Forum für Philosophie und Politik
Von Antje Schrupp
“Überkommene Väterkonzepte haben ihre Überzeugungskraft eingebüßt, und die neuen bleiben vielfach unglaubwürdig” – mit dieser Beobachtung bringt Andrea Günter den höchst unbefriedigenden Zustand der gegenwärtigen Debatte über die soziale Rolle von Vätern auf den Punkt. Mit ihrem kleinen Büchlein “Vätern einen Platz geben” leistet sie einen wichtigen Beitrag dazu, den schädlichen Trend zu einem biologistischen oder nur rechtlichen Verständnis von Vaterschaft kritisch zu hinterfragen und stattdessen neue, zukunftsfähige Modelle zu diskutieren. Denn: “Die Vaterschaft gibt es nicht. Es gibt aber unterschiedliche Weisen von Vaterschaften – ebenso wie unterschiedliche Ansprüche an sie.”
Vaterschaft ist nichts, was sich einfach von selbst versteht, sondern eine soziale Rolle, die gesellschaftlich verhandelt werden muss. Weder sind Väter einfach eine männliche Variante von Müttern, denn die zeitliche und unter Umständen auch räumliche Distanz zwischen Zeugung und Geburt ist ein Umstand, der nicht einfach ignoriert werden kann: Während bei der Zeugung immer beide, Vater und Mutter, zugegen sind, ist “im Moment der Geburt der Vater nur dann anwesend, wenn die Mutter die Beziehung zu ihm stiftet”, wie Günter schreibt. Die Geburt “ist nicht nur biologisches Geschehen, sondern das soziale Moment, das Elternschaft begründet. Sie zeigt die vielfältigen sozialen Bezüge und Interessen an, die eine Frau als Gebärende gestalten kann.”
Sehr lehrreich ist die geschichtliche Rückschau, die Andrea Günter bietet. Dass gegenwärtig die Vaterschaft diskutiert werden muss, ist ja auch eine Folge davon, dass Frauen sich zunehmend aus einer patriarchalen Fremdbestimmung befreit haben, die auf vielfältige Weise dafür sorgte, dass trotz der “Unsicherheit der Zeugung” Männern die Kontrolle über Mutter und Kind garantiert wurde. Diese “väterliche Gewalt” wurde schließlich im 18. Jahrhundert zu einem Naturrecht erhoben (und in ihrem sozialen Ursprung damit verschleiert). Zwar geriet durch die Industrialisierung dieses Vaterbild in eine Krise, insofern Väter immer weniger in der Lage waren, die wirtschaftliche Sicherheit “ihrer” Familien zu garantieren. Doch obwohl sich die Geschlechterrollen heute geändert haben, ist die Rechtsprechung als solche – bei aller Gleichheitsrhetorik – noch nicht entpatriarchalisiert: “Überprüfen wir die rechtlichen Entwicklungen in Kontinuität mit der Geschichte der Väterrechte, so drängt sich der Eindruck auf, Väter hätten nun Mittel gefunden, neue Vaterrechte auf alten Wegen zu stabilisieren”, schreibt Günter.
Konkrete und teilweise haarsträubende Beispiele für diese Situation haben Anita Heiliger und Eva-K. Hack in ihrem Sammelband “Vater um jeden Preis?” gesammelt. Sie zeigen, dass die derzeitige Handhabung im Sorge- und Umgangsrecht “in zahlreichen Fällen für Frauen und Kinder untragbar” ist. An den geschilderten Fällen wird deutlich, dass tatsächlich die Untergrabung der mütterlichen Autorität ein Kernpunkt ist: Etwa wenn, wie in einem (wenn auch extremen) Fall tatsächlich geschehen, per Gericht das alleinige Sorgerecht einem in den USA lebenden Vater zugesprochen wird, während die Mutter weiterhin die Pflicht hat, die Kinder in Deutschland zu versorgen. Oder wenn bei Kindern, die sich gegen eine Begegnung mit ihren biologischen Vätern sträuben, pauschal davon ausgegangen wird, dass die Mütter sie in dieser Hinsicht manipuliert hätten – und das sogar in Fällen, wo die Väter nachweislich zuvor gewalttätig geworden waren. Und es wird an den Fallbeispielen sichtbar, wie die Rhetorik der Gleichheit – etwa in der pauschalen, gesetzlich festgeschriebenen Behauptung “Kinder brauchen beide Eltern” – zu einer tatsächlichen wie symbolischen Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche führen kann.
Die Krassheit dieser Fälle und die offensichtliche Tatsache, dass das Bemühen um eine auf Gleichheitsbehauptungen und Biologisierung gründende Gestaltung von Elternschaft in der Realität sehr oft eine konkrete Benachteiligung von Frauen bedeutet, steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der weit verbreiteten Zustimmung, die dieser Trend auch unter Frauen und in sich als links und feministisch verstehenden Medien erfährt. So bejubelte Heide Oestreich in der “taz” die jüngste Erleichterung von Gentests zur Feststellung der biologischen Vaterschaft selbst nach vielen Jahren sozialer Vaterschaft als “Ende des Mittelalters”.
Es ist daher gut, dass Andrea Günter in ihrem Büchlein konfrontative Argumentationen vermeidet und die Debatte sachlich und nüchtern führt. Sie setzt darauf, dass Frauen trotz allem “neue Wege und Sprechweisen finden, Schwangerschaften einzubringen und Vaterschaften zu bezeugen.” Denn gleichwohl gilt, dass das Patriarchat zu Ende ist, dass “kaum einer mehr den Zwang zur Zeugungs- und Gebärkontrolle über Frauen teilt. … Jede Gesetzgebung kann unterlaufen und muss präzisiert werden.”
Günter plädiert dafür, für das Verständnis von Vaterschaft nicht länger das um das Paar von Mann und Frau gruppierte Modell der Kleinfamilie zugrunde zu legen, da diese heterosexuellen Paarbeziehungen heute weniger stabil denn je sind. Vielmehr sollten “die Beziehungen und die Lebensräume von Müttern, Kindern und Vätern weiträumiger gedacht werden.” Nicht idealistische Lebenskonstellationen, “sondern vor allem die Anstrengungen der Bindungspraxis ‚Elternschaft’” seien in den Blick zu nehmen: “Aus der Forderung nach der persönlichen Verantwortung für die Gestaltung von lebendigen und erfüllenden Beziehungen folgt, dass Elternkonstellationen nicht eindeutig sein müssen, sondern von Individuen und ihren Vorstellungen unterschiedlich geprägt werden können.”
Es ist daher logisch, dass Andrea Günter nicht mit einfachen Antworten aufwartet, sondern am Ende ihres Textes offene Fragen formuliert. Für Vaterschaft gilt nämlich dasselbe, wie für Mutterschaft: Sie ist keine Naturtatsache, die sich erforschen und juristisch festlegen ließe, sondern eine Gestaltungsaufgabe mit offenem Ausgang. Dabei gilt, wie Günter schreibt: “Die Position des Vaters ist nicht mit der Mutter identisch. Die Frage der Vaterschaft ist eine andere Frage als die der Mutterschaft. Die Aufgabe, Vätern einen Platz zu geben, ist eine eigenständige Aufgabe und bleibt eine eigene Anstrengung. Diese unterscheidet sich davon, wie eine Mutter ihren Platz einnimmt, wie sie ihn ausfüllt und welchen Fragen sie sich hierbei stellen muss.”
Es ist zu wünschen, dass dieses Büchlein eine große Verbreitung findet und zum Ausgangspunkt für zahlreiche persönliche wie gesellschaftliche weiterführende Diskussionen wird.
Andrea Günter: Vätern einen Platz geben. Aufgabe für Frauen und Männer. Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2007, 5 Euro.
Anita Heiliger, Eva-K. Hack (Hg): Vater um jeden Preis? Zur Kritik am Sorge- und Umgangsrecht. Frauenoffensive 2008, 19,90 Euro.