Forum für Philosophie und Politik
Von Safeta Obhodjas
Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie über die mehr oder weniger gelungene Integration der in Deutschland lebenden Nationalitäten zeigt, sind Zugewanderte auf keinen Fall eine homogene Gruppe. Doch gerade diese Homogenität wird immer wieder suggeriert, und zwar nicht nur von fremdenfeindlicher Seite, sondern gerade auch von solchen Personen, die sich in Medien und Öffentlichkeit “im Namen der Zugewanderten” zu Wort melden. Es handelt sich meist um sprachgewandte Männer, die überzeugt sind, dass sie mit ihren kosmopolitischen Referenzen für die Rolle der Beschützer von nicht deutschstämmigen Mitbürgern und Mitbürgerinnen bestimmt seien. Zu ihren Referenzen zählen, neben einer tiefen Verwurzelung in islamischen Kulturen und ihren akademischen Errungenschaften an deutschen Universitäten, auch ihre intellektuellen Betätigungen in Deutschland: als Poeten und Schriftsteller, als Publizisten und Analytiker sowohl der inneren Politik als auch der komplizierten Verhältnisse in der Beziehung zwischen dem Orient und dem Okzident.
Wer aber ihre Auftritte in Medien und in den politischen Szenen kritisch unter die Lupe nimmt, bekommt den Eindruck, dass sie alle zu einer politischen Richtung mit strenger “Fraktionsdisziplin” gehören. Ihre Argumentation ist nämlich höchst einseitig, und sie scheinen ihre Aufgabe nur darin zu sehen, die ganze Schuld für die Entstehung von “Parallelgesellschaften” der deutschen Gesellschaft zuzuschreiben. Wie das funktioniert, möchte ich hier mit einigen Beispielen illustrieren.
Mit den Problemen, die das Leben in einer Parallelgesellschaft oder irgendwo zwischen den Kulturen mit sich bringt, setze ich mich in meinen literarischen Werken auseinander. Als Schriftstellerin besuche ich häufig Schulen, um dort Lesungen zu machen und mit Jugendlichen darüber zu diskutieren. In den Schulen begegne ich meist erschöpften und resignierten Lehrern und Lehrerinnen, die sich als Opfer einer gescheiterten Integration sehen. Viele Schüler mit türkischem Familienhintergrund nehmen den Unterricht nicht ernst. Dementsprechend ist die Disziplin in den Klassen oft katastrophal und die Deutschkenntnisse für den Lehrstoff weit unzureichend. Im vergangenen Herbst zum Beispiel bat mich mein Gastgeber einer Gesamtschule in Ruhrgebiet darum, in seiner zehnten Klasse keine sprachlich komplizierten Geschichten vorzulesen, weil siebzig Prozent der Schüler und Schülerinnen aus zugewanderten Familien stammten und für Literatur wenig übrig hätten. Für die Klasse, in die ich eingeladen war, war es zudem ein trauriger Schultag, weil sich nach dem Unterricht eine Schülerin von der Schule verabschieden musste. Obwohl das Mädchen in Deutschland geboren war, hatten sich seine Eltern entschieden, ihr Kind zurück in die Türkei zu Verwandten zu schicken. In der Klasse durfte ich mich nicht dazu äußern und zeigen, wie mir das Schicksal dieser Schülerin wehtat. Sie wurde einfach gegen ihren Willen aus der Schule herausgerissen, und es gab niemanden, der das Mädchen retten konnte.
Einige Stunden später besuchte ich eine Lesung eines aus der Türkei stammenden Kollegen. Seine holperige Sprache konnte ich verkraften, aber der Inhalt seiner Texte löste bei mir Empörung aus, weil sie nur eine einzige Botschaft enthielten: Die Deutschen seien schlecht, weil sie die Türken diskriminieren. Er fühle sich in Deutschland nach fünfunddreißig Jahren noch immer fremd, beklagte er. Seine literarische Welt hatte streng geteilte Zonen: eine schwarze auf Seiten der Deutschen, und eine weiße auf der Seiten “der türkischen Opfer”. Er wollte nichts davon wissen, dass die Welt auch ein bisschen grau aussehen kann.
Nach der Lesung versuchte ich, diesen Schriftsteller anzusprechen. Ich fragte ihn, warum er nicht darüber schreibe, wie die Türken unter sich leben und wie sie miteinander umgehen. Ich erzählte ihm, was ich einige Stunden zuvor in der Gesamtschule erlebt hatte und fragte ihn, warum er sich als Schriftsteller nicht manchmal auch mit den Missständen in seinem “eigenen Hof” befasse. Immerhin habe doch die deutsche Gesellschaft jenem Mädchen ermöglicht, eine Schule zu besuchen, einen Abschluss zu machen und dadurch eine bessere Zukunft zu erreichen. Sei es nicht ein Problem, wie diese Familie der eigenen Tochter dies alles weggenommen und sie zurück in die Vergangenheit geschickt habe? Der Poet warf mir nur einen feindseligen Blick zu und ergriff die Flucht.
Diese Einseitigkeit, die ich als eine unsinnige “Fraktionsdisziplin” wahrnehme, kommt in fast allen Äußerungen dieser Akademiker, die für sich beanspruchen, im Namen der Zugewanderten in den Medien zu sprechen, vor. Jede Veränderung in der deutschen Innenpolitik, die Zugewanderte als eine Forderung an sich selbst verstehen könnten, prangern diese “Kosmopoliten” als eine Schikane an. Ein Beispiel: Viele Jahrzehnte war die Einbürgerung in Deutschland ein formaler Prozess, bei dem man nur beweisen musste, materielle Sicherheit zu haben. Niemand wurde nach seinen Deutschkenntnissen oder seiner Einstellung gegenüber deutscher Demokratie gefragt. Dann führte das zuständige Ministerium einen Einbürgerungstest ein. In den Medien löste das eine Lawine an Kritik aus. Die Gegner überboten sich gegenseitig darin, diese Prüfung als eine Zumutung abzulehnen.
Der in Iran geborene Publizist Bahman Nirumand zum Beispiel, ein gefragter Kommentator, wenn es um den “Clash der Kulturen” geht, bezeichnete den Test als “integrationsfeindlich”. In der ZDF Sendung “Forum am Freitag” stellte er fest, dass Akademiker seines Formats von so einer Prüfung nichts hielten. Aber er bemühte sich nicht darum, den Test zu analysieren und das Publikum darüber zu belehren, welchen Weg zur deutschen Bürgerschaft er denn für geeigneter hielte. Er machte keinen Hehl daraus, dass er persönlich den deutschen Pass nur aus den praktischen Gründen angenommen hätte, um mehr Rechte im Land zu bekommen und leichter reisen zu können.
Ein anderes Beispiel ist der Politiker Aiman A. Mazyek. Er gehört zu einer viel jüngeren Generation, und seine Biographie ist nicht mit dem Lebenslauf von Bahman Nirumand vergleichbar. Seine Eltern sind beide Akademiker: die Mutter Deutsche und Journalistin, der Vater stammt aus Syrien und ist Ingenieur. Mazyek arbeitet als freier Publizist und Medienberater und ehrenamtlich als Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Dieses Engagement ermöglicht es ihm, in den Medien immer wieder als Sprecher nicht nur dieses Vereins sondern der nicht deutschstämmigen Mitbürger und Mitbürgerinnen schlechthin aufzutreten. Genau wie sein älterer Kollege Nirumand wird er nie müde, die Fehler der deutschen Politik, die allein für die Gettoisierung der Minderheiten verantwortlich sei, zu erläutern. Gleichzeitig “überwacht” er geradezu sämtliche Initiativen der deutschen Politik, um alles, was ihm als Druck auf nicht integrationswillige Zugewanderte erscheint, als Demütigung abzulehnen.
“Mit uns nicht! Das ist eine Politik des erhobenen Zeigefingers!” kommentierte er etwa die Vorschläge einer Gruppe aus der CSU, eine Diskussion über die Verankerung der deutschen Sprache in der Verfassung anzustoßen. Mazyeks Äußerungen kamen mir dabei irgendwie konfus vor: “Ich liebe diese Sprache!” behauptete er zwar einerseits auf eine etwas überhebliche Art, als ob diese Liebe für die Welt für sich schon etwas Besonderes und Lobenswertes wäre. Doch eine Erklärung, warum Zugewanderte diese Initiative als eine “Politik des erhobenen Zeigefinders” sehen sollten, blieb er schuldig. Er gestand zwar ein, dass die deutsche Sprache eine Kostbarkeit, eine tragende Säule für die Entwicklung und Bewahrung von Kultur und Demokratie sei und damit eine notwendige Voraussetzung für die Integration darstelle. Aber warum sollte dann, wie er behauptete, das Grundgesetz zu schade für den Schutz dieser Kostbarkeit sein? Ich verstehe eine Initiative zur Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz nicht als eine “Politik des erhobenen Zeigefingers”. Meiner Meinung nach wird so eine Diskussion in der deutschen Gesellschaft bald notwendig sein.
Während sich diese Meinungsmacher und ihre Gleichgesinnten mit ziemlicher Selbstgefälligkeit in der Öffentlichkeit als alleinige Beschützer der “Opfer deutscher Diskriminierung” präsentieren, versuchen viele jener “Beschützen”, dem Leben in einer Parallelgesellschaft zu entkommen. Als ich mich mit den Fragen des Einbürgerungstestes vertraut machte, hatte ich Möglichkeit, mit einigen Einbürgerungswilligen darüber zu diskutieren. Dabei war wenig Empörung gegen den Test zu spüren. Einige Fragen im Test fanden sie zwar überflüssig, doch im Grunde genommen sahen sie darin eine Anregung, sich mit der deutschen Geschichte und den Merkmalen deutscher Demokratie auseinanderzusetzen. Schade fanden sie nur die Tatsache, dass die Kurse zum Einbürgerungstest nicht als Pflicht vorgesehen wurden.
Ich bin der Meinung, dass diese selbst ernannten “Beschützer” mit ihrem so großartigen akademischen Format es vollkommen versäumen, die wichtige Rolle, die ihnen als Vorbilder und Ideenträger der Integration eigentlich zustehen würde, mit der notwendigen Verantwortlichkeit wahrzunehmen. Warum sagen sie nie, wie das ihrer Meinung nach gehen könnte mit der Integration? Stattdessen begnügen sie sich mit einer billigen Kritik an dem, was “die Deutschen” angeblich alles falsch machen. Glauben sie etwa, es gäbe ein Zaubermittel, mit dessen Hilfe man den Lernmuffeln die deutsche Sprache einflüstern kann, ohne dass sie sich die Mühe machen müssten, sie zu erlernen?
Die aktuelle Studie, die nachweist, dass Zugewanderte aus islamisch geprägten Ländern, und besonders aus der Türkei, schlechter in die deutsche Gesellschaft integriert sind als Zugewanderte aus anderen Ländern und Weltregionen, kommentieren diese Beschützer nicht. Vielleicht, weil sie selber ganz einfach nicht wissen, wie man Menschen, die in einer Parallelgesellschaft gefangen sind, retten kann.
Integrationsthema schwierig
Ich bin sehr begeistert vom Artikel zur Integration von Safeta Obhodjas. Endlich eine “Deutschländerin” (Begriff für Deutsche mit anderer Herkunft von Seyran Ates)die uns etwas mitteilt von der Befindlichkeit in ihrer eigenen Perspektive in Deutschland. Sie kann ihre eigenen Leute auch einmal kritisch sehen und gibt uns so die Möglichkeit, von den ewigen Schuldzuweisungen einmal weg zu kommen. Denn Deutsche sind zu bereitwillig schuldbewußt und schauen dann weg. Danke für diesen aufklärenden Einblick.