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Rubrik erinnern

Ein Frauenbewegungslied aus der Schublade

Von Dorothee Markert

Beim Räumen fiel mir ein Text aus dem Jahr 1972 in die Hände. Ich habe ihn in der Zeit unserer ersten Consciousness Raising Gruppe geschrieben, wahrscheinlich kurz bevor wir ein Flugblatt verfassten, das dazu führte, dass sich in Freiburg eine feministische Frauengruppe gründete.

In diesem Jahr war ich noch begeistert bei der Demonstration am ersten Mai mitgelaufen und hatte mich über den langen Demonstrationszug mit den vielen roten Fahnen gefreut. Und ich hatte das Lied von Brecht und Eisler: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr …“ aus voller Kehle mitgesungen, auch den Refrain, der ja eigentlich gar nicht zu mir passte:

„Drum links, zwei, drei!
Drum links, zwei, drei!
Wo dein Platz, Genosse, ist!
Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront
Weil du auch ein Arbeiter bist.“

1972 war die linke Basisgruppe an unserer Hochschule, in der ich mitarbeitete, so stark, dass sie den ASTA, die politische Studierendenvertretung, stellte. Eine der sechs Frauen in der Basisgruppe schlug vor, dass wir Frauen uns in unserer Politisierungsarbeit gezielt auf die 70 Prozent Frauen unserer Hochschule beziehen sollten, damals ein ganz neuer Gedanke. Die Genossen fanden die Idee zwar gut, doch sie wollten uns diese Arbeit nicht allein machen lassen, da sie befürchteten, wir würden den „Nebenwiderspruch“ (zwischen den Geschlechtern) zum „Hauptwiderspruch“ erklären und den Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit, um den sich ja alles drehen sollte, aus den Augen verlieren. Vier von uns waren aber mit einer solchen Bevormundung nicht einverstanden, weshalb wir schließlich die Basisgruppe verlassen mussten.

Im ersten Buch der neuen Frauenbewegung, das ein Frankfurter Frauenkollektiv herausgegeben hatte – übersetzte Texte aus nordamerikanischen Frauenzeitungen – fanden wir eine Praxisanleitung zum Consciousness-Raising (Bewusstseinshebung). Meine Umdichtung des „Einheitsfrontliedes“ spiegelt das, was wir in den wenigen Monaten unserer Arbeit in der Frauen-Kleingruppe an Erkenntnissen gewonnen hatten. Der Text zeigt deutlich, wie wir uns aus unserer Bindung an die Linke herausarbeiteten und anfingen, selbstbewusst unseren eigenen Weg zu gehen. Er zeigt auch, dass wir damals überhaupt nicht männerfeindlich waren. Die Männerfeindlichkeit nahm in der Frauenbewegung erst in den achtziger Jahren überhand (was in diesem Internetforum schon Thema war), doch auch da war nur ein Teil der Bewegung davon infiziert. In jenen Kreisen wäre ich wohl für den Satz „Denn sonst haben wir die Männer ja ganz gern“ beschimpft oder geschnitten worden.

Hier ist das Lied, das leider nur in unserer Kleingruppe gesungen wurde. Um es weiter zu verbreiten, fehlte es uns, vor allem mir, an Selbstbewusstsein. Auch mussten die Wege erst geschaffen werden, auf denen das möglich gewesen wäre: Texte zu vervielfältigen war damals noch mühsam, für den Zugang zu Druckmöglichkeiten brauchte man „Beziehungen“, eine Frauenzeitung gab es in Deutschland noch nicht.

Und weil die Männer unterdrückt sind,
brauchen sie zum Treten uns Frau’n,
dagegen werden wir hilflos sein,
solang wir einander misstrau’n.
Drum, Frauen, lasst uns zusammenstehn,
gemeinsam sind wir stark,
wenn wir uns nicht wehren, bleiben wir
unterdrückt, bis wir liegen im Sarg.

Und weil die Männer stark sein müssen,
brauchen sie als Stütze uns Fraun’n,
ob wir dran zerbrechen und unglücklich sind,
darauf können sie dabei nicht schau’n.
Drum, Frauen, lasst uns zusammenstehn,
gemeinsam sind wir stark,
wenn wir uns nicht wehren, bleiben wir
unterdrückt, bis wir liegen im Sarg.

Und weil sie für andere schaffen müssen,
spielen sie zuhause den Chef,
kommandieren die Frauen-Dreckarbeit
mit Vorgesetztengekläff.
Drum, Frauen, lasst uns zusammenstehn,
vertreiben wir alle Herrn,
zuhause zuerst und dann überall,
denn sonst haben wir die Männer ja ganz gern.

Weil man uns sagt, dass wir ohne ihn ein Nichts sind,
klammern wir uns an dem Mann so fest,
verschlimmern noch selbst unsre Sklaverei,
damit er uns ja nicht verlässt.
Drum, Frauen, lasst uns zusammen sein,
wir wählen nicht, wie man uns gnädig rät,
zwischen Einsamkeit oder Sklaverei,
wenn eine Frau die andere versteht.

Auch wenn andre schlimmer unterdrückt sind,
ist’s unsre Lage, die uns erst angeht,
und wenn wir dann wissen, was Widerstand heißt,
geht weiter unsre Solidarität.
Drum, Frauen, lasst uns zusammenstehn,
riskieren wir keinen Betrug.
Wofür wir kämpfen, bestimmen wir selbst,
wir wissen, es ist wichtig genug.

Es freut mich, dass ich mit diesem Zeitdokument einige von den in letzter Zeit in den Medien hochgespielten Behauptungen über die Anfänge und Schwerpunkte des Feminismus widerlegen kann.

Die ersten Strophen zeigen, dass wir keine Täter-Opfer-Perspektive einnahmen, sondern realistischerweise auch unterdrückende Männer als Opfer sahen. Die Zuständigkeit für eine Veränderung lag jedoch eindeutig bei uns selbst, und wir betonten die Dringlichkeit, sofort damit anzufangen und nicht länger zu warten, zu hoffen und an andere zu appellieren.

In der dritten Strophe riefen wir dazu auf, die „Herren zu vertreiben“, wir wandten uns gegen hierarchische Macht und Herrschaft und betonten, dass wir die Männer gern haben, sie aber nicht länger als unsere Herren anerkennen wollen.

Die vierte Strophe freut mich besonders, denn sie enthält bereits die Wahrnehmung, dass stärkende Beziehungen unter Frauen fehlen und welche Folgen das hat. In der letzten Strophe zeigen wir schließlich die Entschlossenheit, von uns selbst und unseren Problemen ausgehend an einer Veränderung der Welt zu arbeiten und uns dabei von niemandem dreinreden zu lassen.

Ende der siebziger Jahre dichtete Angi Domdey das Lied „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ und brachte es mit ihrer Band „Schneewittchen“ auf die Bühne. Auch dieses Lied hat einen Bezug zu einem „männlichen“ Bewegungslied aus der damaligen Zeit, das ich ebenfalls sehr mag, dem Biermann-Song „Du, lass dich verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.“ Biermann hat erzählt, dieses Lied sei in der DDR von den Menschen in den Gefängnissen viel gesungen worden.

Angie Domdeys Lied fängt ähnlich an, und doch ganz anders. Eigentlich schade, dass es heute in der Frauenbewegung nicht mehr gesungen wird, denn ich finde, der Text ist immer noch aktuell. Auch hier geht es wie in meiner Umdichtung um Freiheit und um den eigenen Weg der Frauen, also um das Wesentliche am Feminismus:

Komm, lass dich nicht erweichen,
bleib hart an deinem Kern,
rutsch nicht in ihre Weichen,
treib dich nicht selbst dir fern.

Komm, lass dir nicht erzählen,
was du zu lassen hast,
du kannst doch selber wählen,
nur langsam, keine Hast.

Zieh die Schuhe aus,
die schon so lang dich drücken,
lieber barfuß lauf,
aber nicht auf ihren Krücken.

Dreh dich um und tanz,
dann könn’ sie dich nicht packen,
verscheuch sie ganz
mit deinem lauten Lachen.

Die größte Kraft
ist deine Phantasie,
wirf die Ketten weg
und schmeiß sie gegen die,
die mit ihrer Macht
deine Kräfte brechen wollen.

Unter dem Pflaster ja da liegt der Strand.
Komm, reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand.

Autorin: Dorothee Markert
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 02.01.2011
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