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Rubrik unterwegs

Postpatriarchales Denken und der Klimawandel

Von Ina Praetorius

Bericht vom Open Forum beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos

Hurrikan

Hurrikan. Foto: Photocase/mys

Man mag vom World Economic Forum halten, was man will, eins ist sicher: es ist eine Gelegenheit, übers Ganze nachzudenken. Wenn alle Welt – in Davos, Nairobi und sämtlichen Fernsehanstalten – Ende Januar übers Ganze nachdenkt, warum sollte ich es nicht auch tun? Ich bin also zum dritten Mal nach Davos zum WEF gefahren. Genauer gesagt: zum Open Forum, dem öffentlichen Teil des WEF. Denn um ins hermetisch abgeriegelte Kongresszentrum vorzudringen, dazu bin ich noch nicht reich und berühmt genug.

Dieses Jahr dachten alle über den Klimawandel nach. Al Gore und Sir Nicholas Stern haben gewirkt. Während im vergangenen Jahr noch die meisten einander versicherten, ein Zusammenhang zwischen dem Hurrikan Catrina, den Jahrhunderthitzesommern, den abschmelzenden Polen und dem CO2-Ausstoss der sechseinhalb Milliarden ErdenbürgerInnen sei nicht erwiesen, fand dieses Jahr jedermann, da müsse etwas getan werden. Bei den meisten hörte sich das Bekenntnis zur (prognostizierten Kosten-)Wahrheit des global warming zwar noch wie eine Floskel an. Aber es gibt auch Manager und Politikerinnen, die über die gängigen neoliberalen Dogmen hinaus zu denken imstande sind und denen ich es zutraue, dass sie mehr im Sinn haben als nächstes Jahr in Davos demonstrativ mit einem Hybridauto vorzufahren.

Wenn ein derart grenzüberschreitendes Problem unabweisbar zur Debatte steht, dann rückt die Möglichkeit näher, auch in Davos – und zwar nicht nur auf der Strasse, sondern im Kongresszentrum – über Modelle des Zusammenlebens zu verhandeln, die sich nicht dem Glauben an die allein selig machende Wirk- und Heilkraft des so genannt freien Weltmarktes einordnen. Zwei Männer, zumindest, fingen damit an: der TAZ-Korrespondent und UNO-Experte Andreas Zumach und Samuel Nguiffo, Jurist und Direktor des “Environment and Development Center” in Yaounde. Erfreulich geradlinig und unaufgeregt plädierte Zumach beim Podiumsgespräch zum Thema “Managing Access to Oil: The Risk of the 21st Century” dafür, jetzt auf keinen Fall hektisch wieder auf Atomkraft zu setzen. Denn auch Uran sei begrenzt, das Endlagerproblem nach wie vor ungelöst, und die technologischen und sozialen Ideen für eine grundsätzlich andere Entwicklung des Zusammenlebens seien ja längst vorhanden. Nguiffo berichtete von den Konflikten und sozioökonomischen Rückschritten, die der globale Kampf ums Oel für alle afrikanischen Regionen bedeutet, in denen es nennens-, also begehrenswerte Oelvorkommen gibt. Fazit für beide: lasst uns angesichts der Notwendigkeit, den Verbrauch nicht erneuerbarer Energiequellen weltweit zu senken, neu über alternative Modelle des menschlichen Zusammenlebens verhandeln, die grüne und linke (ich füge hinzu: feministische) Menschen und Bewegungen in den Siebziger- und Achtzigerjahren schon ausgearbeitet haben. Zum Beispiel: über das Konzept der “2000-Watt-Gesellschaft”.

Zwar standen die beiden Befürworter eines grundsätzlichen Umdenkens, das an die lebhaften Debatten vor der Globalisierungshype anknüpft, einer grossen Mehrheit von ängstlich auf  neoliberale Kontinuität bedachten Machertypen gegenüber, die noch immer nur innerhalb des Paradigmas von Wirtschaftswachstum und globalem “Frei”-Handel zu diskutieren bereit sind – notfalls abgestützt auf das Argument, dass “die Chinesen und Inder das sowieso machen, auch wenn wir gern moralischer wären…”. Trotzdem: ich hatte den Eindruck, dass angesichts der inzwischen auch in herkömmlichen ökonomischen Kategorien berechneten Kosten der globalen Klimaveränderung die Bereitschaft wächst, AndersdenkerInnen zumindest zuzuhören.

Irgendwie war ich froh, dass man dieses Jahr nicht wie 2006 Alice Schwarzer als Repräsentantin “der” Frauenbewegung ans Open Forum eingeladen hatte. Denn wahrscheinlich hätte sie auch auf die Frage, was denn Feministinnen zum Klimawandel einfalle, gesagt, was sie stets sagt: Hausarbeit sei eben nicht sexy und alle Frauen müssten gleichberechtigt sein…

Und was hätte ich gesagt, hätte man mich nach dem Zusammenhang zwischen meiner postpatriarchalen Weltsicht und dem Klimawandel gefragt?

Ich hätte gesagt, dass das Kernproblem des Patriarchats nicht die “Benachteiligung der Frauen” ist, sondern die Gewohnheit, zweitrangige vor erstrangigen Fragen zu stellen und zu beantworten. Diese Praxis, sich systematisch nicht (zuerst) dem zuzuwenden, worum es eigentlich geht, sondern genau andersherum – dem Geld vor den Bedürfnissen, dem Freihandel vor der Subsistenz, dem Dogma vor der Realität, dem Tod vor der Geburt, Gott vor der Welt, dem Gesetz vor den Beziehungen usw. -, hat wesentlich dazu beigetragen, dass entstehen konnte, was uns jetzt so viele Sorgen macht. Dass allzu oft zweitrangige vor erstrangigen Problemen angegangen würden, stellten auch Andreas Zumach und Samuel Nguiffo fest, allerdings ohne diese “seltsame” Gewohnheit zur Herrschaftsform Patriarchat in Beziehung zu setzen. Hier könnte ich ihnen weiter helfen, und mit dieser Analyse wäre vielleicht auch Alice Schwarzer gedient, die es sich, möglicherweise aus einer Art Verantwortungsgefühl den Frauen gegenüber, nach wie vor zu verbieten scheint, vom Problem der (vermeintlich) unattraktiven Hausarbeit weiter zu denken auf die Frage zu, was diese patriarchale Kultur uns seit Jahrhunderten als erst- und was als zweitrangig, was als “sexy” und was als unattraktiv, was als höher und was als niedrig erscheinen lässt.

Ich meine also, dass die Entstehung des Klimawandels, der “Umweltkrise” überhaupt, ursächlich mit der zweigeteilten Weltordnung des Patriarchats zusammenhängt. Und ich meine, dass es die Debatte um den Klimawandel und die Massnahmen zu seiner Eindämmung voranbringen würde, wenn dieser Zusammenhang ins Blickfeld gerückt würde, wenn wir uns also ausdrücklich der Frage zuwenden würden, welche Lebensinhalte uns – wie selbstverständlich – als “höher” erscheinen: Geld, Mobilität, Unabhängigkeit, Fortschritt, Dynamik – und welche als unattraktiv, schwach und “weiblich”. Und ob sich an solchen Quasi-Selbstverständlichkeiten, sind sie einmal als Konstrukte erkannt, etwas ändern liesse. Zum Beispiel dadurch, dass wir jenseits gängiger Urteile darüber, was das Leben lebenswert macht, sehen und sagen, was ist.

Dieser Artikel war Anlass für eine Diskussion in der Mailingliste “Gutes Leben”, die wir ebenfalls dokumentieren: “Sich den realen Bedürfnissen zuwenden”

Autorin: Ina Praetorius
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 05.02.2007

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