Forum für Philosophie und Politik
Von Dorothee Markert
Ich habe mich sehr gefreut, als ich hörte, dass Ina Praetorius ein Büchlein veröffentlichen würde, in dem sie vor allem auch für jüngere Frauen, die nichts mehr über die Frauenbewegung wissen, aufzeigen wollte, dass die Frauenbewegung auch noch etwas anderes wollte und will als Gleichberechtigung. Ich war ihr auch sehr dankbar, dass sie die Mühe auf sich nahm, ein solches Buch zusammenzustellen und zu schreiben. Da ich Ina und ihre Veröffentlichungen sehr schätze, fällt es mir nicht leicht, dieses Büchlein nun zu kritisieren. Doch da ich finde, dass in dem Buch etwas sehr Wichtiges fehlt, ist es mir ein Anliegen, dies zu ergänzen. Hätte Ina Praetorius einen Text mit dem Titel geschrieben: “Was mir das Wichtigste an der Frauenbewegung war”, hätte sie damit eine Reihe eröffnen können, in der verschiedene Sichtweisen nebeneinander Platz gehabt hätten. Doch der Untertitel des Buchs heißt: “Das Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen”, erhebt also den Anspruch einer gewissen Allgemeingültigkeit. Es geht hier um die Tradierung von Wissen, das mit bestimmten Namen und Texten verbunden wird. Wer tradiert, übernimmt eine große Verantwortung. Denn hier müssen Schwerpunkte gesetzt, hier muss ausgewählt und ausgelassen werden, und es ist nicht gleich-gültig, wie das geschieht.
Was Verfälschungen und Auslassungen in der Tradierung bewirken, wissen wir Frauen aus den Anfängen der Frauenbewegung der 70er Jahre noch gut, denn wir hatten nach umfassendster damaliger Kulturvermittlung – Abitur und Studium – fast nichts über den kulturellen Beitrag von Frauen erfahren, was über die Leistungen als Ehefrauen und Mütter hinausging. Über die vorhergehenden Frauenbewegungen wussten wir, wenn überhaupt, nur Negatives. Ina Praetorius hat Recht, wenn sie schreibt, dass wir schon in den 70er Jahren etwas wollten, das weit über Gleichberechtigung hinaus ging, und dass uns das eigentlich wichtiger war als die Gleichberechtigung selbst. Doch wir hatten damals keine eigene Sprache und keine eigenen Vorstellungen, in denen wir zum Ausdruck bringen konnten, was wir damit meinten. Wir behalfen uns mit Weltbildern und Utopien aus der männlichen Tradition und arbeiteten uns an ihnen ab. Das waren damals vor allem die Ideen aus der Arbeiterbewegung und dem Marxismus-Leninismus, später wurden über die Kritische Theorie der Frankfurter Schule auch die Psychoanalyse und andere Therapieansätze wichtig. Eine Rolle spielten für manche Frauen auch kritische Denkansätze aus den Religionen, auch die Esoterik hatte eine Bedeutung. Um auszudrücken, dass es uns um mehr ging als um Gleichberechtigung, bezeichneten wir uns beispielsweise als “sozialistische Feministinnen” und erbten mit dieser Übernahme eines männlichen Modells auch die Einstellung, dass wir von “bürgerlichen Autorinnen” nichts lernen könnten. Wenn wir unseren Freunden erklären wollten, warum wir nicht mehr wie bisher mit ihnen zusammen für eine bessere Welt arbeiten wollten, warum wir die Frauenbewegung brauchten, konnten wir nur Gleichberechtigungsargumente vermitteln, was darüber hinaus ging, fiel unter den Tisch, weil wir keine Worte, keine Bilder, keine Denkrahmen, keine Vorstellungen und Utopien dafür hatten. So verliefen diese Gespräche immer unbefriedigend und waren voller Missverständnisse.
Die erste Alternative zu unseren “geliehenen” Weltbildern und Utopien und damit den Anfang einer eigenständigen Theoriebildung schenkte uns die Matriarchatsforschung, und da war neben Heide Göttner-Abendroth Gerda Weiler die wichtigste Pionierin, die in Ina Praetorius’ Buch nicht einmal in der Literaturliste auftaucht. Gerda Weiler kritisierte zwei der Denkansätze, aus denen wir Utopien geliehen hatten, die Denkrichtung der Jung’schen Psychoanalyse in ihrem ersten Buch “Der enteignete Mythos” und die jüdisch-christliche Tradition in ihrem zweiten Buch “Ich verwerfe im Lande die Kriege”, das sie später überarbeitete und unter dem Titel “Das Matriarchat im alten Israel” neu herausbrachte. Gerda Weiler – und später auch andere Matriarchatsforscherinnen – vermittelte uns mit ihren Erzählungen von einem Matriarchat in längst vergangenen Zeiten vor allem eines: Dass Frauen Welt gestalten können und dass eine Welt, an deren Gestaltung Frauen maßgeblich beteiligt sind, den Wunsch, gutes Leben für alle zu ermöglichen, eher erfüllen kann als eine allein von Männern gestaltete Welt, in der sie sich als Herren gebärden und sich selbst absolut setzen.
Etwa zur gleichen Zeit entwickelten Frauen aus dem Umfeld des Mailänder Frauenbuchladens ebenfalls einen eigenständigen Theorieansatz, indem sie so vorurteilsfrei wie möglich auf die Erfahrungen und Sehnsüchte anderer Frauen hörten, der Frauen in ihren Gruppen und der Frauen, die Bücher geschrieben hatten. Sie wollten herausfinden, was es bedeuten könnte, Frau und nicht Mann zu sein, welchen Sinn die Geschlechterdifferenz jenseits vom Biologischen haben könnte. Ohne sich an irgendetwas Vorgegebenem festzuhalten, wagten sie es, ein eigenes Denken und eine eigene Politik zu entwickeln, das Denken der Geschlechterdifferenz und die Politik der Beziehungen unter Frauen. Sie gaben dem, was Frauen über Gleichberechtigung hinaus wollten, die ersten Namen: Willezusiegen, Begehren, Wunsch nach Wohlbehagen. Sie fanden auch eine Sprache für das, was Frauen daran hinderte, es in die Welt zu bringen, die nicht in Benachteiligungsstreitereien zurückführte. Sie entwickelten Wege der Praxis, die uns helfen konnten, das weibliche Begehren zu befreien, also weibliche Freiheit entstehen zu lassen, am bekanntesten wurde hier in Deutschland die Praxis des “affidamento”. Erst durch die Buchladenfrauen aus Mailand und die Philosophinnengemeinschaft DIOTIMA aus Verona wurden wir überhaupt aufmerksam auf das, was uns Frauen aus früheren Zeiten an eigenständigem Denken hinterlassen haben, vor allem auf Texte von Hannah Arendt, Simone Weil und die Mystikerinnen. Aus dem Kontext der “Italienerinnen” erwähnt Ina Praetorius nur einen Text und Denkansatz von Luisa Muraro, Die symbolische Ordnung der Mutter. Und sie bezieht sich natürlich auf Frauen, die das Denken der “Italienerinnen” im deutschsprachigen Raum vermittelt und teilweise auch weiter entwickelt haben, beispielsweise die Autorinnen der Flugschrift. Doch ohne unser Lernen von den Frauen aus Mailand und Verona hätte es sicher keine Flugschrift gegeben. Auch der Begriff “postpatriarchal” wäre wahrscheinlich nicht erfunden worden ohne Luisa Muraros Artikel über das Ende des Patriarchats und die Flugschrift der “Mailänderinnen” zu diesem Thema.
Ich habe von den italienischen Philosophinnen gelernt, dass ich nur dann gleichzeitig Frau und frei sein kann, wenn ich den Frauen, die vor mir waren und mir Bedeutsames geschenkt haben, dankbar bin, bis hin zu meiner Mutter, die mir das Leben geschenkt hat. Deshalb kann ich es nicht unwidersprochen lassen, wenn der Beitrag derer zum Denken und Wissen der Frauenbewegung unterschlagen wird, die erste, mutige und damit grundlegende Schritte dazu getan haben, dem Ausdruck zu verleihen, was uns wichtig ist, “weit über Gleichberechtigung hinaus”.
Ina Praetorius: Weit über Gleichberechtigung hinaus… Das Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen, Christel Göttert Verlag Rüsselsheim 2009, 80 Seiten, 5 Euro.
Siehe auch: Rezension “Es bleibt viel zu tun” von Juliane Brumberg
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Liebe Dorothee!
Danke für Deine Ergänzung – es zeigt welcher Reichtum an Wissen in der Frauenbewegung vorhanden ist und von einer einzelnen wohl nie vollständig gehoben werden kann/konnte – auch an mir ist Gerda Weiler ganz ‘vorbei’ gegangen bzw. wohl eher ich an ihr … warum, darüber könnten/sollten wir noch nachdenken.
Jedenfalls finde ich Deine Idee der Serie wichtig. Wir könnten dann (korrekterweise) als Buchuntertitel jeweils ‘Mein’ statt ‘das’ Wissen der Frauenbewegung setzen – oder wir schreiben – nachdem Ina dankenswerterweise ja schon einen so starken Anfang gesetzt hat: ‘Noch mehr’ Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen …und machen damit deutlich, dass es natürlilch noch viel mehr weiterzugeben und zu teilen gibt.
Michaela