Forum für Philosophie und Politik
Von Antje Schrupp
Gab es einen inhaltlichen „roten Faden“ bei der Denkumenta im Sommer? Schwer zu sagen, weil jede ja nur einen Ausschnitt aus der Vielzahl der Workshops mitbekommen hat. Aber für mich hat sich doch ein Thema herauskristallisiert, und zwar: „Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen.“
Deutlich wurde das etwa in Birge Krondorfers Vortrag „Geld essen Kritik auf“ und in der anschließenden Diskussion. Birge kritisierte die Tendenz politischer Frauenbildungsarbeit, zunehmend auf staatliche Förderung gesetzt zu haben und dass an Stelle von politischem Aktivismus die bezahlte Arbeit in „femi-sozialen Berufen“ (etwa staatlich finanzierten Frauenberatungsstellen) geworden sei.
In der anschließenden Diskussion trugen wir viele Beispiele dafür zusammen, und wir sprachen über unser Unbehagen an einer politischen Kultur, die sich Engagement nur „bezahlt“ vorstellen (auch, aber nicht notwendigerweise für Geld, sondern in dem weiteren Sinne, dass man selbst etwas „davon hat“). Und wenn schon nicht bezahlt, dann müssen aber zumindest die Auslagen erstattet werden.
Diese Kultur, die gesellschaftliches Engagement mit Selbstoptimierung und Verbesserung eigener Chancen verbindet, sie ist ja längst nicht auf die Frauenbewegung beziehungsweise ihre Projekte beschränkt, sondern inzwischen generell verbreitet.
Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Herstellung der eigenen „Employability“, der Einsatzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt, inzwischen zur ersten Bürger_innenpflicht geworden ist, und dass es immer schwieriger wird, den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen, wenn man sich dem verweigert. Ein anderer Grund ist, dass Einkommensverhältnisse prekärer geworden sind, sodass viele Menschen tatsächlich kaum Ressourcen haben, um über das Verdienen des Lebensunterhaltes hinaus noch viel machen zu können.
Andererseits gibt es auch viele, die durchaus mehr Spielraum für politisches Handeln jenseits dieser Logik hätten, weil sie nämlich vielleicht nicht super reich sind, aber doch längst nicht am Existenzminimum krebsen. Und die es dennoch nicht tun (obwohl sie beteuern, es eigentlich gerne tun zu wollen).
Es geht nicht nur um eine Frage von faktischen Möglichkeiten, sondern eben auch um eine der Prioritätensetzung: Ist politisches Engagement selbst für viele politisch Aktive am Ende nicht mehr selbstverständlicher Selbstzweck sondern bedarf einer Begründung und Legitimation vor der Frage: Was bringt dir das, was hast du davon?
„Das bringt doch nichts“ ist ja auch im Hinblick auf politische Aktionen als solche heute ein Argument, so als ob nicht das Tun des Richtigen für sich selbst Legitimation genug wäre. Nein, es muss heute auch „was bringen“, sonst, ja was? Ist es unprofessionell? Rechnet sich nicht? Auch das Politische wird in ökonomistischen Kategorien gedacht und bewertet.
Das ist vielleicht auch gar nicht so falsch, denn es hat durchaus mit Verhandeln und Abwägen zu tun. Denn: Wenn ich mich gegen den Mainstream stelle und etwas radikal hinterfrage, dann ist dafür logischerweise ein Preis zu bezahlen. Und deshalb ist es notwendig, dass wir uns (als Einzelne und als Kollektive) bewusst fragen, welchen Preis wir bezahlen können und wollen, um unsere Ideen und Projekte in die Welt zu bringen. Anstatt schon die Vorstellung, wir müssten dabei überhaupt irgendeinen Preis zahlen, für eine Zumutung zu halten.
Das betrifft im Übrigen auch die Frage, wofür Menschen Zeit aufwenden und wofür nicht. „Ich habe keine Zeit“ ist oft eine Standardantwort, mit der mangelnder politischer Aktivismus begründet wird, aber die Wahrheit lautet natürlich: „Ich habe mich entschieden, etwas anderes zu tun.“ Das ist ja auch nicht weiter schlimm, man beachte nur die kleine Verschiebung im Fokus: „Ich habe keine Zeit“ bedeutet, dass ich der Welt und ihren Verhältnissen ausgeliefert bin, die mir leider keine Option lassen. „Ich habe mich entschieden, etwas anderes zu tun“ hingegen belässt die Verantwortung bei der handelnden Person, also bei mir selbst.
Vermutlich ging auch der Workshop von Angelika Drabert in diese Richtung, dessen Titel lautete: „Zeit haben heißt, zu wissen, wofür man Zeit haben will.“ Leider habe ich daran nicht teilgenommen.
Mir ist bewusst, dass das alles jetzt etwas moralisch klingt, aber es ist nicht so gemeint (und fühlte sich bei der Denkumenta auch nicht so an), ich kann es nur noch nicht besser in Worte fassen. Worum es mir geht, ist eine politische Analyse, um zu verstehen, was geschieht, und was jetzt notwendig ist. Ich würde mich freuen, wenn andere diesen Resumée-Versuch noch ergänzen.
Danke Antje für Deinen Beitrag. Ich war bei der Denkumenta nicht leiblich dabei; habe aber von einigen Frauen davon gehört: Es war ein Kongress mit vielen Themen und mit körperlichen Aktivitäten. Viele unterschiedlichen Menschen (ca. 70 Frauen und 2 Männer) haben Raum und Zeit für sich gefunden oder haben finden können und konnten Kontakte knüpfen. Wie schön, dass bei diesem Kongress der Körper auch einen Raum bekommen hat. Ich erinnere mich an meine Studiums-Zeiten, wo letztlich nur die kopfmässige Stoff-Aufnahme einen Wert hatte. Das Hechten von Vorlesung zur Vorlesung war Gang und Gäbe. Und wir drehten alle im Kreis des hiesigen Systems, den Körper auf die Wartebank schiebend.
„Diese Kultur, die gesellschaftliches Engagement mit Selbstoptimierung und Verbesserung eigener Chancen verbindet, sie ist ja längst nicht auf die Frauenbewegung beziehungsweise ihre Projekte beschränkt, sondern inzwischen generell verbreitet. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Herstellung der eigenen „Employability“, der Einsatzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt, inzwischen zur ersten Bürger_innenpflicht geworden ist, und dass es immer schwieriger wird, den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen, wenn man sich dem verweigert. .. Und deshalb ist es notwendig, dass wir uns (als Einzelne und als Kollektive) bewusst fragen, welchen Preis wir bezahlen können und wollen, um unsere Ideen und Projekte in die Welt zu bringen.“
Deinen Satz Antje „Ich habe mich entschieden, etwas anderes zu tun.“ gefällt mir sehr. Ich entscheide mich, in erster Linie für mich selbst zu sorgen und meine Lebens-Energie mit Anderen zu teilen. Liebe Grüße Christine
Liebe Antje, deine Gedanken fand ich sehr treffend, und ich habe seit heute Nachmittag noch ein bisschen weitergedacht. Für mich waren zwei Angebote wichtig, nämlich der von dir erwähnte Workshop von Angelika Drabert zum Thema “Zeit haben heißt wissen, wofür man Zeit haben will” und das “Weiterdenken am Genug” mit Dorothee Markert.
Beim Zeitworkshop fiel es uns allen nicht schwer, zu sagen, wofür wir Zeit haben wollen – schwierig war es, zu sagen, worauf wir dafür verzichten wollen. Das ist für mich als Mutter von vier recht kleinen Kindern, Teilzeitberufstätige und eben eigentlich auch noch an anderen Zusammenhängen Interessierte nicht leicht. Da kommt es wirklich oft auf die Entscheidung an, was mir wirklich wichtig ist, und dafür finde ich dann irgendwie auch die Zeit – und was leider nicht geht. Denn irgendwo endet dann auch meine Kraft.
Beim Workshop von Dorothee Markert über das “Weiterdenken am Genug” fand ich einen Gedanken, der diese Entscheidung ein kleines bisschen erleichtert: die Beschränkung (die das Genug ja beinhaltet, für die Einzelne, für die Gesellschaft) weniger als Verzicht zu sehen, sondern mehr den Gewinn in den Blick bekommen. Wie du schreibst: “Ich habe mich entschieden, etwas anderes zu tun.”
Ich denke, es kommt darauf an, sich immer wieder neu zu entscheiden, was mir wichtig ist, und dann auch entsprechend zu handeln.
Und ich finde es aber auch schwer, neben allen realen Zwängen, die das Leben mit Kindern und eben auch die Berufstätigkeit mit sich bringen – oder eben auch in diesen Zwängen – die Freiräume zu finden, wo ich doch ein bisschen was von dem leben kann, was mir am Herzen liegt. Und andererseits auch mal akzeptieren, dass mehr (gesellschaftliches Engagement, oder auch nur Lesen und Denken zu Themen, die mir wichtig sind) gerade nicht geht.
Viele Grüße und danke für alle deine Texte, die mich immer wieder ein bisschen hinbringen zu dem, was mit den Worten der Denkumenta wohl (Neu-)Begehren heißt.
Anne
Für mich liebe Antje war als Thema besonders Inas Pretorius Ansatzpunkt „bedingungsloses Grundeinkommen“ wichtig, weil es halt grundsätzlich die Wirtschaft im Patriarchat anspricht: Wenn ich mit der bezahlten Arbeit für meinen Einsatz für die Allgemeinheit honoriert wäre, wäre der Tausch-Handel mit dem Geld als Mittel o.k. Wenn ich arbeiten gehen muss, um Tag für Tag auf Minimum zu überleben, wird mir schlecht dabei. Wenn ich aus „natürlicher Liebe“ dem „Haushalt“ dienen soll, glühen alle roten Lampen in mir auf. Nein! „Ihr könnt mich mal!!“ Ich entscheide mich anders. Ich werde in dieser Gesellschaft wahrscheinlich nie reich sein (um die Gegenleistung für meinen Trotz anzusprechen) – und das ist der Preis dafür, dass ich Tag für Tag hoffnungsvoll in den Spiegel sehen kann. Und so genoss ich die Wanderung bei dem ABC und Dein Kneipp-Programm Antje.
“Mir ist bewusst, dass das alles jetzt etwas moralisch klingt,…”
Nein, @Antje,überhaupt nicht moralisch im Sinne von schlechtem Gewissen machen. Für mich eher ein Appell an die
‘eigene Moral’ sich zu fragen, für was und wie ich bereit bin Verantwortung zu übernehmen? Und dazu gehört dieses bewusste Entscheiden in dem Sinne, wie du es hier formulierst:
“Ich habe mich entschieden etwas anderes zu tun”.
Was vermutest du hinter der Haltung, dass nicht wenige Frauen beteuern, dass sie politisches Handeln wichtig finden, es eigentlich gerne tun wollen und es dennoch nicht tun?
@Antje – werde mal demnächst direkt die Frauen darauf ansprechen, von denen ich weiß, dass sie politisches Engagement für wichtig halten, sich selbst aber nicht mehr
aktiv einmischen.
Ich finde, Judith Butler bringt es in ihrer so klaren, mir verständlich formulierten Weise zu denken auf den Punkt, wenn sie sagt:
“Wir müssen die Kunstform erlernen, uns zwischen dem Individuellen und dem Gesellschaftlichen hin- und herzubewegen. Und wir müssen verstehen, dass die beiden Sphären unabdingbar miteinander verbunden, aber nicht vollständig aufeinander reduzierbar sind. Was ich tun kann und was Sie tun können, ist unterschiedlich und hängt von unseren Fähigkeiten und Kräften ab. Damit Sie zu einer Idee von politischer Verantwortlichkeit gelangen können, müssen Sie herausfinden, was Sie von Ihrem besonderen Ort im Leben aus tun können, mit Ihrer Geschichte, Ihren Fähigkeiten und Ihren Grenzen.” Wenn ich das lese, macht es mir zutiefst Freude, weil ich so sein und agieren “darf”, wie ich heute bin. Und dafür bin ich verantwortlich!
Danke Fidi für dieses Zitat. Ach Leute… Habt ihr nicht mehr Aufbau-Stoff für ein klagendes Kind?
Ich habe als aufbauende Entlarvung herausgefunden, wie es sich mit der Zitrone und Citrone hat: Zitronen-Säure ist eine natürlich entstandene Substanz. „Citro“ ist ein in Laboren von den „Patri-Schöpfern“ (Alchemisten – s. C. von Werlhof) – den Ankurbeln der gängigen Wirtschaft – hergestelltes Produkt, mit dem Gewinne auf dem Markt zu machen sind. Wo aber die Käufer ausbleiben, kommen die Produzenten nicht weiter, oder?
liebe Antje, wie schade, dass ich dich jetzt nicht sprechen kann, ich kam eben zurück und lese deine Zeilen… da ist ja auch noch das Zusammengehörigkeitsgefühl, was jedes Engagement mit sich bringt: Frauenbuchladen…Wohngemeinschaften… die Kandidatin aufstellen und durchbringen, das Kaffeetrinken dazwischen, die Gespräche, die Dich begleiten, herzliche und offene…Familie…Kinder…Beruf…Freude…Ärger… so viel Emotionalität drum herum, jawohl: “es bringt” Unbezahlbares… nicht fassbar oder mit Geld aufzuwiegen..
Ich denke nochmal darüber nach, weil ich ja auch sehr alt-(modisch), dann muß ich noch jüngere Frauen fragen, ob sie mich verstehen… die alten wissen das…
Herzliche grüße Deine Gabi Bock (einstmals Gelnhausen)