Forum für Philosophie und Politik
Von Ina Praetorius
Antje Schrupp schreibt von der “Hoffnung dass es uns gelingen wird, die Welt so umzugestalten, dass alle Menschen – Alte wie Junge, Gesunde wie Kranke, Frauen wie Männer, Erwachsene wie Kinder – gut und mit Wohlbehagen darin leben können” (7). Das hört sich naiv an in einer Zeit, in der man sich darin überbietet, düstere Bilder von einer “veralternden” Gesellschaft an die Wand zu malen. Was lässt Antje Schrupp hoffen? Erstens: Menschen sind frei, sich den relevanten Fragen zuzuwenden und kreative Lösungen für neue Probleme zu finden. Zweitens: Das noch gängige Menschenbild, das sich am erwachsenen weissen gesunden besitzenden Mann als Norm orientiert, ist keine ewige Wahrheit, sondern ein historisches Konstrukt. Drittens: “Anders als die Feuilletons haben Feministinnen diese Themen nicht erst gestern entdeckt, sondern schon vor Jahrzehnten. Es kommt nun darauf an, diese Pionierarbeit auch zu Gehör zu bringen und deutlich zu machen, warum mehr weibliche Freiheit eine Lösung für diese Herausforderungen sein könnte” (10).
Das ist nicht naiv, sondern lesenswert.
Die Autorin nimmt also die vielen Einsichten, die Frauen in ihren Kämpfen für eine flexiblere und gerechtere Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und Generationen, für unkonventionelle Lebensformen und verbindliche, aber nicht nur familiäre Kinderbetreuung und eine insgesamt kinderfreundliche Gesellschaft gewonnen haben, zum Ausgangspunkt ihrer Analyse des alternden Deutschland. Zunächst erkennt sie, was interessanterweise keineswegs selbstverständlich ist, ausdrücklich an, dass es ein “ganz und gar begrüssenswerter Umstand” ist, “dass heute nur noch sehr wenige Menschen (im wohlhabenden Westen erg. I.P.) in jungen Jahren sterben müssen”(16) Dann wertet sie die einschlägigen Studien aus, die Simone de Beauvoir und Betty Friedan im vergangenen Jahrhundert vorgelegt haben. Und sie wagt sich an Lösungsansätze heran, die in der Frauenbewegung längst diskutiert werden, gesamtgesellschaftlich aber noch tabuisiert sind, obwohl sie reelle Lösungen für den mit dem demographischen Wandel gegebenen sozialen Wandel darstellen: zum Beispiel dem Abschied von der Norm der “Zweikindfamilie” und von der Ideologie, eine Frau sei erst dann wirklich Frau, wenn sie Mutter geworden sei. Mit schlüssigen Argumenten plädiert sie für die Anerkennung des Kinderwunsches auch lesbischer und schwuler Lebensgemeinschaften, und sie wendet sich der Frage zu, wie kinderreiche Familien, in deren Verschwinden die den eigentlichen Grund für den “Kindermangel” ortet, wieder salonfähig werden können. Unversehens wandelt sich so das Damoklesschwert “Veralterung” tatsächlich zur attraktiven Gestaltungsaufgabe, zu der ich als Leserin meinen phantasievollen Beitrag zu leisten Lust bekomme.
Wenn Antje Schrupp scheinbar evidente demographische Daten kritisch unter die Lupe nimmt, sich dann der Frage zuwendet, warum und unter welchen Bedingungen Frauen und Männer sich eigentlich für oder gegen Kinder entscheiden und schliesslich ein gar nicht so düsteres Bild von einer vielfältigen Alterskultur malt, dann lese ich mit wachsender Begeisterung. Dann und wann gleitet ihre gewohnt lockere journalistische Schreibe zwar ab in ein allzu gutgläubiges Lob gängiger Anti-Aging-Technik. Aber scharfsinnige Ideologiekritik, Wissen und feministischer Sachverstand setzen sich immer wieder durch. Tatsächlich: wer das Patriarchat nicht für die ewige Seinsordnung hält und sich eine realistische Freiheit vorstellen kann, die jenseits der Wahl zwischen zwei oder drei stereotypen Mustern – Hausfrau oder Topmanagerin? Softie oder Rambo? – auf wirkliche Veränderung zielt, braucht vor dem eigenen Alter und vor der älter werdenden Gesellschaft nur die kleine Angst zu haben, die schon immer realistisch war. Dass diese Gesellschaft sich endlich abwendet von den neoliberalen Idealen der sinnentleerten Effizienz- und Flexibilitätssteigerung, ist nämlich ohnehin längst fällig. Ein solcher – im übrigen längst vielerorts in Gang befindlicher – Wandel geschieht nicht nur im Interesse der Alten und anderer “Schwacher”, sondern aller.
Antje Schrupp, Methusalems Mütter. Chancen des demographischen Wandels, Königstein/Ts. (Ulrike Helmer Verlag) 2007, 204 Seiten