Forum für Philosophie und Politik
Von Antje Schrupp
Mit solchen Fragen beschäftigt sich ein neuer Sammelband, der auf die Beiträge einer Tagung der deutschen Sektion der „European Society of Women in Theological Research“ (ESWTR) Ende 2010 zurückgeht. Nach einigen rückblickenden Texten, die an die Entstehung einer explizit „politischen Theologie“ (im Sinne einer engagierten, weltverändernden, „linken“ Theologie) in den 1960er Jahren sowie grundlegenden Überlegungen zum Thema unter anderem von Andrea Günter folgt ein Abschnitt über biblische und spirituelle Perspektiven und einer über „Anfragen und Lernfelder“. Diesen letzten Teil fand ich besonders spannend, weil es darin genau um den Dialog zwischen Theologie und aktuellen politischen Themen geht – Diskriminierung und Islamfeindlichkeit, Körpernormen, Biomacht, Ökologie, das Verhältnis von Menschen und Tieren.
Was ich beim Lesen vor allem frappierend fand, ist die breite Kluft, die zwischen den Forschungen dieser Theologinnen und der gewöhnlichen öffentlichen Wahrnehmung von Kirche und Theologie klafft. Elisabeth Hartlieb zum Beispiel erinnert an Dorothee Sölle, die ja ganz maßgeblich eine „politische Theologie“ vertreten hat, und schon damals „a-theistisch“ war: Sie „entkleidet Gott nicht nur aller Allmacht und zieht Gott radikal in die Immanenz der Mitmenschlichkeit hinein. Zugleich denkt sie die Menschen aus der Perspektive Gottes: Der Ohnmacht Gottes … entspricht die Ermächtigung der Menschen als Gottes Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“.
Wieso, frage ich mich da, wird gesellschaftlich eigentlich immer noch darüber diskutiert, ob Gott existiert oder nicht? Wenn der „Theismus“ in der feministischen Theologie (ich jedenfalls stimme Sölle da hundertprozentig zu) doch längst überholt ist? Wäre es nicht sinnvoller, mit Sölle eine „radikale Immanenz“ stark zu machen – und sie mit ihr von „platter Diesseitigkeit“ kritisch abzugrenzen? Denn das wäre angesichts der „platten Diesseitigkeit“ des Neoliberalismus zum Beispiel heute dringend notwendig.
Ganz unbekannt war mir bisher die US-amerikanische Theologin Catherine Keller, die Aurica Nutt in einem Beitrag über „Ökologie, Gott und Geschlecht“ vorstellt. Sie schlägt vor, anstelle der klassischen „systematischen Theologie“ – die ja letztlich beansprucht, ein in sich kohärentes System „des christlichen Glaubens“ zu formulieren – „konstruktive Theologie“ zu betreiben. Sie bestreitet die Vorstellung, dass es einen Gegensatz zwischen dem Chaos vor der Schöpfung und einem von Gott geordneten Kosmos danach gibt. Dieses Konzept verwirft sie als männlich Imaginäres, stattdessen beschreibt sie „Gottes Macht eher als überzeugend denn als zwanghaft, … eher als ‚Verlockung‘ denn als Gebot.“ (S. 190). Das ist letztlich genau das, was wir andernorts als Kraft des Begehren, als Liebe zur Freiheit und als Politik der Beziehungen formuliert haben.
Anregend fand ich auch den Beitrag von Eske Wollrad, die die Erkenntnisse der „Disability Studies“ (also der Frage, wie wir Gesundheit und Krankheit, „Behinderung“ und „Normalität“ kulturell verstehen) mit theologischen Gemeinplätzen zusammenbringt (à la: Jesus macht, dass die Blinden wieder sehen und die Lahmen wieder gehen). Sie stellt dabei vor allem die Vorschläge der US-amerikanischen Theologin Sharon Betcher vor, die die „Heilungswunder“ anders als üblich interpretiert: Es gehe dabei nicht um die Herstellung von „gesunder Normalität“ (und also eine implizite Abwertung des „Behindertseins“), sondern um eine Kritik an Herrschaftsverhältnissen: Sehr häufig stehen nämlich die Heilungsgeschichten in einem Zusammenhang mit der Befreiung von Gefangenen und der Erlösung von Unterdrückten, zumal das Blenden oder Verstümmeln von Körperteilen gängige Strafen in der Antike waren. Nicht das zum Menschsein unabdingbar dazu gehörige Kranksein und Eingeschränktsein ist Betchers Ansicht nach also Thema der Heilungsgeschichten, sondern das von Machthabern und Unterdrückern anderen zugefügte Leid. Was natürlich ein völlig anderes Bild ergibt.
Dies waren nur einige Beispiele für die Themenfelder, die in diesem Buch angerissen werden und zeigen, wie weit sich feministisch-theologisches Denken inzwischen von den patriarchalen Grundparametern des Christentums entfernt hat. Offen bleibt für mich allerdings die Frage, wie es gelingen kann, diese originellen Ansätze zu verbreiten und wirkmächtig zu machen. Auf den meisten Kanzeln und in der überwiegenden Anzahl offizieller kirchlicher Stellungnahmen wird doch leider immer noch der alte Sermon gepredigt.
Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass der Fokus der Beiträge nach wie vor eher auf der Auseinandersetzung mit eben dieser überkommenen Theologie und Kirche liegt. Die Zukunft der feministischen Theologie hängt aber womöglich gar nicht so sehr davon ab, ob es ihr gelingt, innerhalb kirchlicher (oder universitärer) Strukturen Fuß zu fassen, die ja ohnehin ständig an Einfluss verlieren. Sondern vielleicht eher davon, ob es ihr gelingt, sich im säkularen Diskurs eine Stimme zu verschaffen und Einfluss zu gewinnen.
Wofür uns ja, nur so nebenbei, gerade Dorothee Sölle ein hervorragendes Beispiel gegeben hat.
Stefanie Schäfer-Bossert, Elisabeth Hartlieb (Hg): Feministische Theologie, Politische Theologie. Ulrike Helmer Verlag 2012, 251 Seiten, 29,95 Euro.
liebe Antje, vielen Dank für diesen Artikel, ich werde ihn nochmal richtig studieren… wir haben hier in Bonn als Nachlese zu dem “Frauenmahl” einen Denkerinnene-Kreis,organisiert von den Frauenbeauftragten im Kirchenkreis , wo wir uns 2mal im Jahr treffen (Zeitproblem), das letzte Mal sprach eine tunesische Redakteurin , diesmal Studentinnen zur aktuellen – schwierigen – Frauensituation in der Gesellschaft..
Ich selbst würde lieber vor den 2 Kath. Krankenhäusern in Köln stehen, die die Vergewaltigte ablehnten , ich glaube , wir brauchen mehr Demontration, Aufbegehren , Sichtbarmachen. Glaubst Du wirklich, dass wir schon in der “theoretischen” Diskussion angekommen sind???
Ich werde aber das Buch vorschalgen zur Lektüre.
Viele Grüße aus Bonn. Herzlichst Gabi
Freue mich, dass in diesem Beitrag auf Dorothee Sölle verwiesen wird, deren politische Theologie und mystische Empfindlichkeit mir so notwendig erscheint wie das tägliche Brot.
“Offen bleibt für mich allerdings die Frage, wie es gelingen kann, diese originellen Ansätze zu verbreiten und wirkmächtig zu machen. Auf den meisten Kanzeln und in der überwiegenden Anzahl offizieller kirchlicher Stellungnahmen wird doch leider immer noch der alte Sermon gepredigt,” schriebst du.
Kanzel = Schranken… Wer oder was zwingt eigentlich, “diese originellen Ansätze” immer noch/auch an Kanzel und Kirche gebunden zu denken und wohl auch zu leben?
Damit beschränken wir uns doch immer von Neuem!
Ich finde den Hinweis auf das Buch sehr wichtig, Es deckt sich stark mit dem, was ich in meinem Buch “Jenseits von Gott und Göttin” (C.H.Beck München 2001) ausführte, gerade auch im Blick auf feministische Theologie.
Natürlich muss sich feministische Theologie politisch engagieren, nur ist leider der Begriff “Politische Theologie” schon anders besetzt. Er meint die patriarchale Vereinnahmung und Umbiegung vorpatriarchaler Gottes/Göttinnen-Bilder. Siehe
G.Bott und Jan Assmann.
Gruss Carola