Forum für Philosophie und Politik
Von Astrid Wehmeyer
Im September 2008 fand in der Karsthöhle “Hohle Fels” bei Schelklingen ein Hobbyarchäologe eine weibliche Figur, deren Alter auf ca. 35.000 Jahre geschätzt wird. Der Spiegel kommentiert diesen Fund in seiner Online-Ausgabe vom Mai als “betörendes Sexsymbol” und “Fruchtbarkeitsfetisch” und reiht den Fund damit in die Galerie der pornografischen Männer-Phantasien ein: Große Brüste, kleiner Kopf – klar, dass es sich dabei um nichts anderes als eine prähistorische Wichsvorlage handeln kann. Warum auch sonst sollte mann sich die Mühe machen, aus beinhartem Zeugs Frauenkörper zu schnitzen?!
Selbstverständlich, dass damit auch diese Schöpfung auf das Konto der ansonsten stammelnden Jungs mit Überbiss geht: Männer warens, die schon immer trotz wissenschaftlich unterstellter geistiger Beschränktheit vom Neandertal aus der Welt ihr Gesicht resp. ihre Phantasien ins Fleisch geschnitten haben. Also nicht wundern Mädels, wenn sich das auch heute noch so anfühlt, als würdet ihr mit der Keule erlegt!
Bis heute scheint es unvorstellbar, dass hier möglicherweise Schöpferinnenhand gestaltet hat, was selbst 35.000 Jahre später in seinem Ausdruck von Selbstwissen und Kraft berührt. Am Ende der patriarchalen Geschichte angekommen, mag es keine anderen Gründe für Frauen mehr geben, Brüste und Vulven bloß zu stellen, als eines jener sabbernden Jungsteinzeitmännchen zu “betören”. Schließlich geht es ja – wie die Herren Früh- und Spätexperten uns allenthalben zu vermitteln suchen, um Fortpflanzung – äh, pardon, um Fruchtbarkeit. Macht müde Männer munter, heisst die Devise, damals wie heute. ´
Dafür braucht es dann auch schon mal etwas Körpereinsatz, ein bisserl Möpse anheben hier, ein bisserl Schamrasur dort … denn wie sonst ließen sich die schon präsentativ anmutenden Gesten der Figurinen deuten, wenn nicht hin auf einen anderen, einen fremden Blick von Außen? Welcher logischerweise nur männlichen Geschlechtes sein kann. Schuf nicht Gott die Welt nach Adams Abbild? Naja, und was ham se gerne?! Genau, was Scheens zum Schaue. Ansonsten tut sich nichts in Hose und Kopf. Denn man ehrlich: Wir haben doch alle lieber eine, an der ein bisschen was dran ist! Oder warum sonst sollte man Frauen so dicklich, ja manchmal schon fast überbordend unpropotional darstellen?! Richtig, für uns.
So ergreift der pornografisch-partriarchale Blick automatisch Besitz von allem, was ihm unter die Hände fällt. Es gibt keinen Ort, nirgends, an dem die Gravuren und Zäsuren, die Beschneidungen und Zuweisungen nicht vorgenommen werden. Frauenkörper sind zum Anschauen da. Dass das schon immer so war – und sich folglich deshalb auch niemals ändern wird, das sagen Artikel wie dieser oder die sog. Forschungsergebnisse, die dennoch nichts anderes sind als eine in die Vergangenheit projiziierte Gegenwart. Das Patriarchat ist angeboren. Porno forever!
Interessant nur, dass – blieben wir einmal im pornografischen Kontext – die Herren Besserwisser jenen Körperteil unterschlagen, der in jedem schlechteren Pono die bedeutenste Nebenrolle der Welt spielt: Der Phallus nämlich, der in keiner Stöhn-Opera fehlen darf, im Kontext prähistorischer “Fruchtbarkeitskulte” aber noch nirgends ausgegraben wurde.
Wofür es beim genaueren Hinsehen eigentlich nur zwei Gründe gegeben haben dürfte: Entweder war er nicht bedeutsam genug (“die hatten halt noch keine Ahnung, dass der Mann der Samenspender ist!”) oder aber er wurde aus Materialien gefertigt, die einer 35.000-jährigen Belastungsprobe nicht standzuhalten in der Lage waren (Weicheier zu Pflugscharen). Tja, Omen est Nomen.
Viel näher jedoch liegt die Annahme, dass es unseren Vorfahrinnen da gar nicht um die sexuellen Aspekte ging. Sicherlich genossen auch sie es schon, wissend und kenntnisreich, vor allem liebend berührt und verführt zu werden. Aber das Kamasutra der Jungsteinzeit scheint es nicht gewesen zu sein, das den SchöpferInnen symbolisch weiblicher Macht als darstellenswert gegolten haben mag. Denn obwohl landauf landab sich grabungssüchtige Laien und histörelnde Doktorväter einig sind – auch in der Jungsteinzeit, so behaupte ich einmal, sahen sexualisierende Menschen anders aus als diese majästätisch stehenden (!), stehts mit geschlossenen (!) Beinen dargestellten weiblichen Figuren.
Der Irrtum mag sich wohl daran entzünden, dass die Herren eher seltener lustvolle sexuelle Begegnungen mit Frauen haben. Dann wäre Ihnen ihr Irrtum wohl eher aufgegangen.
Überhaupt verweisen all diese Spekulationen ja nur auf eines: Auf den pornografisierten Geist des heutigen, zumeist männlichen Betrachters. Welcher normale Mensch würde denn sonst auf die Idee kommen, hinter Brüsten und Schoß lägen keine weiteren Geheimnisse verborgen als die, einen Mann abzuschleppen? Nein, die Welt ist nicht geschaffen, um im Auge des Betrachters zu gefallen. Sie hat tatsächlich Gefallen an sich selbst, und nicht alles dient einem Zweck, sondern ist gelegentlich purer Eigennutz.
Und nur für den Fall, dass dennoch wieder einer auf die Idee kommt, hier von Fruchtbarkeitssymbolen zu sprechen: Allen weiblichen Figuren fehlt das universellste Fruchtbarkeitssymbol per se! Na, was isses? Ja, genau, der schwangere Bauch. Den verstünde dann eben jeder, was so die Art der Symbole ist, allgemeinverständlich zu sein. Ergo: Bauch fehlt, also nix mit Fruchtbarkeit. In diesen mächtigen winzigen Figuren verweisen die Schöpferinnen auf etwas ganz anderes, welches eigentlich viel näher liegt.
Gehen wir also doch einmal davon aus, dass es den Menschen der Frühgeschichte nicht langweilig war, so daß sie der Idee verfielen, Idels Lisa mal im Evaskostüme dar zu stellen. Gehen wir ferner davon aus, dass unsere Vorfahrinnen – leider im Gegensatz zu heutigen Zeitgenossinnen – Eignerinnen ihrer Leiber waren. “Mein Bauch, meine Brüste, meine Vulva – gehören mir.” Dieser simple Satz dürfte vor 35.000 Jahren keiner so in den Sinn gekommen sein. Wozu auch, Selbstverständliches muß eine nicht postulieren.
Wenn also die Plastizierung von Weiblichkeit kein Fingerzeig, keine Revolution, kein Widerstand und keine Selbstbehauptung war, dann war sie das, was sie auch heute noch ist: Die Symbolisierung von Weiblichkeit. Und eben nicht etwa die von Inge, Michaela oder Claudia – was das Fehlen des Kopfes, der auch schon in der Frühzeit als Ort der unverwechselbaren Individualität gegolten haben wird – ziemlich unmittelbar anschaulich machen dürfte.
Nein, es ging um die verallgemeinerte “Darstellung”, eben die Symbolisierung des Weiblichen. Und dies nicht, wie das falsche Wort “Darstellung” suggeriert, für den Blick des anderen, sondern im Sinne der Ansammlung von Bedeutung an einem definierten Ort – eben im Symbolischen.
So behaupte ich – allein ausgehend von dem, was ich da sehe, abzüglich meiner postpatriarchalen-pornografisierten Konditionierung – dass es sich bei diesen weiblichen Figuren um die ersten Orte einer abstrahierten Kuturschöpfung handelt. Indem das Allgemeine aus dem individuellen-besonderen Leib der einzelnen Frau herausgelöst werden konnte – die schamanische Tradition spricht hier vom “Totem”, der Wesenhaftigkeit – und figürlich an einen Ort “versammelt” wurde, entstand ein “Mehr”, welches über die einzelnen hinausreichte. Und dies bis heute tut.
In diesen Figuren liegt folglich mehr als es das bloße Abbild zu erkennen gibt. In ihnen liegt ein weiblich-symbolisches Selbstverständnis, welches Ausgangsort eines Kulturmodells werden wollte. Das für mich ganz offensichtlich mit Körperlichkeit, Unterschiedenheit (Differenz) und Fülle zu tun hat.
Für eine kulturelle Reiseforschung heute ein spannender Ausgangsort: Wie würden wir heutigen Schöpferinnen unserer Wirklichkeit diese symbolisch manifestieren? Was wäre uns Ausgangsort und Ziel weiblicher Kultur ?
Die Frauen vor 35.000 Jahren – so behaupte ich heute – gingen vom nächstliegenden aus: Ihren Körpern und deren Gemeinsamkeiten. In Figurinen, geschnitz aus den Knochen eines anderen Lebenwesens, stellten sie diese symbolisch in die Welt – vielleicht, um sich daran zu erinnern, welche sie waren, jenseits ihrer individuellen Unterschiede? Ich glaube nicht, dass sie Bestärkung im Sinne der Ent-Schamung benötigten, so wie wir heutigen Frauen oft Bildnisse kraftstrotzender, nackter Frauen ge-brauchen. Ihre Leiber waren ja auch noch nicht durch 4000 Jahre Mißbrauch gegangen. Ihre Brüste, ihr Schoß waren ihnen Ausgangsort für Kultur. Möglicherweise können wir heute an diese Tradition anknüpfen, wenn wir uns freimachen können von einem Kulturverständnis, dass vom Außen her auf die Dinge schaut, anstatt sie vom Innen her zu be-leben.
Dann hießen diese Figuren vielleicht auch nicht “Venus von Willendorf”, sondern “Michaela aus Berlin.
Die Göttin
Liebe Astrid,
vielen Dank für diesen tollen Artikel.
Du schreibst:
“In diesen Figuren liegt folglich mehr als es das bloße Abbild zu erkennen gibt. In ihnen liegt ein weiblich-symbolisches Selbstverständnis, welches Ausgangsort eines Kulturmodells werden wollte. Das für mich ganz offensichtlich mit Körperlichkeit, Unterschiedenheit (Differenz) und Fülle zu tun hat.”
Ich glaube, hier wird auch die Schöpfungskraft, die gesamte Welt, Kosmos, Universum dargestellt. Das ganze Sei-en. Das Ewig-währende. Das, was allem zugrunde liegt. Das unergründliche Mysterium des Lebens und allen Seins. – Dies, so denke ich, kann nur weiblich gedacht werden.
Evelyn Rose