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AFFIDAMENTO und DISFIERI – Mein Rückblick auf die Denkumenta

Von Jutta Pivecka

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Idee und Kreation: Eleonora Bonacossa
Text: Ina Pretorius
Serviette: Bildungshaus St. Arbogast
Goldene Wolle: Grußmutter von Regula Farner
Roter Garn: Ur-Großmutter von Regula Farner

Der Feminismus, den ich meine, ist einer der Abkehr von jenem Gestus, der für sich in Anspruch nimmt, für andere, gar für ALLE anderen, reden zu können. Für diese andere Art zu sprechen, die weder behauptet: „Was ich denke ist autonom und subjektiv.“, noch sich anmaßt zu sagen: „Ich habe denkend so von mir abgesehen, dass ich das Objektive, das Allgemeine, das Weibliche oder gar das Menschliche zum Ausdruck bringen kann“, für ein solches Sprechen von sich aus, aber auf die Andere, den Anderen zu, ein Sprechen aus der Differenz also, das Verbindung und Verbindlichkeit sucht, statt sie per se auszuschließen oder  schlicht vorauszusetzen, muss allererst eine Sprache gefunden werden. Auf der DENKUMENTA lag ein Buch auf dem Büchertisch, das ich lange schon lesen wollte, Dorothee Markerts brillante Übersetzung von Chiara Zambonis „Unverbrauchte Worte.  Seither lese ich darin, immer wieder unterbrochen durch andere Aufgaben und Notwendigkeiten, aber mit wachsender Begeisterung und Beglückung.

Die DENKUMENTA habe ich als einen Ort erlebt, von dem die Suche nach dieser Sprache ausgehen kann, eine Suche, die Vertrauen braucht, Optimismus entwickelnd, gegen die Wahrscheinlichkeit und für die Möglichkeiten. Die Begegnungen zwischen 70 Frauen und zwei Männern, das gemeinsame Denken, das Lachen und Spielen, Tanzen und Singen, Wandern und Waten, auch sich zurückziehen und für eine Weile allein bleiben, waren geprägt von einer Haltung, die die Differenz nicht überwinden, sondern leben will. Der schönste Moment für mich war jener, als Eleonora Bonacossa beschrieb, wie sie 2002 in Salzburg begriffen habe: „Das Patriarchat ist zu Ende, wenn wir nicht mehr daran glauben.“

Außerhalb von feministischen Zusammenhängen (und gelegentlich auch in diesen) wird „das Patriarchat“ häufig schlicht als „Herrschaft des Mannes“ übersetzt. Es war sehr entlastend auf der DENKUMENTA weiterdenken zu können, ohne immer wieder über diesen Irrtum aufklären zu müssen. „Das Patriarchat“ sichert keineswegs einer Mehrheit der Männer oder Männern im Allgemeinen die Herrschaft; im Gegenteil: Auch die meisten Männer bleiben im Patriarchat notwendig Knechte. Das Patriarchat, an das wir nicht mehr glauben und das damit zu Ende geht, ist vielmehr eine bestimmte Art zu denken, die von Dichotomien wie Herr und Knecht, Geist und Körper, Freiheit und Abhängigkeit ausgeht und zwischen diesen eine klare Hierarchie entwickelt, zum Beispiel: Philosophie ist bedeutender und menschlicher als Ackerbau; geistige Arbeit hat selbstverständlich einen höheren Wert als körperliche Arbeit; die „richtige“ Theorie ist wichtiger als die „richtige“ Praxis, Freiheit ist nur als Gegensatz zur Abhängigkeit vorstellbar. Die Dichotomie der Geschlechter ist diesem Denken nur ein – wenn auch konstitutives – Element. Die geistigen Höhenflüge der patriarchalen Denker waren immer schon undenkbar ohne das Wirken der Sklav_innen und/oder Hausfrauen, die sich all der Dreckarbeit annahmen, für die sich der Geist des Herrn zu schade war und blieb. Das Denken der Patriarchen hat immer schon die Mutter und ihre Sexualität unterdrücken, verleugnen und verschwinden lassen müssen.

Doch bleibt ein solch polemisches Sprechen wider das patriarchale Denken selbst noch der Sprache des Patriarchats verhaftet. Es geht nämlich weder darum, die Frauen in die „höhere Sphäre“ zu versetzen (also klassische „Gleichstellungspolitik“), noch die falsche Ordnung einfach umzudrehen mit Parolen wie „Zurück zur Natur“ oder indem Gefühle gegen die Vernunft in Stellung gebracht werden. Was vielmehr zu lernen, wofür Orte und Sprache zu schaffen sind, ist das Denken des DAZWISCHEN.

Der Beitrag der Frauen zu diesem Denken ergibt sich aus der Erfahrung im (noch) herrschenden Denken immer nur als „das Andere“ vorzukommen. Aus dieser Erfahrung lässt sich eine Tradition von Verfahren und Formen, wie dieses Denken zu unterlaufen ist, entwickeln. Diese Tradition können Frauen gemeinsam entdecken und fruchtbar machen, auf vielfältige Weise, durch die Schriften von Vorgängerinnen, durch die Weitergabe von Techniken des Handarbeiten, Kochens und Schmückens, durch die Anerkennung der Autorität der Mütter, im Wissen um die Gebürtigkeit: AffidamentoDie Fähigkeit zum Affidamento stellt damit eben jene andere Art Art, sich denkend zu nähern, zur „Analyse“ vor; (ein Wort, das Lessings Schwager Mylius nicht umsonst als „Zerstückelung“ ins Deutsche übersetzt hat). Dabei ist Affidamento keineswegs kritiklose Übernahme, sondern die Fähigkeit, sich in der Differenz zueinander zu erkennen.

Auf der DENKUMENTA ergab sich die Möglichkeit eines solchen Denken aus den Beziehungen der Frauen und Männer zueinander. Für mich war wichtig, dass Antje Schrupp etwas ausgesprochen hat, was ich vorher nur schwer in Worte fassen konnte: Diese Beziehungen sind kein „Netzwerk“. Ihre Basis sind nicht Zusammenschlüsse  als strategische Bündnisse mit bestimmten Zielvorstellungen (wie beispielsweise Parteien). Die Beziehungen, die sich in diesem Denken verweben, sind zunächst stattdessen Beziehungen zwischen zwei Personen, die sich aufeinander beziehen und eben nicht auf „eine Sache“. Aus diesen konkreten Beziehungen zwischen zwei Menschen ergeben sich dann immer wieder Überschneidungen mit anderen, es bilden sich an bestimmten Stellen des Denkens und Handelns „Knäuel“, wo zwei, drei, vier, viele miteinander Weiterdenken können, um sich dann auch wieder zu trennen, in anderen Beziehungen neu zu finden und wieder aufzulösen. So kann ein Denken entstehen, dem es nicht darum geht, etwas zu „widerlegen“, „niederzureißen“, „abzulösen“, also sich immer wieder in die fatalistische Abfolge der (gewaltsamen) Revolutionen einzureihen. Mir ist im Anschluss an die DENKUMENTA noch einmal auf neue Weise klargeworden, dass hierin auch der entscheidende Unterschied zwischen dem Gebrauch der Worte  „Dekonstruktion“ und Disfieri (Luisa Muraro; damit ist gemeint, etwas – ein Gewebe – auflzuösen, aufzutrennen, im übertragenen Sinne „ent- machen“, „ent-machten“) besteht. Denn bei letzterem geht es eben nicht darum, etwas als das „Falsche“ zu entlarven und zu zerstören, sondern es aus seiner „Verstrickung“ zu lösen, wie einen Faden aus einem Gewebe, um daraus etwas Neues zu stricken oder zu weben, aber immer so, dass wieder Fäden lose hängen bleiben, an denen gezogen werden kann. Es ist Denken, das nicht „Recht haben“ will, sondern sich selbst als Vorläufiges, als gemeinsam zu Umschreibendes, zu Verwendendes, wieder Aufzulösendes begreift, ein Denken jenseits der Begriffe, eine Bewegung auf die Namen zu, in dem Bewusstsein allerdings, dass wir ihrer niemals habhaft werden, dass sie sich uns nicht als Besitz öffnen, sondern durch Gebrauch.

Die Unordnung, die sich aus der Auflösung des Patriarchats ergeben hat, die  Zerfallserscheinungen einer immerhin Jahrtausende alten Art und Weise, sich die Welt zu erklären, macht vielen Angst, nicht nur Männern. Wenn nicht mehr gilt, was  bisher gesagt, wie die Worte bisher definiert wurden, dann kommt das Enteignungen gleich. Was (Herrschafts-)Wissen war, wird obsolet.  Auf der DENKUMENTA war praktisch erlebbar, was diesen Verlusten gegenüber steht: Die Lust am NEUBEGEHREN; die Hoffnung auf die Entdeckung der DIFFERENZEN, die Chance, das DAZWISCHEN endlich denken zu können, statt sich immer wieder in die unfruchtbaren Kämpfe um das Entweder-Oder zu begeben.

Am Anfang und am Ende von allem steht die DANKBARKEIT. Ohne die Fähigkeit zur Dankbarkeit wird es kein gutes Leben geben.

 

Danke den Veranstalterinnen der Denkumenta für diese Erfahrung!

***

Einer der beiden Männer, die bei der Denkumenta mitwirkten und -dachten, hat einen persönlichen Rückblick auf seinem Blog veröffentlicht. Matthias Jung über seine Erfahrungen bei der Denkumenta:

Matthias Jung: Differenz und Verbundenheit. Rückblick auf die Denkumenta

 

Buch:

Chiara Zamboni: Unverbrauchte Worte. Christel Göttert Verlag 2004, € 22,-

 (Dieser Text ist in leicht veränderter Form am 8.9. bereits auf www.gleisbauarbeiten.blogspot.com erschienen.)

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 12.09.2013
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ute Plass sagt:

    “Ohne die Fähigkeit zur Dankbarkeit wird es kein gutes Leben geben.”
    Eine mich bewegende Einsicht, die wiederum darauf verweist, dass es gilt, gutes Leben für alle zu wollen und zu tätigen. Gutes Leben für alle ist mit der Grund auf dem Dankbarkeit gedeihen kann.:-)

  • Jutta Piveckova sagt:

    Ja. Mich beschäftigt diese Einsicht/Erfahrung auch immer stärker. Es liegt auch viel Befreiung darin, nicht alles für selbstverständlich zu nehmen, für “ein Recht” zu halten. LG

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Es gibt keine *richtige” Theorie als einzigartig-einzig.Es gibt Einsicht(en).Es gibt keine einzige Praxis was richtig ist,sondern mehrere…

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