Forum für Philosophie und Politik
Von Siegrun Laurent
Siegrun Laurent schildert ihre Eindrücke und Erfahrungen, die sie als Teilnehmerin beim
10. Frauenpolitischen Ratschlag in Ludwigsburg sammeln konnte, wo eine internationale, frauenpolitische und kulturelle Plattform geboten wurde, auf der sich Frauenprojekte, -gruppen, -organisationen und Parteien ebenso wie Einzelfrauen zum Austausch trafen.
Laut, bunt und unübersehbar begann der 10. Frauenpolitische Ratschlag in Ludwigsburg mit einer Weltfrauen-Demonstration zum historischen Stadtkirchenplatz unter dem Motto „Weltfrauen verbinden – Visionen wagen“. Beeindruckend die Grußworte der eingeladenen Frauen aus der ganzen Welt und berührend das Bild der über tausend Luftballons, die für einen kurzen Augenblick den strahlend blauen Himmel über Ludwigsburg verdunkelten.
Die zentrale Aussage der Grußworte von Frauen der „Organisierten Frauenbewegung“ aus Ecuador, Argentinien, Kolumbien, Mali, Griechenland, Spanien, Iran, Türkei und vielen anderen Ländern war: „Frauenbewegung und Arbeiterbewegung gehören zusammen.“
Losungen wie „Let´s get together in Ludwigsburg“, „Vamos Mujeres olé olé olé“ oder „Frauenpower – das geht so“ hallten über den Platz.
Stolz trugen die Frauen teilweise ihre bunten landesüblichen Trachten und gelb leuchteten die Helme der Mineros von den Bergarbeiterfrauen aus Spanien, als sich der Zug auf den Weg in die Pädagogische Hochschule machte wo der „Frauenpower – Marathon“ begann.
Ein vielfältiges Mammutprogramm von Vorträgen und Diskussionen von 10 bis 19 Uhr, durchgehend, ohne Pause und in mehrere Sprachen übersetzt, das nahtlos in das abendliche Kulturprogramm überging.
Der Titel des Frauenmarathons war „Von Religion bis Revolution“, organisiert wurde der Kongress vom Frauenpolitischen Ratschlag, dem Kämpferischen Frauenrat und dem Frauenverband Courage.
Es war kaum möglich, allen hochkarätigen Referentinnen mit ganzer Konzentration zuzuhören. Doch besonders die Beiträge der radikalen Kämpferinnen aus Griechenland, dem Iran und Deutschland hinterließen einen bleibenden Eindruck.
Sofia Roditi aus Griechenland vom Komitee der Stahlarbeiterfrauen von Aspropirgos, schilderte in ergreifenden Worten den Kampf um das finanzielle Überleben der griechischen Arbeiterbevölkerung. Zaman Masudi aus dem Iran, die auch für die Referentin aus Syrien sprach, die keine Ausreiseerlaubnis erhielt, machte sehr betroffen. Sie referierte über die schreckliche Gewalt gegen Frauen in Syrien und dem Iran.
Nicht von Gewalt und Unterdrückung, sondern vom genauen Gegenteil handelte der Vortrag der Referentin Uschi Madeisky. Sie berichtete von matriarchalen Gesellschaften, wo es dies alles nicht gibt. Sie sprach über die Struktur von Gesellschaften, die keine systematische Gewalt, keine Ausbeutung, keine Kriege oder Naturzerstörung kennen. Durch ihren Beruf als Filmemacherin konnte sie viele existierende Matriarchate überall in der Welt kennenlernen. Sie beschrieb eindringlich worin diese Gesellschaften für uns Lebensmuster bieten und wo sie Modell für ein herrschaftsfreies Zusammenleben sein können. Ferner erzählte sie von Frauen und Männern der internationalen Matriarchatsbewegung, die davon überzeugt sind, dass wir heute, mitten im noch herrschenden Kapitalismus, mit einer matriarchalen Haltung, das Patriarchat verändern und überwinden können. Die an die 1000 Teilnehmerinnen erfuhren, wie vielfältig, bodenständig und lebendig die bereits bestehenden matriarchalen Projekte sind. Uschi Madeiskys Vortrag brachte für viele ganz neue Einblicke, weshalb ich ihn mit ihrer Erlaubnis gern hier anhängen möchte . Die komplette Dokumentation des 10. Frauenpolitischen Ratschlags ist in Arbeit und vermutlich ab Ende November zu haben.
Uschi Madeiskys Vortrag: DIE MATRIARCHATSBEWEGUNG
Dies hier ist ein Ereignis ganz besonderer Art!
So viele Frauen aus der ganzen Welt, die sich Sorgen um den Zustand der Welt machen und sich zusammenschließen, um bessere Verhältnisse zu schaffen. Ich bin sehr froh, dass ich dabei sein kann.
Seit den 70er Jahren engagiere ich mich in der Frauenbewegung. Anfang der 90er Jahre erfuhr ich zum ersten Mal von der Existenz matriarchaler Gesellschaften. Mit der Stärkung durch die Frauenbewegung konnten Ethnologinnen diese Gesellschaften selbst besuchen, präzise beschreiben und analysieren. Forscherinnen leisten hier bedeutende Arbeit, ganz besonders Heide Göttner-Abendroth. Sie erstellte, multidisziplinär – historisch, archäologisch, ethno- und soziologisch – eine grundlegende Definition von Matriarchaten.
Ich war äußerst fasziniert von dieser Entdeckung: Es gibt Gesellschaften, die keine systematische Gewalt kennen, keine Kriege führen, die Natur nicht zerstören!?
Ich sagte mir, dafür hast Du Dein Filmhandwerk gelernt, da wirst Du hinreisen, da erfährst Du etwas ganz Besonderes. Und Du wirst davon in Filmen erzählen. So kam es, dass von da an alle Filme, die ich produzierte, in matriarchalen Gesellschaften gedreht wurden. Zum Beispiel im Nordosten Indiens bei den Khasi, den Jaintias, den Garos, in der Südsee auf Palau, im Osten Afrikas bei den Kunama, in Südchina bei den Mosuo.
Je mehr ich über diese Gesellschaften, ihre Struktur, und das Bewusstsein der Menschen erfuhr, desto mehr verstand ich, dass wir von ihnen lernen können. Immer klarer wurde: Hier sind Lebensmuster zu finden, die Modell sein können für herrschaftsfreies Zusammenleben.
Betonen möchte ich, auch wenn es hier und da schon bekannt ist: „Matriarchat“ ist k e i n e gespiegelte Umkehrung des Patriarchats, es bedeutet n i c h t Frauenherrschaft! Eher so: Mütter und Kinder stehen dort im Mittelpunkt!
Da weltweit immer mehr Forscherinnen sich mit matriarchalen Gesellschaften zu beschäftigen begannen, wurden Weltkongresse für Matriarchatsforschung veranstaltet. 2002 in Luxemburg, 2005 in Texas. Heide Göttner-Abendroth lud WissenschaftlerInnen und auch VertreterInnen aus den Matriarchaten selbst dazu ein. Diese erklärten, dass im Zentrum der matriarchalen Ordnung die MUTTER steht, das mütterliche Prinzip.
So veranstalteten wir Frauen von der Akademie ALMA MATER, vom MatriaVal Verein und der matria-Oase, Hamburg im Jahr 2008 den Internationalen Muttergipfel in Karlsruhe.
Die Kontakte zu Frauen und Männern aus den Gesellschaften selbst wurden immer intensiver. Diese Menschen bestätigten uns darin, dass für den sozialen Zusammenhalt Spiritualität von höchster Bedeutung ist. Spiritualität ist eine Haltung, die davon ausgeht, dass alle mit allen und mit allem verbunden sind. In Matriarchaten wird die Schöpfung weiblich-göttlich gesehen, daher begeben sie sich unter den Schutz von Göttinnen.
Dies griffen wir auf und veranstalteten auf dem Hambacher Schloss in der Pfalz im Jahr 2010 den Internationalen Goddeskongress, also Göttinnenkongress!
Diese matriarchalen Gesellschaften sind Gesellschaften in Balance und werden auch „Konsensgesellschaften“ genannt. Wir in der Matriarchatsbewegung Engagierte sind überzeugt, dass solche Gesellschaften, die einst überall existierten, auch wieder Gesellschaften der Zukunft sein können.
Warum? Fangen wir bei ihrem Verhältnis zur Natur an. Matriarchale Menschen sehen die Erde als eine Große Mutter, der sie dankbar sind. Sie sind gewiss, dass wir alle von ihr genährt werden, leiblich und auch seelisch. Sie würden nie wagen, Mutter Erde auszubeuten oder schlecht zu behandeln. Sie begreifen sich als Teil der Natur. Der Begriff „matriarchal“ bezeichnet nicht nur eine Gesellschaftsordnung, sondern auch eine Kultur, die Pflege des Lebens, des Lebendigen.
Wie halten Matriarchate es mit dem Verhältnis von Frau und Mann? Frauen und Männer respektieren und achten einander. Sie haben es nicht nötig, miteinander zu konkurrieren. Sie sehen sich als Kinder von Mutter Erde – und sie haben unterschiedliche Aufgaben. Diese beiden Gruppen: hier die Frauen und da die Männer – sind in der Lage, immer wieder in Balance zu kommen. Frauen und Mädchen werden besonders geachtet, weil sie Mütter werden können beziehungsweise potentielle Mütter sind – auch ohne zu gebären.
Das mütterliche Prinzip, für andere zu sorgen, zu nähren, zu schützen und unterstützen, bildet die symbolische Ordnung. Diese liegt der gesamten Gesellschaft zu Grunde. Männer lernen in diesen Gesellschaften von klein auf eine fürsorgliche Haltung. Dazu ein Zitat von den matriarchalen Minangkabao auf Sumatra:
„Derjenige Mann hat bei uns das höchste Ansehen, der wie eine gute Mutter handelt.“
Ein großer Vorteil der Matriarchatsbewegung der Gegenwart ist, dass sie bereits reale Vorbilder hat: nämlich diese matriarchalen Gesellschaften, die es Tausende Jahre (vor allem in der Jungsteinzeit) gab und von denen es immer noch einige gibt. Diese intelligente und komplexe Gesellschaftsform braucht nicht erst ausgedacht zu werden! Die Belege und Beweise hierzu haben ForscherInnen in aller Welt zusammengetragen. Im Jahr 1986 wurde bereits von Heide Göttner-Abendroth die Akademie HAGIA gegründet ein Ort für außeruniversitäre Forschung und Lehre.
Wir Frauen und Männer dieser Bewegung sind davon überzeugt, dass wir heute, mitten im noch herrschenden patriarchalen Kapitalismus, anfangen können mit matriarchalen Haltungen, Einrichtungen und Verhältnissen. Viele haben bereits mit der Veränderung ihres Lebens begonnen und auch mit der Gründung von neuen Einrichtungen. Vielleicht lässt es sich so vorstellen: Wir sind damit befasst, gewissermaßen parallel zu jedem der matriarchalen Merkmale, Projekte oder Initiativen in unserem Umfeld aufzubauen.
Einige von diesen, nach Analysen und Forschungen ins Leben gerufene Einrichtungen, möchte ich jetzt nennen: 2007 wurde der Verein MatriaVal gegründet und gleichzeitig eine Zeitschrift herausgegeben, die ebenso heißt. MATRIA steht für matriarchal, für mütterlich und VAL kommt von dem englischen Wort values = Werte. Die 20. Ausgabe ist in Arbeit. MATRIAVAL ist ein Verbindungsorgan für alle, denen daran gelegen ist, jetzt und hier matriarchale Werte zu verbreiten und einzufordern.
Die Akademie ALMA MATER, an der auch Frauen von MatriaVal mitwirken, besteht seit dem Jahr 2002. Die Leiterin Siegrun Laurent ist heute auch hier und unterstützt dieses Ereignis. An dieser Akademie geben wir matriarchales Wissen weiter, Wissen, das dem Leben dient. Die Akademie hat vor kurzem einen mobilen Zweig entwickelt und lehrt Matriarchatskunde vor Ort. Das heißt, auf Einladung werden in verschiedenen Regionen Basiskurse in matriarchalem Wissen und Können abgehalten. Es existiert inzwischen auch ein großer Fundus an didaktischem Material. Filme, Texte, Spiele, Tanzanleitungen, Liederbücher, Bücherlisten, Fibeln, Buttons, Anleitungen zur Arbeit mit dem matriarchalen Ur-Symbol Labyrinth, deren Vertreterin Li Shalima ebenfalls hier ist.
Des Weiteren gibt es in unserer Bewegung eine Initiative, die Land, das den Frauen geraubt wurde, wieder zurückholt, denn Land gehört in Frauenhand und soll damit wieder zu Gemeinschaftseigentum werden! In matriarchalen Gesellschaften sind Frauen Erbinnen von Haus, Hof und Land. Sie verwalten diesen Besitz für die Gemeinschaft. Unser entsprechendes Projekt heißt „Mutterland“. Dafür sammeln wir gerade Grundstücke aller Art.
Vor vier Jahren haben wir nach dem Vorbild des Rates der 13 indigenen Großmütter auch hier in Deutschland den „Rat der Großmütter“ gebildet, der im Jahre 2010 die „13 Machtworte“ auf dem Hambacher Schloss ausgerufen hat. Zu matriarchalen Gesellschaften gehört die Ehrung der Alten und das Einbeziehen ihrer Erfahrung und Weisheit.
Auf einem neu entwickelten Matri-Markt, der demnächst stattfinden wird, soll geübt werden, ohne Geld Bedürfnisse aller Art zu befriedigen. Die Ökonomie in matriarchalen Gesellschaften funktioniert wie ein einziger großer Haushalt. Die Frauen von Juchitán, Mexiko, machen uns vor, wie selbstbestimmtes, regionales Wirtschaften von statten gehen kann. Eine großartige Theorie, die über das Tauschprinzip hinausgeht, wurde von der Texanerin Genevieve Vaughan entwickelt. Ihr Ansatz wird die „Ökonomie des Schenkens“ genannt und kommt der Ökonomie, wie wir sie aus matriarchalen Gesellschaften kennen, sehr nahe.
Die Bewahrung und das Weitergeben unserer Geschichte sind uns wichtig. Wir haben dafür das Archiv MatriaWis in Göttingen aufgebaut. Dort werden neben Büchern, Filmen, Abbildungen, wissenschaftlichen Arbeiten, Zeugnisse aus den Matriarchaten selbst archiviert. In der Schweiz in in der alteingessesenen Kantonsbibliothek in St. Gallen gibt es seit 2011 das Matri-Archiv, die erste internationale Fachbibliothek für Matriarchatsforschung.
Zum matriarchalen Leben gehört, dass die Ursprungsfamilie im Großfamilienverband zusammenbleibt. Verwandtschaft bedeutet, über die Mutter verwandt zu sein. Diese Großfamilie lebt zusammen, wirtschaftet gemeinsam und sorgt füreinander. Erotische und sexuelle Beziehungen finden außerhalb dieser Gemeinschaft statt. Auch dies ist ein Modell, an dem wir uns hier orientieren. Sogenannte Matri-Clans sind im Entstehen. Zunächst sind sie auf Wahlverwandtschaft aufgebaut. Entscheidend für die Gründung ist, dass die Gründerin eine Frau, möglichst eine Mutter ist, um die herum der Matri-Clan aufgebaut wird. Doreen Doristochter hat mit zwei anderen Frauen zusammen einen solchen Clan gegründet, sie ist ebenfalls hier und war heute morgen schon mit uns auf der Demo.
Matriarchale Gemeinschaften werden durch Spiritualität zusammen gehalten. Das Allumfassende wird in der Natur verehrt. Die Göttin stellt sich in Bergen, Gewässern, Höhlen, alten Bäumen dar. In Vietnam zum Beispiel gibt es einen Berg, der als liegende Göttin angesehen wird, die Geschichte dazu ist, dass sie 99 Liebhaber hat. Die Freude unter uns Matriarchatsbewegten war groß als nach und nach ähnliches für unsere Gegenden in der unmittelbaren Nachbarschaft erforscht und ausgegraben wurde. Wir nannten diese Orte Godeorte, ein alter Name für die Göttin. Entlang dieser Orte haben wir den Godeweg entwickelt. Hier können wir Mutter Erde danken und hier können wir uns Kraft holen.
Gode ist auch ein alter Begriff für Beschützerin und Begleiterin. Übers ganze Land verteilt fanden sich Frauen, die eine solche Aufgabe als Beschützerin und Begleiterin übernehmen wollten. Sie bezeichnen sich als Goden und haben sich im Godenetzwerk zusammengeschlossen. Bei ihnen können sich alle melden, die in ihrer Region Kontakt zu matriarchalen Menschen, Veranstaltungen oder Wissen suchen.
Ich komme zum Ende und möchte Euch dieses Bild mit auf den Weg geben:
Das Vulvadreieck von MatriaVal! Unsere Vulva-Dreiecke flitzen nach links. Das ist, weil wir das Patriarchat rechts liegen lassen, liebe Gefährtinnen und Gefährten. Und dazu mein Wunsch: lasst uns alle gemeinschaftlich, für die bessere Welt einsetzen und den Aufbau einer neuen, fürsorglichen Gesellschaft vorantreiben.