Forum für Philosophie und Politik
Von Andrea Günter
Am 27. März 2009 fand im “Museum Lokschuppen” in Erkrath-Hochdahl bei Hilden ein World-Café zum Thema “Frauen – Macht – Wirtschaft” statt. Eingeladen hatte die Unternehmerinneninitiative “Frauen-Macht-Wirtschaft”, ein Zusammenschluss regionaler Unternehmerinnennetzwerke im Großraum Düsseldorf, das damit die zweite Großveranstaltung zu einem Frauenwirtschaftsthema veranstaltet hat. Während beim ersten Mal im Rahmen einer Open-Space-Veranstaltung persönlich-unternehmerische Fragen thematisiert wurden, ging es diesmal im World-Café schwerpunktmäßig um die globale Wirtschaftskrise.
Ich selbst wohne in Freiburg, der Großraum Düsseldorf liegt also nicht so ganz in meiner Nähe. Ich hatte mich dennoch entschlossen, für den Nachmittag und Abend nach Erkrath-Hochdahl zu fahren, weil es in den letzten Jahren, nach dem Anfangsboom in den 90er Jahren, in frauenbewegten Kreisen wieder still um das Thema “Frauen und Wirtschaft” geworden ist. Und da ich in der Projektgruppe “Ethik im Feminismus” zusammen mit anderen Frauen unter dem Stichwort “Weiberwirtschaft” die ethische, wirtschaftsphilosophische und -theologische feministische Diskussion um die Geschlechter und die Ökonomie initiiert hatte, war ich neugierig darauf, was circa 10 Jahre später darunter fallen würde. Der Titel “Frauen – Macht – Wirtschaft” erinnert mich deutlich an diese Zeit.
Auch freute ich mich darauf, in Form des World-Cafés freie Diskussionen zu finden. Denn es gibt nur noch wenige Räume, in denen Frauen frei miteinander ins Gespräch kommen. Die meisten sind zweckgebunden und damit schon auf das System ausgerichtet, das den Zweck und sein Erreichen definiert. Sitzungen und Statements werden vorbereitet, Veranstaltungen geplant, Situationen durchgesprochen: Alltagsverstrickungen, die zwar wichtig sind, aber zunehmend den Freiraum für ein Sprechen ohne Ziel und Zweck zuschütten. Ein World-Café hingegen ist ein solch zweckfreier Raum.
Was also werde ich bei der Veranstaltung finden? Was werden mir die Diskussionen zeigen und spiegeln? Worüber werde ich nachdenken, neu nachdenken und nun endlich doch einmal nachdenken müssen?
Nach einer ersten Bestandsaufnahme der Interessen der circa 80 Teilnehmerinnen lief das Gespräch in fünf Runden weiter. Diskutiert wurden Werte und Spielregeln, die den Frauen bei ihrer Erwerbsarbeit wichtig sind, und die Bedingungen für deren Umsetzung.
Die klassische Frage danach, ob Frauen Wirtschaft anders machen, steht schnell und wiederholt im Raum. Für eine Philosophin heißt eine solche Aussage genau genommen: Frauen an sich machen Wirtschaft anders als Männer an sich. Doch wer wagt es, das zu sagen? Wer getraut sich, “an-sich”-Aussagen zu machen? Es meint, sich im Bereich des Idealen – der Geschlechterideen – zu bewegen, die Zeiten des Idealen aber sind grundsätzlich vorbei. Im Erfahrungsaustausch wird dann auch schnell deutlich, dass solche Aussagen kaum weiterbringen. So ist das Leiden an der Konkurrenz unter Frauen immer wieder Thema. Vor allem aber drängen sich die Organisationsweisen, denen frau bei der Arbeit ausgesetzt ist, als Reibungspunkt in den Vordergrund. Wenn etwa eine Versicherungsmaklerin das Familiengeschäft des Vaters in einer Kleinstadt übernimmt, schließt sie natürlich auch an die tradierte Kultur an, die für die Firma des Vaters und deren Kontext wichtig war und bleibt. Die wesentliche Veränderung ist vielleicht, dass sie selbst nicht mehr in derselben Kleinstadt wohnt und wohnen muss, sondern in die naheliegende Großstadt gezogen ist und deren Lebensstil bevorzugt. Ferner sind auffällig viele Frauen zum World-Café gekommen, die aussteigen, sich selbständig machen, wenn die Bedingungen nicht stimmen, allen voran das Betriebsklima oder die Unternehmenskultur, was beispielsweise nach der Übernahme der Firma durch einen ausländischen Konzern erfahren werden kann.
Lassen sich in solchen Lebenswegen Antworten auf die Krise im Finanzsystem finden? Wirtschaften Frauen anders? Ich persönlich möchte die Frage anders stellen. Das Beispiel der Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler, Chefin der gleichnamigen Firmengruppe, zeigt, dass eine Frau bei einer Firmenübernahme ebenso für das Gemeinwohl gefährlich plant und risikoreich spekuliert wie ein Mann. Innerhalb der Spekulationsmaschinerie spekulieren Frauen genau wie Männer. Allerdings scheinen Frauen erkennbar früher auszusteigen. Das heißt, sie spekulieren nicht nicht, sondern deutlich mehr Frauen als Männer sind in unseren Tagen nicht bereit, das Organisationssystem zu erleiden, das einer solchen Spekulationswirtschaft Vorschub leistet. Das aber halte ich erst einmal für einen historischen Vorsprung von Frauen, der sich einem historischen Nachteil verdankt: Frauen mussten sich in der Vergangenheit deutlich mehr an vorhandene soziale Formen und Organisationsweisen einpassen als Männer. Auch sie haben sich immer wieder gegen Anpassungsforderungen gewehrt. Während anpassungsunwillige Männer jedoch als Charaktere oder sogar Revolutionäre klassifiziert werden, werden solche Frauen geschlechtsspezifisch mit “Hexe”, “Blaustrumpf” und “Emanze” stigmatisiert.
Dabei ist es wohl kein Zufall, dass Maria-Elisabeth Scheffler keine angestellte Managerin und Geschäftsführerin ist, sondern aus familiären Gründen ihre Firma leitet. Die Familie und die Position, die frau aufgrund von Familienmacht und -erbrecht einnimmt, kann frau nicht so ohne weiteres aufkündigen. Wenn sie sich nicht ein eigenes Profil erarbeitet, ist sie ferner den Markt- und Unternehmensideologien ausgesetzt. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern läge demnach entweder im unterschiedlichen Leiden an Organisationsstrukturen und dessen Verarbeitung durch Frauen (a) oder aber im Gegenteil darin, dass sie, statt zu leiden und also die Organisationskriterien einfach zu übernehmen, aktiv eigene Kriterien formulieren (b) und genau dafür geschätzt werden.
Zu a.: In der kreativen und befreienden Verarbeitung der Organisationsstrukturen haben Frauen tatsächlich einen historisch anderen Status und vielleicht sogar Vorsprung. An der Organisationsstruktur der “Ehe” haben Frauen spätestens seit Mitte des 17. Jahrhunderts deutlich gelitten, eigentlich allerdings schon immer an den Positionen und Möglichkeiten, die ihnen gesellschaftlich vorgesehen waren. Meine Zeitzeugin aus dem 16. Jahrhundert hierfür ist Teresa von Avila, die Nonne wurde, weil sie keine Ehefrau sein wollte, und dann die Rollenzwänge einer Nonne mit den Freiheiten einer Ehefrau verglich und beide Lebensformen mit- und gegeneinander durchquerte… Anders gesagt: Da für Frauen Rollenzwänge immer geschlechtsspezifisch definiert wurden und Frauen eine jahrtausendalte Tradition ausgebildet haben, sich gegen diese Organisationsweisen zur Wehr zu setzen, und ihnen hierbei kaum eine Alternative als die Randständigkeit und kreative Neukombination verblieb, haben sie auch eher Umgangsweisen und Lebensperspektiven gebildet, die es ihnen erlaubten, aus etablierten Organisationsweisen auszusteigen.
Zu b.: Das Aussteigen allein ist jedoch kein Maßstab für einen anderen Lebensweg. Man kann aussteigen und gerade die zentralen Gewohnheiten, die das, was man ablehnt, begründen und stabilisieren, mehr oder weniger unbewusst reproduzieren. Viele Menschen kennen etwa den Moment, in dem sie erkennen müssen, dass sie anders sein wollen wie ihre Eltern und sich dabei ertappen, genau dasselbe wie diese zu sagen und zu tun. Frauen sind Vatertöchter, sind Muttertöchter. Das gilt auch für ihr ökonomisches Handeln. Ohne Veränderung in ökonomischen Gewohnheiten auch auf Seiten von Frauen wird es keine andere Ökonomie geben. Männer- und Frauenökonomie haben sich ebenso gegenseitig ergänzt und stabilisiert wie Männer- und Frauenbilder. Frauen- und Männerökonomie bilden ein System, ein einziges und ein gemeinsames. Ebenso wie die Spekulation der – sagen wir – letzten zwanzig Jahre ist das frauenbewegte Gebaren, das immer eine ökonomische Seite hat und derzeit von einigen als Alternative gesehen wird, eine Erscheinung derselben Zeit. Denn auch Frauen sind derzeit dem Spekulatismus verfallen. Deutlich wird das zum Beispiel im feministischen Konstruktivismus, der behautet, Geschlecht sei nicht anderes als eine Konstruktion. Etwas, das nicht mehr als eine Konstruktion ist, ist aber Spekulation: etwas ohne jegliche materielle Determiniertheit, ohne Bedingtsein, ohne Rückbindungsfrage. In der gleichen Weise wie der Gender-Konstruktivismus übergeht auch der Finanzspekulatismus die materiellen Bedingungen dessen, was er als “Anlage” und “Wertpaket” konstruiert, worüber er also spekuliert.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Mir geht es nicht darum, den eigentlichen Täter – den Mann/die Männer – bzw. die eigentlichen Täterin – die Frau/die Frauen – zu identifizieren. Mir geht es vielmehr darum, ein Ökonomiesystem ins Bewusstsein zu rufen, das gleichermaßen aus einer “Ökonomie der Männer” wie aus einer “Ökonomie der Frauen” besteht, des männlichen und des vermeintlichen weiblichen Lebenszusammenhangs, als eine sich ergänzende und damit gemeinsam stabilisierende Einheit.
Von daher halte ich Frauen nicht einfach für das andere und also auch nicht für “das andere” in der Wirtschaft. Frausein allein ist kein Programm. Mich interessiert daher Frausein nur in Kombination mit einem Programm: in Kombination mit der Perspektive einer einzelnen Frau (oder einer Gruppe von Frauen) für eine Zukunft, das heißt mit öffentlich geäußerten Kriterien, an die sie sich wirklich hält. Denn das, was Frauen tun, kommt aus der Vergangenheit, vor allem aus dem historischen “Vorteil”, eine Frau zu sein, der wiederum darin begründet ist, bestimmte Erfahrungen und also Verarbeitungsmöglichkeiten von Situationen gemacht und daraus gelernt zu haben. Daraus jedoch lässt sich nichts direkt für die Zukunft ableiten. Für die Zukunft braucht es tatsächlich ein formuliertes Programm: ausgebildete Kriterien, in denen sich das Verständnis und das Handelnwollen einer Frau artikuliert und an denen sich also ihr Tun messen lässt.
Imponiert hat mir hierzu die Entscheidung der isländischen Regierung, die Leitung mächtiger Banken in Frauenhand zu geben. Von Seite der Frauen wurden wiederum die Kriterien genannt, nach denen sie Handeln wollen: “Wir haben fünf weibliche Grundwerte. Erstens Risikobewusstsein: Wir werden in nichts investieren, was wir nicht verstehen. Zweitens wollen wir Kapital nur investieren, wenn nicht nur wirtschaftlicher Gewinn dabei herauskommt, sondern auch positive gesellschaftliche und ökologische Effekte. Drittens entscheiden wir auch emotional: Wir investieren nur in Unternehmen, deren Betriebskultur uns behagt. Viertens: Wir wollen Klartext reden, weil wir davon überzeugt sind, dass die Wirtschaft eine verständliche Sprache sprechen sollte. Und fünftens wollen wir dazu beitragen, dass Frauen wirtschaftlich unabhängiger werden, weil es durch wirtschaftliche Unabhängigkeit leichter ist, so werden zu können, wie man sein will.”
Jedoch, genügt es, Werte zu formulieren? Viele Geschichten werden beim World-Café an diesem Nachmittag und Abend erzählt. Viele Werte werden aufgezählt, viele Spielregeln genannt, nach denen die Frauen agieren wollen. Doch hilft der Konsens hierin wirklich weiter? Gut sein wollen die meisten Menschen, das Bekenntnis zu und das Wissen um Werte teilen sie ebenfalls. Allerdings haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass das schnell mit der Ausrede aufgegeben wird, “man könne nichts tun”, “die anderen würden doch auch”, “es geht in der Praxis nicht anders, weil” usw.
Haben Werte bisher Frauen vor der Anpassung an die Bedingungen in der Wirtschaft wirklich geschützt? Helfen Überlegungen zu Werten, um die Frauen von der bloßen Anpassung an die derzeitige Arbeitskultur abzubringen? Nicht das Bekenntnis zu Werten ist die Frage, sondern die Bindung an sie, nicht die Moral, sondern die Moralität, nicht die Sitte, sondern die Sittlichkeit.
So sehr, wie der Kompetenzerwerb für viele Frauen im Vordergrund steht, kann frau kaum glauben, dass für sie Moralität im Vordergrund steht: gereifte und praktizierte Moralität. Die meisten Teilnehmerinnen wiederum sind so mit ihrem Alltag beschäftigt, dass nur wenige das Bedürfnis nach Veränderungen des Systems äußern und bereit sind, dafür etwas zu tun.
Die, die sich selbständig machen, versuchen andere Umgangsweisen und wollen sachlich besser sein, verbleiben aber bei denselben Rahmenbedingungen. Tief verwurzelt ist die Vorstellung, dass Frauen denselben sachlichen Erfolg wie Männer haben, und das heißt, sich anpassen sollen. Aber das ist auch verständlich. Wenn Frauen berufliche Qualifikationen und Stellen erworben haben, wollen sie sie ausfüllen.
Wenn es darum geht, wie die einzelnen damit umgehen, dass unsere Wirtschaftsweise am Ende angelangt ist, werden vorwiegend die Achseln gezuckt. Leicht wird über Werte geredet. Wie lassen sich die Ansprüche aber tatsächlich hochhalten? Was kann frau dafür tun? Wie sehr bin ich davon überzeugt, dass ich alles vorwiegend richtig mache? Was stelle ich in Frage? Lasse ich mich anfechten?
Kaum eine spricht über die Ängste und Befürchtungen, die sie persönlich betreffen oder über die Perspektive ihrer Firma bzw. ihres Arbeitgebers. Da könnte und müsste weitergefragt werden: Was sind die wirklichen Ängste? Wie gehen die Frauen damit um und bewerten sie? Welche Lösungen sehen sie, für sich, für die Firma, für die Gesellschaft? In welche Widersprüche verwickeln sie sich, wenn sie vielleicht um das Auftragsvolumen und ihren Arbeitsplatz fürchten, der Firma wünschen, dass sie es schafft, und dennoch der Überzeugung sind, dass es weniger Produktion geben und unser Wirtschaftssystem sich grundsätzlich ändern muss?
Viele Fragen sind zu vertiefen und müssen weiterverfolgt werden. Ein Frauen-World-Café bedeutet hierfür, in Form von Beziehungen zwischen Frauen nach Fragen und Antworten zu suchen. Ich wünsche mir ein nächstes.
Zur Diskussion über “Ethik im Feminismus” in den 1990er Jahren vgl. Andrea Günter: Weiberwirtschaft weiterdenken: Feministische Ökonomiekritik als Arbeit am Symbolischen, Luzern 1998 (Hgin. zus. m. Ina Praetorius u. Ulrike Wagener, mehrere Beiträge); Weiberwirtschaft. Frauen – Ökonomie – Ethik, Luzern 1994 (zus. m. Heidi Bernhard Filli, Ina Praetorius u.a); Sinn – Grundlage von Politik, Rüsselsheim 2005 (zus. m. Maren Frank, u.a.); Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik, Rüsselsheim 1999, (zus. m. Ulrike Wagener, Antje Schrupp u. Dorothee Markert.)
Die Kriterien der isländischen Bankerinnen sind zitiert nach: Hermann Droske: Hochmut kommt vor dem Phall, Süddeutsche 11/2009. Natürlich habe ich Probleme damit, dass Risikoabwägung als weiblicher Wert postuliert wird, nachdem es nachweislich ebenso risikobereite Frauen wie Männer gibt. Die Frage ist, wer in die Leitungspositionen kommt, die risikobereiten Alphamännchen oder die bedächtigen? Und wie der, der an die Macht kommt, sich gerieren muss, das ist immer auch durch gesellschaftliche Einschätzungen getragen, vgl. Andrea Ypsilanti und das Andere in der Politik Ein Blick auf die politische Kultur im Jahre 2009.
Zum Thema “Realität oder Spekulation” vgl. Andrea Günter: Staat oder Ökonomie – Realität oder Spekulation? Ein Kommentar zur Finanzkrise.
Zum Thema Werte und Anfechtung vgl. Andrea Günter: “Die Fragen zur Zeit zurück erobern“.
Zur Anfechtung als Katalysator von Veränderung vgl. Andrea Günter: Welt, Stadt, Zusammenleben. Pluralität und Geschlechterphilosophien, Königstein 2007, 49-59