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Von Antje Schrupp
In diesem Kapitel geht es darum, wie in den ersten Jahrhunderten im Christentum die Verbindung Mensch-Gott gesehen wurde. Von „Nachfolge Christi“ zu sprechen bedeutete, dass die Kraft Gottes in Menschen präsent sein kann, ohne dass eine irdische Macht sie zerstören kann. Etwa eine Generation lang war verbreitete Lehre vieler Kirchenführer_innen, dass Menschen durch die Taufe dieselbe göttliche Kraft wie Jesus Christus bekommen können.
Die „Göttlichkeit“ (oder abgeschwächt: Gottesebenbildlichkeit) der Menschen steht in Verbindung zum Paradies, denn sie wird auf Genesis 1-3 zurückgeführt, wo die Schlange der Frau sagt, wenn sie vom Baum der Erkenntnis isst, werde sie wie Gott. Adam und Eva, so glaubten die frühen Christ_innen, seien für dieses Wissen jedoch nicht vorbereitet gewesen und mussten daher das Paradies verlassen. Jesus habe diese Vertreibung rückgängig gemacht und den Menschen wieder ermöglicht, was sie von Anfang an gewollt hatten: Wie Gott sein. Oder andersrum: In einem christusgemäßen Leben manifestiert sich die Göttlichkeit der Menschen.
Brock/Parker glauben, die frühen Christ_innen hätten eine Verbindung zwischen dem „Sohn“ und der „Sonne“ gesehen und verweisen auf den „Herrentag“ am „Sonntag“ und die vielen Assoziationen, die zwischen Jesus und dem „Licht“ gezogen werden. Die Christinnen und Christen beteten zum Beispiel in Richtung der aufgehenden Sonne, nach Osten, in Richtung des Paradieses (daher kommt das Wort „orientiert“).
Zur Zeit Jesu wurden Römische Imperatoren gewöhnlich als Söhne ihres Gottes betrachtet. Im Johannesevangelium (10,34-38) sagt Jesus von sich selbst, er sei Gottes Sohn mit der Begründung, das könne man an seinen Handlungen ja sehen. Er zitiert dabei Psalm 82, wo Gott selbst die Bedeutung von Gottsein so beschreibt: „Verschafft Recht den Unterdrückten und Waisen; verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht! Befreit die Geringen und Armen, entreißt sie der Hand der Frevler.“
In der westlichen Theologie ist diese Vorstellung, dass Menschen Gott „verkörpern“ können, später weitgehend ignoriert worden. Entweder hat man sie als heidnische Fehlinterpretation angesehen oder als unrealistisch abgelehnt, weil die menschliche Natur grundsätzlich sündhaft sei. Hingegen wurde zunehmend das Leiden Jesu am Kreuz betont, denn darin sei seine Menschlichkeit erkennbar. Aus dieser Perspektive bedeutet Nachfolge Christi nicht mehr, Stärke zu haben und diese zu gebrauchen, sondern im Gegenteil der Macht zu entsagen durch Ergebung, Gehorsam und Demut.
Brock/Parker haben aber im frühen Christentum die Idee der menschlichen Göttlichkeit („Theosis“) sehr oft gefunden, nicht weil sich die Theologen damals Illusionen über die menschliche Natur gemacht hätten, sondern weil sie davon ausgingen, dass Menschen gutes Leben nur verwirklichen können, wenn sie eine starke Kraftquelle haben.
Viele frühen Kirchenlehrer beschäftigten sich mit der Frage, wie „Theosis“, also die Gottwerdung der Menschen, möglich sein könnte. Gregor von Nazianz etwa fand die Formel: „Gott ist Mensch geworden, und die Menschheit wurde vergöttlicht.“ Ähnlich Gregor von Nyssa, der aber klarstellte, dass diese Gottgleichheit nicht von einem einzelnen Menschen verwirklicht werden kann, sondern nur von Menschen in Gemeinschaft. Theosis erfordert zwar die Anstrengung der Einzelnen, aber die Vergöttlichung der Menschheit war ein gemeinsames Gut und wurde nicht im Sinne einer individuellen Erlösung verstanden. Laut Irenaeus ist der Schlüssel zur Theosis Weisheit, also die Erkenntnis von Gut und Böse – hier wieder die Anspielung auf die Paradiesgeschichte.
Die Christ_innen wussten aber, dass Theosis in diesem irdischen Leben nicht völlig verwirklicht werden kann, weil auch nach der Taufe noch Sünde möglich ist, weil Menschen immer wieder in der Gefahr stehen, Sünden zu begehen, in der Bedeutung von „ungöttlich handeln“. Der Umgang mit der Sünde war daher ein wichtiger Bestandteil frühchristlicher Gemeinden, es gab ausgefeilte Regeln zum Umgang damit, etwa Ausschluss aus der Eucharistie oder Buße. Das hing jeweils auch mit der Schwere der Sünde zusammen.
Ein spezielles Problem war (neben Ehebruch und Glaubensabfall) das Töten, das für Christ_innen klar verboten war und ja auch ganz offensichtlich „Sünde“ ist. Allerdings schrieb das römische Recht ab dem 5. Jahrhundert vor, dass alle Soldaten Christen sein mussten, und das ergab natürlich ein gewisses Dilemma. Theologen versuchten, Lösungen dafür zu finden. Manche argumentierten, dass es in bestimmten Situationen gerechtfertigtes Töten gebe (Ambrosius etwa meinte, es könne gerecht sein, Juden und Barbaren zu töten).
Ein Kodex aus dem 5. Jahrhundert sagt, ein Christ solle niemals freiwillig Soldat werden soll, wenn er aber dazu verpflichtet werde, solle er möglichst nicht töten, und wenn doch, dann dem Abendmahl fernbleiben, bis er nach einer entsprechenden Buße wieder teilnahmen darf. Diese Buße konnte jedoch nur einmal im Leben abgelegt werden und dauerte sieben Jahre. Also machten die Soldaten das meistens am Ende ihrer Laufbahn, wenn die Gefahr gering war, anschließend noch einmal töten zu müssen. Die Buße hatte öffentlich stattzufinden. Soldaten konnten auch keine kirchlichen Ämter einnehmen.
Diese Buße wurde nicht als jedoch nicht im heutigen Sinn als Strafe für ein moralisches Vergehen verstanden, sondern eher als „Medizin“, die einen vom Bösen infizierten Menschen wieder „heil“ machte. Priester waren keine Glaubensvermittler, sondern eher so etwas wie „Ärzte für die Seele“. Johannes Chrysostomus etwa unterschied die christliche „Buße“ klar vom juristischen Strafsystem, unter anderem, weil für die Buße die freie Einwilligung des Büßenden notwendig ist, während eine Gerichtsstrafe per Zwang auferlegt werden kann.
Dieses Bußverfahren wurde durch die Gemeinde begleitet, im Sinne einer Unterstützung des „Heilungsprozesses“, und dabei, die Verantwortung für die Folgen des sündhaften Tuns zu übernehmen bzw. mit dessen Konsequenzen umzugehen. Regel, dass Soldaten in Klöstern Buße für das Töten ablegen mussten, finden sich noch bis zur normannischen Invasion im Jahr 1066.
Die Frage, ob Theosis, also Gottwerdung, auch für Frauen möglich ist, war bald schon umstritten, weil das natürlich Auswirkungen für die Geschlechterordnung gehabt hätte (wenn zum Beispiel eine Christin mit einem Nicht-Christen verheiratet wäre und diesem aufgrund ihrer „Göttlichkeit“ als überlegen hätte betrachtet werden müssen, während sie ihm nach römischem Recht unterlegen war). Hier liegt auch die Quelle der christlichen Interpretation der Genesis als Beleg für eine besondere „Sündhaftigkeit“ Evas (was es im Judentum nicht gegeben hat), weil dies eine Möglichkeit war, die im Römischen Recht verankerte prinzipielle Unterordnung der Frauen auch christlich zu legitimieren.
Die Konsistenz des ursprünglichen christlichen Menschenbildes geriet also in Konflikt mit der patriarchalen Geschlechterordnung des Römischen Reiches – ein Prozess, der auch dadurch befördert wurde, dass nach der Anerkennung als Staatsreligion viele Männer aus der römischen Elite den christlichen Gemeinden beitraten. Einige Bischöfe, vor allem Ambrosius, versuchten, ihnen entgegen zu kommen, und etablierten eine „privilegierte Männlichkeit“ auch innerhalb der Gemeinden.
In diesem Kontext wandelte sich auch die Bedeutung von „Jungfräulichkeit“: Aus einem Zeichen für weibliche Souveränität und Unabhängigkeit wurde ein Zeichen für Zurückhaltung und Unterordnung unter das Männliche.
Frauen hingegen beriefen sich auf die Theosis, um für sich spirituelle Autorität zu beanspruchen und sich aus dem römischen Ehesystem herauszuhalten, also nicht zu heiraten. Dies war besonders heikel, weil Rom Heiratsgesetze hatte, die empfindliche Steuerstrafen für Bürgerinnen und Bürger vorsah, die sich weigerten, zu heiraten und Nachwuchs zu produzieren. Bei einer Kindersterblichkeit von 60 Prozent und einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 26 Jahren war Rom existenziell darauf angewiesen, dass jede Frau so viele Kinder wie möglich zur Welt brachte. In der Westkirche ist die Ehe erst im Mittelalter zum Sakrament erklärt worden.
Im 2. und 3. Jahrhundert wurde der Einfluss von Frauen in den christlichen Gemeinden (etwa ihr Auftreten als Gemeindeleiterinnen) zurückgedrängt, und im Jahr 441 wurde die Frauenordination beim Konzil von Orange verboten. Interessanterweise musste dieser Beschluss 533 beim Konzil von Orleans erneut gefasst werden, was ein Hinweis darauf ist, dass sich wohl nicht alle Gemeinden daran gehalten hatten. Als Dekaninnen waren Frauen noch das ganze 6. Jahrhundert über aktiv. Das römisch-katholische Verbot der Frauenordination beruft sich noch bis heute darauf, dass Frauen das Bild Christi nicht verkörpern können.
Eine weitere Veränderung: Im 6. Jahrhundert kam bei einigen Bischöfen die Idee auf, dass die von Herodes massakrierten Kinder die ersten Märtyrer gewesen seien. Seither wird immer nach Weihnachten eine Messe für sie gelesen. Dadurch verschob sich die Bedeutung des Märtyrertums weiter von jemandem, der/die eine aktive Rolle gegen das Böse (das Imperium, die irdische Macht) einnimmt und sich auch mit Todesdrohungen nicht davon abbringen lässt, hin zur Betonung der Hilflosigkeit und Unschuld der Opfer. Eine Wahl zu haben und stark zu sein war dann immer weniger mit der Idee des christlichen Martyriums zu vereinbaren – eine Verschiebung, die parallel zur Bedeutungsverschiebung bei der weiblichen Jungfräulichkeit verlief.
Später, im Verlauf des 2. Jahrtausends, ist die Bedeutung von Theosis als die Anstrengung der christlichen Gemeinschaft, das Werk Gottes zu tun, immer mehr verblasst. Weisheit und Erfahrung galten nicht mehr als Weg zur Gottesebenbildlichkeit, sondern wurden eher als Gefahr gesehen. Die Kenntnis von Gut und Böse wurde zu einem Merkmal der „irdischen Welt“, während das Paradies sich in einen Ort für die „Reinen und Unschuldigen“ verwandelte.
Nach Ansicht von Brock/Parker führte das zu einer paternalistischen Haltung, weil das ideale Verhalten christlicher Machthaber nicht mehr die war, auf irdische Macht zu verzichten oder sie nur nach Maßgabe der „ethical grace“ zu nutzen, sondern im Gegenteil: Sie sollten sie nun dazu einzusetzen, die Reinen und Unschuldigen zu beschützen. In dieser Logik war nicht mehr der Abbau von irdischen Hierarchien christliches Programm, sondern die Gemeinde selbst wurde als Hierarchie verstanden. Entsprechend entwickelte sich auch Jesus im 2. Jahrtausend zu einem missbrauchten und unschuldigen Opfer, und sein toter Körper am Kreuz wurde das Sinnbild für Heiligkeit.
Weiter zum nächsten Kapitel: Die Vertreibung aus dem Paradies
Liebe Lüüt,Es gibt verschiedene Beziehungen und diese müssen erstmal akzeptiert sein.Vage Aussagen von christliche Menschen die nur Heteros in ihrem Leben zulassen und eine Stimme geben ist nicht mehr real.Manche getrauen heute noch nicht sofort ihren Art und Zuneigung kund zu tun,weil z.B.die Eltern und ihr Umfeld bremsen,sie in Spannungen und Glaubenskonflikt kommen die sie nicht aushalten können ?! Was geht also vor? Schon ziemlich rasch wissen wir wie wir geartet sind und möchten nicht immer lügen müssen.Die Heteros sind immer noch die Mehrheit,aber das ist kein Grund Frauen und Männer in andere Beziehungen nicht zu akzeptieren,ob Jung oder Aelter.Auch muss man/Frau deswegen nicht immer scheiden wenn die Sexualität unter das Ehepaar zu Ende gekommen ist und Freundschaft möglich,bis ins hohen Alter.