beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik anschauen

“Die Ausrufung des Jahrtausends der Frau”

Von Astrid Wehmeyer

Ein Film von Siegrun Laurent und Uschi Madeisky

Der Film beginnt leise und – entgegen den Erwartungen des Titels – unspektakulär: Frauen und Kinder ziehen gemeinsam einer Burgruine entgegen. Sommerliches Ambiente, Gesang liegt in der Luft, Feierlichkeit. Ziel ist das Hambacher Schloss, in der Nähe Neustadt an der Weinstrasse, die Rheinebene und – malerisch – der Pfälzer Wald.

Doch was so unprätentiös daherkommt, ist ein historisches Ereignis. Zum zweiten Mal in knapp 160 Jahren ziehen Menschen hierher, um ihrem persönlichen und politischen Anliegen Ausdruck zu verleihen. 30.000 Männer und Frauen waren es am 27. Mai 1832, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für demokratische Rechte kämpften und das Geschichte schreibende Hambacher Manifest ausriefen. Erstmals sollten Frauen wie Männern ungeachtet von Stand und Geburt politische Partizipationsrechte zugesprochen werden.

Jetzt, im Film, sind es vielleicht nur 3.000, eben vorwiegend Frauen, die für ein nicht minder wichtiges Anliegen gekommen sind: Die Ausrufung des Jahrtausends der Frau. Denn was der lange Prozess der Demokratisierung nicht brachte, war die Freiheit der Frau. Demokratie wurde Männersache, und obwohl Frauen 1832 Seite an Seite mit Männern kämpften, kam die Anerkennung als politisches Subjekt für Frauen durch das Wahlrecht erst 86 Jahre später. Freiheit im Sinne der Eigenwertigkeit der Frau als Frau – darauf warten Frauen bis heute. Oder besser gesagt: Warteten Frauen bis zum 27. Mai 2000. Symbolisch verstanden. Denn diesen historischen Tag wählte Siegrun Laurent – Philosophin, Politikerin, Autorin, Priesterin, Leiterin der feministischen Akademie Alma Mater und Initiatorin des Hambacher Frauenmanifests – um Frauen aus aller Mutter-Länder zwecks Zäsur zusammen zu rufen: Hier und jetzt dem Warten, dem Abarbeiten an männlichen Vorgaben, dem mühseligen und erfolglosen Einfügen in patriarchale Spielwiesen ein Ende zu setzen.

Denn es liegt in der Luft, es summt aus der Erde und die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Dieses Jahrtausend ist weiblich! Das Patriarchat ist am Ende angelangt.

Und so setzt der Film seine Reise fort durch ein “Etwas”, das eigentlich dokumentarisch nicht abzubilden ist, geschweige denn zu benennen: Hunderte Frauen wogend und singend, stampfend, klatschend, lachend und weinend in Ritualen, die in Bruchstücke genügen, um zu Tränen zu rühren. Babylonisches Sprachengewirr und meditationshafte Konzentration. Hunderte Gesichter werden zur EINEN mit tausend Namen. Vielfalt statt Gleichheit, soviel wird deutlich, ist die Kraft dieser neuen Frauenbewegung, die hier auf dem Hambacher Schloss einen neuen Anfang nimmt.

Ihr geistiges Zentrum ist die feministische Spiritualität, ihre politische Parole Philosophie, ihr Aktionsfeld eine sinnvolle, beziehungsstiftende Kultur. Gebete stehen neben Vorträgen, Rituale neben Gesang und Tanz, Frauenpartei neben Klöstern. In dieser Kultur ist alles möglich, wenn es gewünscht und gut für das Leben ist. In dieser Kultur entscheiden Frauen. Für sich, gemeinsam, mit Wind, Wasser, Feuer, Erde, mit ihren Kindern, Mitgeschöpfen und unserem Heimatplaneten.

Denn sie wissen, was sie tun: Lang ist die Liste der Rednerinnen, Vortragenden, tanzenden und singenden Expertinnen. Da sind Claudia von Werlhoff, Christa Mulack, Ziriah Voigt, Heide Göttner-Abendroth, Angelika Aliti, Erika Wisselink … um nur einige, ausdrücklich nicht stellvertretend für die vielen, vielen Frauen zu nennen, die Siegrun Laurents Aufruf gefolgt sind.

Jede von ihnen spricht mit eigener Stimme. Lange und kein bisschen lang-weilig räumt der sensible Film diesen Raum ein, öffnet und spannt einen Regenbogen, eine Feuerglut weiblichen Denkens und Handelns. Führt die Zuschauerin tief und tiefer in die Berührung, in das Ereignis selbst, solange, bis sie sich selbst mitten unter den Frauen auf dem Hambacher Schloss wähnt. Zeit und Raum sind relativ, jeder Moment dieses Films macht erfahrbar – es geschieht jetzt, hier, und wir sind ein untrennbarer Teil davon. Entgegen der Parolensammlung des ersten Manifestes ist das Hambacher Frauenmanifest gelebte, lebendige Kultur. Nicht reduziert auf einige Seiten, sondern weiter geschrieben mit jeder atmenden Frau.

Ein Symbol dieser Lebens-Kultur ist die Göttin. Als SIE, die dreifaltige EINE, Weiße, Rote und Schwarze die Bühne betritt, um in tausend und einer Sprache das Jahrtausend der Frauen auszurufen, zu besiegeln, verdichtet sich der Film einmal mehr:

Mutter von uns allen!

“Mit der Kraft der Elemente “Erde-Feuer-Wasser-Luft” rufe ich das Jahrtausend der Frau aus. Mögen sich die Frauen dieser Welt verbinden und vereinen

So sei es!”

In dreizehn Muttersprachen wiederholen Frauen diese Anrufung, in Deutsch, Französisch, Arabisch, Hebräisch, in der Sprache Schwarzafrikas wie der der Hopi und der Spastikerinnen, in der der eben Geborenen wie der gerade Scheidendender. Die Sprache der Rassel besiegelt jeden Ausruf. Und die Erde schickt ihren Gruß, Windböen streichen plötzlich und heftig übers Land, fangen die Stimmen der Frauen ein, um sie an andere Orte zu tragen. Gänsehautstimmung, tiefe Berührung und – ja – Gewissheit: Die Wende ist eingeläutet. Frauen haben umfassend gedacht und geplant. Sie übernehmen von jetzt an die Regie. Es gibt nichts mehr zu beklagen noch zu erbitten. Nur noch weiter zu gehen. Diese Botschaft reicht weit über den Film hinaus, berührt jede Zuschauerin tief, auch mich, und es wird klar: Ich bin eine von Vielen, die auf einem guten Weg sind.

118 Jahre mussten verstreichen, ehe die Forderungen des ersten Hambacher Manifestes in eine politische Ordnung, in das deutsche Grundgesetzt eingeflossen sind. Der Film endet mit der klaren Absicht, dass es diesmal anders ist. Das neue Hambacher Manifest, das Frauenmanifest, hat schon längst seine neue Ordnung gefunden. Es ist – um mit Luisa Muraro zu sprechen – die Ordnung der Mutter, und die Frauen sind angetreten, sie wieder herzustellen. Jetzt, hier und sofort.

So sei es, so wird es sein, so ist es.

Autorin: Astrid Wehmeyer
Redakteurin: Astrid Wehmeyer
Eingestellt am: 08.02.2007

Weiterdenken

Menü