Forum für Philosophie und Politik
Von Marit Rullmann
Vor gut 100 Jahren, am 18. August 1908, endete in Deutschland das Politikverbot für Frauen – sie durften sich endlich wieder in einigen Parteien engagieren. Der lange Ausschluss von Frauen zementierte bis in die jüngste Zeit deren Rolle als bloße “Zweitbesetzung” im politischen Geschäft. Der weitgehende Ausschluss der Frauen wirkt bis heute nach und hat zu einem anderen Politikverständnis von Frauen beigetragen, das “womöglich der Keim sowohl einer Krise der traditionellen Politik (ist), als auch einer Kritik, die eine andere Politik einleiten könnte”, argumentiert die italienische Politologin Rossana Rossanda. Die Politologin Claudia von Gélieu begründet dies so: “Als die Frauen nach sechzig Jahren Politikverbot in einige Parteien durften, war die Entwicklung der politischen Strukturen, wie wir sie heute kennen, praktisch abgeschlossen. Und sie waren von Männern nach ihren Arbeitsformen und Interessen gestaltet worden. Von Frauen wurde erwartet, dass sie sich anpassen. Wenn man heute von Politikerinnen hört, dass man mit Frauenpolitik keinen Blumentopf gewinnen kann, dann liegt das daran, dass die Interessen von Frauen eben noch nie eine Rolle spielten. Wer zu feministisch auftritt, wird in den Parteien nichts – das hat sich nicht verändert.” (TAZ 18.08.2008)
Auch die Gründe für das Politikverbot aus dem Jahre 1850 – das es in dieser direkten Form übrigens nur hierzulande gab – sind sehr interessant: Im so genannten Vormärz hatten sich Frauen besonders stark engagiert. Sie waren sogar in Berlin früher auf der Straße als die Männer. 1847 hatten sie die Scheiben des Schlosses eingeworfen und den Rücktritt des Königs gefordert. Die Herrschenden hatten Angst, dass sich Frauen und untere Schichten verbünden könnten, und verboten den Frauen kurzerhand jedes politische Handeln.
Interessant ist auch, dass die Wahlbeteiligung der Frauen, als sie 1918 endlich erstmalig wählen durften, mit fast 90 Prozent so hoch war wie später nie mehr. Mit 41 weiblichen Abgeordneten, 9,6 Prozent der Mitglieder der Nationalversammlung, war dieser Frauenanteil in einer verfassunggebenden Versammlung einmalig in der ganzen Welt. Ein entsprechender Frauenanteil im deutschen Parlament wurde erst 1983 wieder erreicht.
Was war passiert, dass sich mit der Einführung des Wahlrechtes für Frauen nicht auch die Gleichstellung der Geschlechter in Politik und Gesellschaft durchsetzte? Bei der Einführung der Demokratie in Deutschland wurde die traditionelle Geschlechterordnung und Arbeitsteilung, insbesondere die “patriarchale Ordnung der Familie” nicht angetastet. Dies analysierten damals schon zwei Vorkämpferinnen der Frauenbewegung, Lydia Gustava Heymann und Anita Augspurg: “Die Gleichberechtigung der Frauen … stand in der Verfassung, war auf dem Papier vorhanden, das war aber auch alles. Die Wirtschaft, die Finanzen, Verwaltung, der gesamte Staatsapparat, der bei Revolutionen und Umwälzungen ausschlaggebender Faktor ist, befanden sich ausschließlich in den Händen der Männer. Nicht einmal bei den Wahlen hatten Frauen die gleiche Möglichkeit freier Auswirkung wie die Männer. Denn diese allein beherrschten wiederum den Parteiapparat wie die Parteikassen und damit die Propaganda.” (zit.n. Ute Gerhard, S. 336)
Bürgermeisterinnen sind in Deutschland die Ausnahme. In Städten und Gemeinden ab 2000 Einwohner/innen liegt der Frauenanteil in dieser haupt- oder ehrenamtlichen Spitzenposition gerade einmal bei 5 Prozent. Etwas höher ist der Frauenanteil bei den 220 Mitgliedsstädten des Deutschen Städtetages – hier haben 30 eine (Ober)Bürgermeisterin, das sind immerhin 14 Prozent. Um den Frauenanteil zu steigern, startete das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend im Herbst 2007 das Forschungsprojekt “Stärkung der kommunalpolitischen Partizipation von Frauen”. In einer bundesweiten Befragung sollen Handlungsempfehlungen für deren erfolgreichen Ein- und Aufstieg in politische Ämter herausgearbeitet werden.
Wie stark sind Frauen tatsächlich in der Kommunalpolitik (auch im Vergleich zur Bundes- und Landesebene) unterrepräsentiert? Was sind die Gründe für die Unterrepräsentanz? Welche Maßnahmen sind (unter Berücksichtigung der wichtigsten Ursachen) geeignet, die Unterrepräsentanz von Frauen insbesondere in den Kommunalparlamenten abzubauen? Um diese Frage zu beantworten, hat die Heinrich-Böll-Stiftung ein Forscher/innenteam von der Fernuniversität Hagen, Lars Holtkamp, Elke Wiechmann und Sonja Schnittke, mit der Untersuchung von politischer Unterrepräsentanz von Frauen in Deutschland mit Schwerpunkt auf der kommunalen Ebene beauftragt.
Mit der von ihnen erstellten Broschüre liegen nun erste Ergebnisse des bisher umfassendsten Forschungsprojekts zur kommunalpolitischen Unterrepräsentanz von Frauen in der Bundesrepublik vor. Im Rahmen dieses Projektes wurden alle vorliegenden Studien zu politischer Unterrepräsentanz von Frauen in Deutschland und im internationalen Vergleich analysiert, die Frauenunterrepräsentanz in allen Großstädten durch eigene Datenrecherchen vor Ort differenziert erhoben und dies ergänzt durch systematische Abfragen bei den Landesämtern für Datenverarbeitung, um auch die Situation im kreisangehörigen Raum angemessen erfassen zu können. Zusätzlich haben die Wissenschaftler/innen in dreißig wissenschaftlichen Intensivinterviews das Thema Frauenrepräsentanz aus Sicht der betroffenen Kommunalpolitiker/innen in sechs Großstädten erfasst. (Der endgültige Abschlussbericht wird im Mai 2009 in der Reihe Demokratie der Heinrich Böll-Stiftung publiziert.)
Die Ergebnisse werden die Diskussion um die angemessene Vertretung von Frauen in Parlamenten und politischen Führungspositionen neu entfachen: Frauen sind zumindest in Großstädten mit durchschnittlich einem Drittel nicht schlechter vertreten als in Landesparlamenten und im Bundestag. Allerdings offenbart ein Gender-Ranking auf der Ebene der Großstädte, das mit dieser Studie erstmals vorliegt, eine große lokale Spannbreite: Während in München fast die Hälfte aller Ratsmitglieder Frauen sind, stellen die weiblichen Stadtverordneten in Salzgitter nur 15%! In kleineren Kommunen gibt es teilweise noch viel weniger Frauen in Stadt- und Gemeinderäten. Eine weitere Ursachenanalyse ergab, dass die Frauenanteile in den Kommunalparlamenten sich erheblich nach Parteizugehörigkeit unterscheiden, und noch viel mehr trifft das auf Frauen in kommunalpolitischen Führungspositionen zu. Dabei ist entscheidend, ob Parteien interne Quoten haben und wie ambitioniert sie diese umsetzen. Schon die starke Anwesenheit von ehrgeizigen Quotenparteien in Parlamenten erhöht über den Parteienwettbewerb auch den Frauenanteil der anderen Parteien (deswegen auch die starke Präsenz weiblicher Mitglieder im Münchner Stadtparlament).
Ein wichtiges Ergebnis der Studie lautet: Wer an der mangelnden Anwesenheit von Frauen in Stadt- und Gemeinderäten wirklich etwas ändern will, muss auch bei den Parteien ansetzen – an ihren internen Rekrutierungs- und Nominierungsverfahren ebenso wie an ihrer Bereitschaft, Quoten umzusetzen. Daher ist mit dieser Studie auch eine Neubelebung der Diskussion um die Quote und die Einführung von Paritätsgesetzen zu erwarten. Denn wo jene in Kraft sind, beträgt der Frauenanteil nahezu 50 Prozent, wie das französische Beispiel anschaulich belegt. Hier hat sich der Frauenteil in den Kommunalparlamenten von 25,7 Prozent (1995) auf 47,5 Prozent (2001) gesteigert und liegt derzeit bei 48,5%. Aber auch das Wahlrecht spielt eine wichtige Rolle: So konnten die Wissenschaftler/innen zeigen, dass die Wähler/innen, wenn ihnen das Wahlrecht die Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren einräumt, Frauen in weit geringerem Maße diskriminieren als Parteien bei der Aufstellung von Listen und vor allem von Direktkandidat/innen. Dies ist der Grund, warum in Großstädten der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen schon 1996 ein Frauenanteil von 34,7 Prozent, erreicht wurde (seit 2008 sind es 36,4 Prozent). Zum Vergleich: In den dreißig nordrheinwestfälischen Großstädten lag der Anteil weiblicher Ratsmitglieder 1996 bei 29,6 Prozent und 2008 bei 30,5 Prozent.
Reformen, die auf das gleichstellungspolitische Engagement von Parteien und auf Wahlrechtsänderungen (Einführung von Kumulieren und Panaschieren in allen Kommunen sowie möglichst auf Landesebene) abzielen, haben einen weiteren Vorteil: Sie sind relativ leicht politisch gestaltbar. Und: Frau muss nicht warten, bis annähernde Geschlechtergerechtigkeit in allen Lebensbereichen nach schwedischem Vorbild hergestellt ist. Faktoren wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterstützung durch den Partner und eine lokale “Anerkennungskultur”, wie sie in der kürzlich vom Bundesfrauenministerium vorgestellten Untersuchung (vgl. oben) im Rahmen der Kampagne FRAUEN MACHT KOMMUNE betont wurden, spielen sicher auch eine Rolle bei dem Versuch, mehr Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Lässt man aber Parteistrukturen sowie -kulturen und das Wahlrecht außer Acht, können viele Aktionen schnell zu rein symbolischer und damit letztlich folgenloser Politik mutieren.
Ich kann diese aufschlussreiche Studie nur allen politisch interessierten Frauen ans Herz legen. Überraschend deutlich fand ich den Einfluss der Parteien als Verursacher von Frauenunterrepräsentanz – hier kann frau zukünftig besser argumentieren. Demnach ist die Quotierung kein notwendiges Übel, sondern ein sinnvolles Instrument auf dem Weg in eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Eine weitere Empfehlung lautet: im Superwahljahr eine Veranstaltung mit Dr. Elke Wiechmann, einer der Herausgeberinnen der Studie, einzuplanen – wir haben dies in Gelsenkirchen bereits im Rahmen unseres Lila Salon organisiert. Spannende Diskussionen und neue Einsichten sind dabei garantiert! An unserer Veranstaltung war auch eine aktive Kommunalpolitikerin beteiligt, die von ihren Erfahrungen aus einem Ortsverein (einer großen Volkspartei) erzählte. Danach ist es für viele Frauen (und junge Männer) ein abschreckendes Erlebnis, sich dort engagieren zu wollen. Man könnte auch sagen: Es wird alles daran gesetzt, den “Altherrenverein” so zu erhalten, wie er ist. Dies wurde von Elke Wiechmann bestätigt, die eine ähnliche Geschichte im Interview mit einer Kandidatin der anderen Volkspartei zu erzählen wusste … Wenn die Volksparteien also noch Wert auf Nachwuchs und damit ihr eigenes Überleben legen, sollte dies ein Alarmzeichen für sie sein! Sehr ermutigend fand ich das Ergebnis, dass WählerInnen Frauen an der Wahlurne nicht diskriminieren, was ja lange auch die Sozialforschung behauptete. Dies spricht deutlich für eine bessere Quotierung der Parteien und für das Panaschieren und Kumulieren, wie es bereits in einigen Bundesländern üblich ist.
In der Zeitschrift für Alternative Kommunalpolitik (9/2008) erschien eine weitere interessante Umfrage, in der die Politikziele kommunaler Fraktionsvorsitzender von SPD und CDU in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit denen der dortigen Bevölkerung verglichen wurden. Den ersten Rang bei den männlichen Vorsitzenden belegt das Ziel “Gute Bedingungen für Industrie und Geschäftswelt” zu schaffen. Bei den wenigen weiblichen war es die “Verwirklichung eines hohen Maßes an sozialer Gerechtigkeit”. Dies deckte sich mit den Antworten der Bürgerinnen – auch sie gaben der sozialen Gerechtigkeit eine höhere Priorität. Das bedeutet, dass weibliche Fraktionsvorsitzende stärker die inhaltlichen Ziele der weiblichen Wählerschaft vertreten als ihre männlichen Kollegen. Und dies stellt ein gewichtiges inhaltliches Argument für die Quotierung dar: Wenn sich die Politikziele von Männern und Frauen unterscheiden, dann müssen auch beide Geschlechter politisch aktiv sein. Was bei männlicher Hegemonie herauskommen kann, zeigt sich ja nur zu deutlich bei der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise und dem lange von der Politik propagierten klaren Primat der Ökonomie gegenüber Themen wie Soziales, Kultur oder Gesundheitswesen. Ein geradezu klassisches Beispiel dafür ist der in den letzten Jahren vollzogene Paradigmenwechsel von der sozialen zur so genannten Leistungsgerechtigkeit. Zu diesem Wechsel passt, dass etwa langzeiterwerbslose Hartz-IV-Bezieher/innen in der Politikersprache “unterstützt” werden und deshalb dem Staat eine Gegenleistung schulden (Stichwort “fördern und fordern”). Die Zocker-Banken hingegen werden – ohne dass jemand die dafür aufgewendeten weit höheren Summen kontrollierte oder auch nur beklagte – vom Staat “gerettet” (wie unschuldig in Seenot geratene Schiffbrüchige). Von einer Gegenleistung ist hier bisher keine Rede.
Für die politische Theoretikerin Hannah Arendt war der wichtigste Bereich der menschlichen Gesellschaft das Sprechen und Handeln in der öffentlichen “Polis”. Dies ist es, was Arendt zufolge das Menschsein definiert: Der Mensch ist nicht alleine auf der Welt. Zwar seien die Menschen gleichartig, sonst gebe es keine Verständigung, aber dennoch grundsätzlich verschieden. Diese Andersartigkeit mache es notwendig, miteinander zu sprechen und zu handeln. Demokratie ist ein ständiger Prozess, und wir sollten Formen für unser Engagement finden, damit der Wunsch nach demokratischer Partizipation nicht irgendwann aufgegeben wird.
Die Politologin Antje Schrupp schrieb 2004: “Nach einer Phase der Rechte (die nicht gegeben werden können, sondern nur genommen)”, gehe es für die Frauen jetzt darum, “in die Phase der ‚Regeln der Partizipation’” einzutreten. “Die gewonnenen Einflussmöglichkeiten und Spielräume müssten genutzt werden, um neue Regeln für das Zusammenleben auszuhandeln.” Dies gelte nicht nur für Frauen, sondern “auch für Männer”. Dabei würden Ordnung und Regeln entwickelt – allerdings ohne Zwang und Macht. Wir könnten beginnen, im Alltag “darüber zu verhandeln, wie wir miteinander leben wollen. Am Arbeitsplatz, in der Familie oder Wohngemeinschaft, im Stadtteil und in der Nachbarschaft.” (S. 45) Und eben auch im Stadtrat, in Ausschüssen oder in der Bezirksvertretung.
Ute Gerhard. Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Reinbek b. Hamburg 2000.
Ulrike Heß-Meining. Frauen in der deutschen Politik: Neue Daten zur Partizipation. In: Newsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 19/2008 v. 26.09.2008.
Lars Holtkamp/Sonja Schnittke. Geschlechterverteilung in kommunalen Führungspositionen. Geschlechtergerechtigkeit durch Lernen, Quote oder Wettbewerb? In: AKP. Fachzeitschrift für alternative Kommunalpolitik. Heft 5/2008, S. 50-51.
Lars Holtkamp/Elke Wiechmann/Sonja Schnittke. Unterrepräsentanz von Frauen in Kommunalparlamenten. Hg. Heinrich-Böll-Stiftung. 2009. (vorl. Abschlussbericht)
Antje Schrupp. Zukunft der Frauenbewegung. Rüsselsheim 2004.