Forum für Philosophie und Politik
Von Jutta Pivecka
Momentan füllen Dokumentationen, Spielfilme und Texte zum Mauerfall vor 25 Jahren die Medienkanäle, darunter u.a. auch eine Folge der von Stefan Aust und Claus Richter gedrehten Doku „Zwischen Mauerbau und Mauerfall“, die im ZDF gezeigt wurde. Aust und Richter wollten in dieser Folge offenbar ein Panorama der Gesellschaft und der politisch Handelnden in den 60er und 70er Jahren zeigen. Viele kamen im Beitrag zu Wort: Politiker und Redakteure, Bauunternehmer und Immobilienmakler, Schlagerstars und Produzenten, Häuserkämpfer und Alt-68er. Eine geschlechtergerechte Sprache ist zur Beschreibung des Filmbeitrags indessen unnötig, ja sogar falsch. Denn mit Ausnahme von „Gaststar“ Ute Lemper blieben Frauen als Zeitzeuginnen unbefragt.
Maßgeblich und relevant ist scheinbar fast ausschließlich, was Männer zu erzählen haben. Herr Aust und Herr Richter, spräche eine sie auf das Missverhältnis an, würden wohl (und ich maße mir an, das voraussagen zu können) genau darauf verweisen: Die bedeutenden Akteure der Zeit seien nun einmal Männer gewesen. Man(n) könne die Vergangenheit ja schließlich nicht ändern. Frauen seien – bedauerlicherweise – „damals“ nicht in den entscheidenden Positionen gewesen. Das überzeugt, meistens und viele. Obwohl es nicht stimmt. Denn es gab selbstverständlich Politikerinnen, Redakteurinnen, berufstätige Frauen in vielen wichtigen Branchen, Hausbesetzerinnen und Terroristinnen.
Diese Argumentation findet sich jedoch überall und immer wieder, ob es um Gedichtanthologien, Kunstausstellungen, Geschichtsbücher oder Leselisten geht. Leider habe es eben keine bedeutenden Autorinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen etc. pp. gegeben. Darauf fallen viele immer wieder rein. Obwohl es (fast?) immer gelogen ist. Generation um Generation gelingt es in Kunst, Wissenschaft, Kultur, Politik und Geschichte, die Beiträge von Frauen aus der Tradierung auszublenden. So dass sie immer und immer wieder verschwinden.
Was ist zu tun angesichts dieser steten Wiederholung von Ausgrenzung und Ausblendung? Quoten fordern? Ich schlage zwei andere Wege vor: 1. Wir sollten die (Selbst-)Betitelungen dieser Diskursbeiträge nicht akzeptieren. Wer eine „Geschichte von x“ herausgibt, eine „Übersicht über y“ vorstellt oder den „Zeitraum z“ dokumentiert und dabei die Perspektive, die Handlungen und Werke von Frauen unberücksichtigt lässt, den sollten wir auffordern, präziser zu titeln: Stefan Aust und Claus Richter zeigten nämlich: „Zwischen Mauerbau und Mauerfall aus der Perspektive von Männern“. Weibliche Geschichtsschreibung wird schon längst und überall erkennbar gelabelt. Von Männern kann frau dasselbe erwarten, damit sie weiß, was drin ist und was nicht. 2. – und das ist viel wichtiger (als sich mit dem eingeschränkten Blick auseinanderzusetzen): Wir müssen selbst dafür sorgen, die Geschichten der vergessenen Frauen zu erzählen und die Traditionslinien herstellen. Diese (Auf-)Forderung ist nicht neu und nicht originell, dennoch immer wieder nötig! (Ansonsten wäre es ja nicht möglich, dass immer wieder Menschen auf die o.g. Lügen hereinfallen.)
Geplant ist daher eine Serie unter dem Label “Einblenden” auf bzw, in der die Werke und Taten von Frauen im Mittelpunkt stehen sollen, die aus der Tradition ausgeblendet wurden: Malerinnen, Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Philosophinnen… Wir freuen uns hierbei auch über Beiträge vieler Leserinnen aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten!
“Die bedeutenden Akteure der Zeit seien nun einmal Männer gewesen. Man(n) könne die Vergangenheit ja schließlich nicht ändern. Frauen seien – bedauerlicherweise – „damals“ nicht in den entscheidenden Positionen gewesen. Das überzeugt, meistens und viele. Obwohl es nicht stimmt. Denn es gab selbstverständlich Politikerinnen, Redakteurinnen, berufstätige Frauen in vielen wichtigen Branchen, Hausbesetzerinnen und Terroristinnen.
Freya Klier, Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung, Bürgerrechtlerin, Autorin, Regisseurin. Passenderweise
steht auf ihrer Webseite: ‘Mein elftes Gebot:’ “Du sollst Dich erinnern!” http://www.freya-klier.de/homepage/bio.html
Liebe Jutta Pivecka, das ist eine tolle Idee! Einblenden der Frauen-Geschichte ist sehr wichtig und ich mache gern mit!
Wenn du mir sagst, welche Beiträge du brauchst und in welcher Form, wirke ich mit.
“Leider habe es eben keine bedeutenden Autorinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen etc. pp. gegeben. Darauf fallen viele immer wieder rein. Obwohl es (fast?) immer gelogen ist”.
Ich kann auch nicht mehr zählen, wie oft ich das Argument schon gehört hab und dann: wenn mal jemand nachschaut fallen einem direkt 1000 Frauen auf und mehr, die es widerlegen.
Schon seltsam.
Als dürften Mädchen und Frauen nicht wissen, was Frauen alles geleistet haben.
Und dann haben wir eben nur eine Perspektive auf die Welt. Wie eingeschränkt wir damit leben ist ja auch klar.
Und das soll dann Wissenschaft und ein objektiver Blick sein?
Na vielen Dank auch.
Liebe Jutta Pivecka, ja, schöne Idee mit dem Verfassen von Artikeln, Berichten… über Frauen deren Leben und Arbeiten nicht vergessen werden sollten. Vielleicht könnte das so eine Art fortlaufender Blog werden?
Freya Klier kam mir zum Thema Mauerfall spontan in den Sinn, da sie ja als DDR-Bürgerrechtlerin die damaligen Ereignisse konkret mit beeinflusst und
mit gestaltet hat. Da sie ja glücklicherweise noch unter uns Lebenden weilt, hielte ich es für sinnvoll, dass sie selber zu Wort kommt und einen Beitrag verfasst. Habe sie mal in diesem Sinne angefragt.
“Leider habe es eben keine bedeutenden Autorinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen etc. pp. gegeben. Darauf fallen viele immer wieder rein. Obwohl es (fast?) immer gelogen ist”.
Wichtig scheint mir auch, nicht vorgefertigte Bedeutungszuschreibungen zu übernehmen, sondern wir selber geben den Frauen, die wir nicht vergessen wollen, Bedeutung durch die Art und Weise des Erzählens und Schreibens über sie.
“Wichtig scheint mir auch, nicht vorgefertigte Bedeutungszuschreibungen zu übernehmen, sondern wir selber geben den Frauen, die wir nicht vergessen wollen, Bedeutung durch die Art und Weise des Erzählens und Schreibens über sie”, das klingt großartig! Schön ausgedrückt und so wichtig, denn bedeutend kann ja für alle eine andere Bedeutung haben und das ist auch das Schöne.
Liebe Jutta Pivecka,
Sie sprechen mir ja so aus der Seele.
Danke!
Martina Horak-Werz