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Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 27. September wurde unter der Überschrift „Blut und andere Ressourcen“ über den Deutschen Historikertag in Mainz berichtet. Dieser wurde von Barockmusik des Komponisten Carl Heinrich Graun zu Ehren des 300. Geburtstags Friedrich des Grossen umrahmt. Den Auftakt gab die Arie der Kleopatra „Ich will Gemetzel, ich will Blut“, die von den Historikern anscheinend kommentarlos hingenommen wurde.
Diese Arie steht in der Tradition der Verleumdungen, welche die schöne ägyptische Königin seit der Antike umgaben. Wie einer ihrer fairsten Biographen, Manfred Clauss (München 2000) herausstellt, war Kleopatra (69-30 v.Chr.) bereits für ihre Zeitgenossen ein willkommenes Projektionsfeld, um von der brutalen Vorgehensweise der römischen Herrscher abzulenken.
In Wahrheit war Kleopatra völlig abhängig von der Römischen Streitmacht und Königin von Ägypten nur von Roms Gnaden. Um in dieser Situation die relative Unabhängigkeit ihres Landes zu bewahren, setzte sie die ganze Palette ihrer hohen Gaben ein: ihre ausserordentliche Bildung und die Beherrschung mehrerer Sprachen, ihre Redegewandtheit und ihren von allen Zeitgenossen gerühmten Charme, sowie nicht zuletzt ihre erotische Ausstrahlung, mit der sie die leidenschaftlich Zuneigung Julius Caesars und später des Marcus Antonius gewann.
Wenn über Kleopatras angebliche „Lasterhaftigkeit“, ihre „Verschwendungssucht“ und ihre „Mordlust“ berichtet wird, so sagt dies mehr über die Berichterstatter aus als über sie selbst. Es spiegelt, schreibt Manfred Clauss, die Alpträume der Männer aller Zeiten: ihre Angst vor starken Frauen und deren erotischer Faszination, die ihre Phantasie zu männermordenden Bestien macht.
Denn Kleopatra ist nicht die einzige, die auf diese Weise verzerrt dargestellt wird. Die erste in dieser Reihe ist die „Sünderin“ Eva, die mit ihrem Ungehorsam gegen Gott die Menschheit ins Verderben gestürzt haben soll. In Wahrheit bedeutet ihr Name „Mutter alles Lebendigen“, und ihr waren der Grantapfelbaum als Symbol der Fruchtbarkeit und die Schlange als Zeichen der Lebenskraft und der Wiedergeburt zugeeignet.
Patriarchale Verleumdung ereilte auch die griechische Pandora, die, wie ihr Name „Die Allgebende“ sagt, eine Leben spendende Göttin war, bevor Hesiod sie zur männermordenden Attrappe machte, die aus ihrer Büchse – dem Kästchen, welches das Geheimnis des Lebens birgt – alle Übel der Welt entweichen ließ.
Eines der bekanntesten Motive aus der griechischen Mythologie, das häufig auf griechischen Vasen dargestellt ist, ist die Amazonensage. Diese starken und schönen Frauen sollen angeblich Knaben schon bei der Geburt umgebracht und sich selbst eine Brust abgeschnitten haben, um in ihrem Kampf gegen die Männer die Bogenwaffe besser handhaben zu können.
Doch diese Amazonen gab es nie, bis heute wurde von ihnen nicht die geringste historische Spur entdeckt. Ellen Reeder hat in ihrem Buch „Pandora“ (Basel 1996) die wahren Motive solcher Erzählungen entlarvt: die Furcht vor der „ungezähmten“ Frau und die Rechtfertigung dafür, sie zu unterdrücken und zu beherrschen.
Christa Wolf ordnet in diese Reihe auch den Mythos von Medea und ihrer blutigen Rache an Jason ein, die in der Tötung ihrer Kinder gipfelt. Doch unterstellt hier bereits die älteste schriftliche Quelle, die überliefert ist, nämlich das Drama des Euripides, die mörderischen Taten Medeas. Wolf stützt sich bei ihrer Argumentation auf die nicht unberechtigte Annahme, die Griechen hätten die Geschichte zu ihren Gunsten entstellt, um ihre eigenen Grausamkeiten als Kolonisatoren auf die „Fremde“ (Medea stammte aus Kolchos) zu projizieren.
In der jüdischen Tradition übernimmt Salome die Rolle der männermordenden Frau, obwohl ihre Figur historisch blass bleibt und sie kaum mit der Hinrichtung Johannes des Täufers in Verbindung gebracht werden kann. Das hinderte Dichter, bildende Künstler und Musiker nicht daran, die Schauergeschichte von Salome über Jahrhunderte hinweg künstlerisch zu gestalten.
Die Liste solcher Projektionsfiguren ließe sich bis in die Neuzeit verlängern. So lenkten in der Vorgeschichte der französischen Revolution namhafte Journalisten die berechtigte Volkswut gegen die herrschende Monarchie auf die Königin Marie Antoinette. Die junge, aus dem österreichischen Kaiserhaus stammende Marie Antoinette war in ihrer Naivität und in Ermangelung nützlicher Aufgaben ganz den adeligen Vergnügungen und dem üblichen Luxus zugetan. Deshalb war es ein Leichtes, ihr in der so genannten „Halsbandaffaire“ Verschwendungssucht vorzuwerfen, obwohl sie an diesem Handel nicht aktiv beteiligt war. Zudem kursierten pornographische Kupferstiche, die sie als sexuell unersättliche Frau darstellen. Ihre Verbindungen zum Hof in Wien taten das Übrige, um den Fremdenhass der Franzosen zu schüren.
Merkwürdig bleibt, wie lange sich solche Hirngespinste halten können. Vermutlich verdanken sie sich in der Tat einem untergründigen Frauenhass, dessen Tiefen noch immer nicht durchschaut sind.
Danke für diesen Text.
Genau dies muss und möchte in die Welt.
Gegen den ständig anderen Blick, diesen aus Frauenperspektive wiederholen, wiederholen, wieder holen.
Mich freut, dass Christa Wolf hier erwähnt wird.
Welche weiter forschen möchte: Bücher von Gerda Weiler zum “enteigneten Mythos” stärken diesen anderen Blick.
Super und bitternötig, diese Zusammenstellung!
Danke. Werde wieder viiiiel konsequenter darauf schauen, was Berichtetes über die Berichtenden sagt.
Wahnsinn, wie deszipliniert meinen “anderen” Blick immer wieder schärfen muss ….
ein guter Text, jedoch wiederholt sich dies täglich: kaum hebt sich Frau nur wenig ab, dann wird sie unsachlich beäugt , kritisiert.. oft auch von uns Frauen !
diese genauen Texte zu Alltagsbeobachtungen gefallen mir. Bitte mehr!
Gabi Bock
danke!
für die Glut aus der Asche!
das wärmt
das belebt die Augen – Blicke!
Unsere Ahninnen:
wie schön klug sie sind
(nicht nur waren!)
heli voss