Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Die Vintschger Typenlehre ist ein aufschlussreiches Buch aus Südtirol, das mit altem, von der Oma überlieferten, Geheimwissen dazu beitragen möchte, sich selbst und andere besser zu verstehen.
Die Oma hat der kleinen Astrid Schönweger erst davon erzählt und dann mit ihr geübt: zu erkennen, ob ein Mensch eine Sonne, eine Sonnenfinsternis, Vollmond oder Neumond ist. Und nun hat die Südtirolerin dieses alte Geheimwissen um die verschiedenen Menschentypen, das ihre Oma ihr über Jahre hinweg ganz heimlich hinter dem Rücken der Eltern weitergegeben hat, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ganz bewusst hat sie dem Buch den Titel „Die Vintschger Typenlehre“ gegeben, um damit ihre Oma, eine Bäuerin aus dem Vintschgau, zu ehren und zugleich auch die Region, in der dieses Wissen entstand.
Wir werden mit hineingenommen in eine außergewöhnliche Großmutter–Enkelin-Beziehung, in der das alte Wissen immer nur von der Großmutter auf eine Enkelin weitergegeben werden durfte. Die Oma zog sie dafür heimlich in die Speisekammer und weckte sie sogar nachts, aber dann in erster Linie, um nach ihren Träumen zu fragen. Astrid Schönweger deutet an, dass das für ihre Mutter, die nicht eingeweiht wurde, nicht einfach gewesen sein muss: „Wahrscheinlich habe ich von Oma mehr Aufmerksamkeit bekommen, als sie und ihre Geschwister gemeinsam jemals von ihrer Mutter.“ Immerhin hatte die Oma zwölf Kinder, war aber ansonsten eine Bauersfrau, die unauffällig in ihrem Dorf lebte. Die Autorin hat sich als junge Erwachsene lange gesträubt, sich dem ererbten Geheimwissen zu widmen, lebte vielmehr in der Stadt, studierte und wurde eine ‚Kopfete‘ wie die Oma es nannte. Aber auch damit konnte die Oma umgehen und ließ sie ihre Erfahrungen machen: „Jede Erfahrung, ob gut oder schlecht, wenn Du etwas gelernt hast, war sie gut!“
Typologien sind nichts Neues
Die Mitmenschen zu ordnen und damit in Schubladen zu pressen? Viele schütteln voller Vorbehalte den Kopf – um dann aber doch neugierig nachzufragen, was sie denn wohl für ein Typ sein könnten. In fast allen Kulturen haben sich Typologien herausgebildet, die sich mal mehr, mal weniger unterscheiden; wir kennen sie schon von den alten Griechen mit Sanguinikern, Phlegmatikern, Melancholikern und Cholerikern, aber nirgends sind die Typen so liebevoll und undogmatisch beschrieben, wie in der Vintschger Typenlehre. Astrid Schönweger und ihr Co-Autor Ulrich Gutweniger sind Profis genug, um Menschen nicht Schablonen überzustülpen. Vielmehr haben sie das großmütterliche Erbe heiter und mit viel psychologischem Hintergrundwissen aufbereitet. Es geht dabei auch nicht darum, es sich mit irgendwelchen Zuschreibungen bequem einzurichten, sondern das Gegenüber besser zu verstehen und, wenn man dies möchte, innerhalb seines Typs „in die Kraft zu kommen“, wie sie es nennen. „Wohin wir die Aufmerksamkeit lenken, dahin werden sich unsere Schritte von heute ins Morgen begeben“, zitieren sie „Omas Weisheit“.
In die Kraft kommen
Voller Menschenliebe und ganz ausführlich beschreiben sie die unterschiedlichen Eigenschaften, die zu den Typen gehören und die dann zum Problem für uns werden können, wenn wir nicht in der Kraft sind, aber großen inneren Reichtum ermöglichen, wenn wir erkennen, welche Ressourcen sie beinhalten.
So erzählen sie von der Sonne, diesem kommunikativen, optimistischen Typ voller Energie, der immer jemand zum Anstrahlen braucht, aber auch aufpassen muss, Prioritäten zu setzen und sich nicht wahllos zu verstrahlen. Oder von der zurückhaltenden Sonnenfinsternis, die immer erst mal eine Situation erforscht und die Welt mit dem Verstand ergründet, nach dem Motto „Ich denke, also bin ich.“ Bei ihr besteht die Gefahr, dass sie, wenn sie ihren Gefühlen und Impulsen nicht den nötigen Raum gibt, in Zynismus und Sarkasmus verfällt. Der sanfte Vollmond wiederum ist voller Herzenswärme, lebt ganz in seinen Gefühlen. Dazu gehört auch die Veranlagung, traurige Stimmungen auf sich zu ziehen. Für den Vollmond ist es wichtig, sich nicht zu sehr den eigenen Stimmungen auszuliefern und in Selbstbetrachtung zu versinken. Der Neumond schließlich ist der Typ, den die Oma, die selber ein Vollmond war, am meisten bewunderte. Er setzt sich problemlos über bestehende Regeln hinweg und hat Freude am Widerstand. Er hat einen wachen Blick, kann sich überaus gut abgrenzen und weiß, was er tut. Immer hat er auch die Schattenseiten im Blick, was dazu führen kann, zu sehr nach „dem Haar in der Suppe“ zu suchen und sich dadurch Lebensfreude zu nehmen.
Die Parabel vom Stein
Humorvoll werden die Unterschiede auch in einer Parabel herausgearbeitet: Wenn die vier Typen miteinander eine Bergwanderung machen und plötzlich ein großer Stein mitten auf dem Weg das Weiterkommen blockiert, wie reagieren sie? Der erste kommt daher und springt über den Stein, ohne weiter darüber nachzudenken – die Sonne. Der nächste setzt sich davor nieder, ist traurig, dass es nicht weitergeht und hofft, dass ihn vielleicht jemand hinüberträgt – der Vollmond. Der dritte ist wütend, dass ihm da etwas den Weg verstellt und würde den Stein am liebsten wegsprengen oder zumindest beiseite stoßen – der Neumond. Der vierte schließlich setzt sich davor nieder, fängt an den Stein zu vermessen und seine Beschaffenheit zu prüfen. Erst nachdem er lange nachgedacht hat, entscheidet er sich, ob er den Stein überwinden oder einen anderen Weg nehmen soll – die Sonnenfinsternis.
Das Südtiroler Autorenteam meint: „Wenn Sie sich mit der Vintschger Typenlehre befassen, hören Sie damit auf, von der eigenen Nase auszugehen und von anderen Menschen die gleichen Denkweisen, Fühl- und Handlungsweisen zu erwarten. Vielmehr beginnt ein Verständnis des ‚Anderssein‘ des Mitmenschen, das Aufeinander-Zugehen mit Berücksichtigung der jeweiligen Verschiedenheit.
Eigene Kapitel widmen sich zu jedem Typ auch den Besonderheiten von Frauen, Männern und dem jeweiligen Kind und in vielen Fotos sind die entsprechenden Stimmungen umgesetzt: „Denn Bilder sind es, die nicht nur den Geist, sondern auch die Seele ansprechen.“ Nicht ganz ausgreift und etwas oberlehrerhaft erscheinen der Duktus und die Beispiele in den Kapiteln mit den Vorschlägen, wie denn die einzelnen Typen in ihre Kraft kommen können. Trotzdem lohnt es sich darüber nachzudenken, denn wie lehrte doch die Oma: „Zufälle fallen einem zu“ und „Was hat das mit dir zu tun?“ zu fragen und den Sinn dahinter zu suchen
„Oma war beispielhaft“
Mit dem Buch über die ‚Vintschger Typenlehre‘ haben wir ein Hilfsmittel bekommen, uns selbst und andere besser zu verstehen. Es hat nichts gemein mit herkömmlicher Ratgeberliteratur sondern ist ein angenehmes Lesebuch voller Weisheit. Von Frau zu Frau bereitete die Großmutter ihre Enkelin auf die Zukunft vor: „Die Zeiten ändern sich. Ich habe es geträumt und ich spüre, dass du nicht mehr auf die Enkelin warten musst, um das Wissen weiterzugeben. Du wirst es selbst merken, wann, wie und was du den ‚anderen’ von unserem Wissen mitteilen wirst.“ Mit diesem Buch hat Astrid Schönweger die Prophezeiung ihrer Oma realisiert.
Astrid Schönweger, Ulrich Gutweniger, Die Vintschger Typenlehre, Loewenzahn Verlag Innsbruck 2011, 342 S., 23,30 Euro.
Liebe Juliane, du bringst es schön auf den Punkt, was das Hilfreiche an jeder Art von Typenlehre ist – ob nach Sternzeichen, Blutgruppen, Elementen, Formen der Angstabwehr oder eben wie hier nach Sonne- und Mondbildern – besser damit zurechtzukommen, dass andere anders sind und man selbst auch, um dann das Beste daraus zu machen. Danke für die Rezension!