anderen zu öffnen, letztlich dem männlichen Geschlecht des göttlichen Kindes.

Sich selbst berühren, berührt werden und berührt werden können werden als die sinnliche Seite der Gnade erkennbar. Jungfräulichkeit und Unberührtheit bekommt eine neue Würdigung. Irigaray schließt hier an ihren philosophischen Vorstoß an, dass sinnliche Transzendentale zu entwickeln.[2]

Letztlich kommt Irigaray auf diese Weise zu einer Sicht, die es erlaubt, das Geheimnishafte der Figur Mariens so zu fassen, dass dieses einerseits als Phänomen verständlich und notwendig wird. Durch die Stellung des Schweigens aber kann es andererseits gerade niemals fassbar werden. Maria bleibt autonom. Darin liegt der besondere Reiz dieser kleinen Interpretation – einer Interpretation, die nicht eine ist.

Luce Irigaray: Das Mysterium Marias, aus dem Frz. von Angelika Dickmann,
Les Éditions du Crieur Public GmbH: Hamburg 2011

Luce Irigaray: Die Zeit des Atems, Rüsselsheim 2000
Luce Irigaray (Hg.in): Der Atem von Frauen, Rüsselsheim 1997


[1]     Vgl. Irigaray, Luce: Wenn unsere Lippen sich sprechen, in: dies., Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979, 211-224.

[2]     Irigaray, Luce: Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt/M. 1991, v.a. 44-45, 87, 153, vgl. a. Anke Drygala, Andrea Günter: Paradigma Geschlechterdifferenz. Ein philosophisches Lesebuch, Sulzbach/Ts. 2010, 227-230; Andrea Günter: „Der Sternenhimmel in uns“: Transzendenz, Geschlechterdifferenz und die Suche nach Rückbindung bei Simone de Beauvoir, Luce Irigaray und den Philosophinnen von DIOTIMA, Königstein/Ts. 2003, 104-125.

Autorin: Andrea Günter
Redakteurin: Christel Göttert
Eingestellt am: 30.11.2013
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Monika von der Meden sagt:

    Dann lese ich doch lieber Christa Mulack über Maria.

  • claudia lodders sagt:

    In würzburg am seiteneingang der marienkirche gibt es ein bild,bei dem der atem gottes ein fertiges jesulein in marias ohr pustet.Auch hier schweigt maria,was soll das für ein mysterium sein ,das durch den atem weitergegeben wird?

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