Forum für Philosophie und Politik
Von Dorothee Markert
Vor wenigen Monaten habe ich auf unserer Mailingliste “Gutesleben” und auch in meinem Text “Traumatisierungen zwischen Frauen und Männern” noch geklagt, dass feministisches Denken und feministische Politik nicht aufgegriffen werden und folglich nicht dort ankommen, wo sie Hilfreiches zur Lösung gegenwärtiger Probleme beizutragen hätten. Einige von uns haben sich dann Gedanken gemacht, woran das liegen könnte. Doch kaum war es ausgesprochen, hat sich die Situation schon verändert: In den Medien, vor allem in “Zeit”-Artikeln, entdeckte ich nun immer wieder Anzeichen, dass ein anderer, ein unvoreingenommenerer Blick auf Feminismus möglich werden könnte. Meine diesbezügliche Zuversicht ist nun weiter gewachsen durch das, was ich auf der Documenta 12 in Kassel erlebt habe.
Aus Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln über die Documenta hatte ich schon vor meinem Besuch erfahren, dass die Mit-Kuratorin Ruth Noack, die zusammen mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Roger Buergel die diesjährige Documenta gestaltet hat, Feministin sei, und dass auch er sich intensiv mit feministischen Ideen auseinandergesetzt habe. Doch ich rechnete nicht damit, dass dies in der Ausstellung so sehr spürbar sein würde. Erst während der Besichtigung fiel mir auf, wie viele Werke von Frauen ausgestellt waren – 55 Künstlerinnen und 61 Künstler waren beteiligt. Dies wird in der Presse kaum thematisiert, worüber sich Luise Pusch in einer Glosse auch schon lustig gemacht hat. Die große Zahl ausstellender Frauen war jedoch nicht das, was in mir während der Ausstellungsbesichtigung zuerst ungläubiges Staunen, dann immer mehr Freude auslöste. Es war die Tatsache, dass Themen, Vorstellungen, bevorzugte Materialien und Anliegen von Frauen hier auf eine Weise in Erscheinung traten, wie ich es noch nie zuvor im öffentlichen Raum erlebt habe. Bei der Betrachtung der Werke wurde ich immer wieder an das erinnert, was Chiara Zamboni in dem Buch “Unverbrauchte Worte” über Frauen sowie über Welt verändernde Praxis geschrieben hat: an die weibliche Liebe zum Konkreten, die Liebe zu den Dingen, an ihre Vorliebe, schwierige Dinge anhand von Beispielen zu erklären, an die große Bedeutung von Beziehungen – und an die Öffnung für das Unvorhergesehene mit der dabei erforderlichen Risikobereitschaft.
Ich beginne mit dem letzten Punkt, denn ohne die Risikobereitschaft des Kuratorenpaars wäre diese Ausstellung so nicht möglich gewesen. Die beiden entschieden sich für eine Praxis in dem Sinne, wie sie von Chiara Zamboni in dem Text “Ein philosophischer und politischer Streit über das Verständnis von Praxis” definiert wird. Sie beschlossen, keine Werke von bekannten Künstlern der Kunstszene zu zeigen und von den ausstellenden KünstlerInnen nicht deren bekannteste “Hauptwerke”, sondern jeweils mehrere Werke auszustellen. Und sie ließen auch Werke zu, die aufgrund ihrer Lebendigkeit nur schwer in ihrem Gelingen voraussehbar und terminierbar waren: Ein Mohnfeld, Reisterrassen, die Einladung an 1001 ChinesInnen nach Kassel. Als Scheitern wurde es ihnen dann auch ausgelegt, dass das Mohnfeld, das die Zagreber Künstlerin Sanja Iveković vor einem der Ausstellungsgebäude gestaltet hatte, nicht pünktlich zur Ausstellungseröffnung blühte. Auch die vor dem Schloss Wilhelmshöhe angelegten Reisterrassen gediehen nicht besonders prächtig, was meiner Ansicht nach dem künstlerischen und politischen Gehalt dieser Installationen keinerlei Abbruch tut. Von Risikofreude zeugt auch das Experiment, einzelne Documenta-Werke in eine Ausstellung perfekt gemalter Ölbilder niederländischer Meister aus der Zeit Rembrandts zu hängen – sogar in den Rembrandt-Raum selbst – und so die Documenta-Besucher sowohl in eine Alte-Meister-Ausstellung zu locken und sie gleichzeitig mit dem Kontrast der Kunst-Auffassungen direkt zu konfrontieren. Wie sehr Kunst in jener Zeit in den Dienst der Selbstdarstellung reicher Bürger gestellt war, der Darstellung ihres Ansehens, ihrer Macht und ihres Reichtums, wurde mir bewusst durch das Nebeneinander solcher Gemälde mit einer Fotocollage der polnischen Künstlerin Zofia Kulik mit dem Titel “The Splendor of Myself”, auf der sie sich selbst als prächtig gekleidete Königin darstellt, wobei die Ornamente auf dem Gewand aus einer Vielzahl kleiner Fotos eines nackten Mannes in unterwürfiger Haltung bestehen. Die Platzierung des Kunstwerks an dieser Stelle legt die Interpretation nahe, das Streben von Frauen, diese bürgerlichen Patriarchen nachzuahmen und sich auf ähnliche Weise selbst zu feiern, auf die Spitze getrieben durch das Sich-Schmücken mit den eigenen Eroberungen, augenzwinkernd als falschen Weg zur Frauenbefreiung kenntlich zu machen.
Auf die Idee, dass ich künstlerische Werke von Frauen vor mir habe, – an den Namen war dies ja nicht immer eindeutig zu erkennen – kam ich vor allem durch die Wahl der Materialien: Es gab zahlreiche Werke aus oder mit Stoffen und Teppichen. Beispielsweise hatte die chinesische Künstlerin Xiaoyuan Hu Dinge des täglichen Gebrauchs in drei große seidene Fahnen eingearbeitet, persönliche Gegenstände von ihrer Großmutter, ihrer Mutter und von ihr selbst. An einen überdimensionierten Webrahmen erinnerte die Installation von Trisha Brown aus den USA, die einen ganzen Raum füllte und von Tanz-Performances umrahmt wurde: In ein Netz aus dicken Seilen waren Kleidungsstücke in bunten Farben eingewoben: Hosen, Jacken, Hemden, Blusen. Um Kleidung ging es auch in einer Fotoserie über Läden in Brooklyn und Harlem, in denen Hosen, Hemden und Schuhe so akkurat ausgestellt wurden, wie wir es von südländischen Marktständen für Obst und Gemüse kennen, während auf einem anderen Foto die Verschiffung dieser Kleider in riesigen Ballen zu sehen war, womit die Künstlerin Zoe Leonard wohl den Bezug zu globalen Handelsbeziehungen herstellen wollte. An die “Webstube der Penelope”, mit der sich einige Frauen unserer Mailingliste “Gutesleben” immer wieder beschäftigen, erinnerte mich die Videoinstallation “Lightning Testimonies” des Inders Amar Kanwar, in der es um sexuelle Übergriffe gegen muslimische oder Hindu-Frauen im Anschluss an die Unabhängigkeit von Pakistan und Bangladesh durch Soldaten der jeweils anderen religiösen Gruppe geht. Eine alte Frau erzählt von der Vergewaltigung und Verschleppung ihrer Tochter und zeigt dabei einen Umhang, in den sie all ihren Schmerz darüber eingewoben hat. Beziehungs-weise wird das Thema “Krieg” auch von der Amerikanerin Mary Kelly thematisiert, die aus dem Inhalt des Flusensiebs im Wäschetrockner einen Wandfries herstellte, auf das sie die Geschichte eines kleinen Jungen gedruckt hat, die “Ballade von Kastriot Rexhepi”, der im Kosovokrieg verloren ging und erst Jahre später wieder zu sprechen begann, als er zu seiner Familie zurückgebracht wurde.
Beziehungs-weise wird auch der Feminismus selbst von derselben Künstlerin thematisiert: Auf den Wänden eines Gewächshauses mit Milchglasscheiben sind innen Aussagen von Feministinnen der 70er Jahre eingeritzt (lasergeschnittener Acrylguss), die von außen seitenverkehrt zu sehen und also kaum lesbar sind – ich dachte dabei an die Schwierigkeiten der Vermittlung, die wir damals hatten und immer noch haben, wenn wir unser “Gewächshaus” nicht auch hin und wieder verlassen. Außen äußern sich Frauen der Töchtergeneration und beziehen sich dabei meistens auf ihre Mütter. Zum Gewächshaus fiel mir natürlich der Titel meines Buches “Wachsen am MEHR anderer Frauen” ein. Aber ich hatte auch die Assoziation eines Glashauses, auf das leicht mit Steinen geworfen werden kann.
Natürlich gab es auch Arbeiten von Frauen, die mir nicht so gut gefielen oder mit denen ich nichts anfangen konnte, und solche von Männern, die mich berührten. Besonders eindrucksvoll fand ich das aus Plastikkanistern gebaute Flüchtlingsboot von Romuald Hazoumé aus Benin vor einer urlaubsidyllischen Fototapete eines afrikanischen Strandes. Und es gefiel mir, dass Ai Weiwei aus Peking sein Monument aus wunderschön verzierten Fenstern und Türen von durch den Bauboom zerstörten Häusern noch besser fand, nachdem es durch ein stürmisches Unwetter zusammengekracht war. Denn auch hier begegnete mir wieder – wie an vielen anderen Stellen – die Öffnung für das Unvorhergesehene und die Fähigkeit, mit dem zu sein, was ist.
Mehr Infos unter www.documenta12.de.