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Dem neuen Buch von Ina Praetorius kann Kristin Flach-Köhler viele wichtige Gedanken entnehmen
Was ist eigentlich <Arbeit> und was <Leistung>? Ist Geld alles, oder vielmehr nichts? Wie merke ich, wann ich genug habe? Welche Tätigkeiten brauchen wir als Gesellschaft, auf welche könnten wir verzichten? Auf diese Fragen antwortet die Schweizer Theologin Ina Praetorius mit ihrem neuen Buch „Erbarmen – Unterwegs mit einem biblischen Wort“. Es kommt in einer Zeit, in der Solidarität und Fürsorge als gesellschaftliche Notwendigkeiten mehr und mehr einem kapitalistisch-marktorientierten Leistungsdenken untergeordnet werden, wie gerufen.
Begonnen hat alles mit dem Satz: „Aber Gott liebt uns doch, bevor wir etwas leisten!“
Bedingungslos und ohne jede Vorleistung geliebt zu werden, was bedeutet das in einer Gesellschaft, in der nur der lohnabhängig arbeitende Mensch zählt und nicht die liebevolle Sorgearbeit, die insbesondere auch von Frauen geleistet wird? Gottes unbedingtes Ja zum Menschen – wie weit geht dieses Versprechen? Und was bedeutet das für unser mitmenschliches Miteinander? Können wir bejahen, dass wir bejaht sind? Im Vorwort erklärt Ina Praetorius, dass sich die Mitte dieses Buches genau um diesen Punkt dreht, die Beziehung zwischen Gottvertrauen auf der einen Seite und die daraus resultierende Weltgestaltung auf der anderen Seite. Sie folgt dabei der Spur des Erbarmens, wie sie sich aus der biblisch-christlich-protestantischen Matrix, in ihre postpatriarchale Gegenwart zieht.
In den elf jeweils für sich stehenden Kapiteln reiht sie ihre Ent-Deckungen als Perlen einer Kette aneinander. Die Leser_innen werden eingeladen, unterschiedliche Zugänge und Perspektiven auf dieses eine altmodisch anmutende Wort ERBARMEN zu nehmen. Sie fordert uns auf, darüber nachzudenken, wie wir uns im Miteinander dem Guten (LK 18,19) annähern können. Wie sähe eine Welt aus, in der tätiges Erbarmen wirklich wird? Die Abkehr von der Zweiteilung der Welt und dem damit verbundenen Gottesbild eines willkürlichen Herrschers führt dabei ins postpatriarchale Heute.
Wie gerufen kommt dieses Buch all jenen, die sich z. B. in Initiativen engagieren, die sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen und deshalb als weltfremd belächelt werden. Es unterstützt auch diejenigen philosophisch, die die Sorgearbeit (Care-Arbeit) im Haushalt und für Abhängige wie Kinder, Pflegebedürftige und andere in den Mittelpunkt desgesellschaftlichen Lebens stellen. Und es liefert denen Argumente, die nach dem Sinn und nach menschlicher Würde fragen, und die sich nicht kampflos der Diktatur des Geldes unterwerfen wollen.
Sie alle erhalten hier theologische, philosophische und anthropologische Grundlagen für alternative Denkansätze. Da ist z. B. die Erkenntnis, dass Barmherzigkeit und Gott im Koran eins sind und die hebräische Bibel die Barmherzigkeit Gottes und Gebärmutter in denselben Bedeutungszusammenhang stellt und folglich alle Geschöpfe als abhängig Geborene beschreibt. Religionsgeschichte, so Ina Praetorius, ist die Geschichte der Sehnsucht nach Trost und Angenommensein, nach ERBARMEN und dem Guten Leben für alle. „Die Gottmenschlichkeit einer Gesellschaft“, so die Theologin weiter, „würde sich daran messen, wie wir damit umgehen, dass alle abhängig und frei zugleich, arm und fähig zum ERBARMEN sind.“
Eine wertvolle Lektüre für alle, die sich nicht mit den als alternativlos bezeichneten Zuständen abfinden und sich im ERBARMEN einüben wollen.
Erbarmen – Unterwegs mit einem biblischen Wort, von Ina Preatorius, Gütersloh 2014, 14,99 €
Ich finde in dem Auszug viele meiner Gedanken und Fragen wieder und werde mir das Buch für die Adventszeit kaufen.
Werde mir diese stärkende Lektüre zu Weihnachten schenken lassen. :-)