Forum für Philosophie und Politik
Von Viktoria Frysak
Ich begann mich für Olympe de Gouges zu interessieren, als ich im Jahr 2001 erstmals ihre “Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin” las. Sie hatte diesen Ergänzungsentwurf zur Menschenrechts-Deklaration im Jahr 1791 verfasst, um ihn der französischen Nationalversammlung zur Verabschiedung vorzulegen und damit die in der Revolution erkämpften politischen Bürgerrechte und persönlichen Freiheitsrechte der Männer für die Frauen zu reklamieren.
Faszinierender als der Rechtstext selbst wirkten auf mich allerdings die hinzugesetzten Begleittexte, die so persönlich und enthusiastisch formuliert vor mir das Bild einer interessanten, engagierten und mutigen Frau erstehen ließen, die mich in ihren Bann schlug. Auf der Suche nach mehr Information und Literatur stieß ich auf mehrere Biografien und biografische Beiträge, die allesamt in ihren Anmerkungsapparaten auf eine Fülle von Schriften verwiesen, die de Gouges verfasst und mit denen sie zu den sozialen, politischen und gesellschaftlichen Umständen ihrer Zeit Stellung genommen hatte. Ich brannte darauf zu lesen, was diese Frau im Laufe ihres kurzen Lebens zu Papier gebracht hatte: Romane, Schauspiele, politische Schriften.
Die Ernüchterung folgte auf den Fuß. Kaum ein Text war vollständig auf Deutsch erhältlich, und mühselige Recherchen ergaben, dass auch auf Französisch nur einige, teilweise inzwischen vergriffene Reprints und Textsammlungen erhältlich waren. Von da an beschäftigte mich die Frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass das Leben und Denken dieser Frau offenbar interessant genug erschienen waren, um über sie zu schreiben, ihr gewaltiges Oeuvre allerdings, verteilt auf eine Vielzahl französischer Archive und Bibliotheken, unaufgearbeitet und unbeachtet liegen geblieben war. Ich fragte mich, wie es möglich war, dass ihr Denken und Werk zwar mehrfach kommentiert und interpretiert worden war, dass man es allerdings nicht für Wert gehalten hatte, sie selbst zu Wort kommen zu lassen und ihre Schriften wiederzugeben und zu tradieren. Es schien mir, als habe sich das Schicksal, das ihr Leben begleitete, über die Jahrhunderte fortgesetzt.
Denn schon zu Lebzeiten war de Gouges Gegenstand wilder Spekulationen geworden. Ihre Lebensführung und Persönlichkeit wurden von Zeitgenossen beurteilt und kommentiert, ihre Thesen und Argumente, politische Ansichten und ideologischen Grundsätze jedoch kaum jemals ernsthaft thematisiert worden. Die oben erwähnte Frauenrechtserklärung war der Nationalversammlung nicht einmal eine Diskussion wert gewesen. Sie ist schlichtweg ignoriert worden. Aus dem Gefängnis schrieb de Gouges 1793 an das Revolutionstribunal: “Meine Stimme wird sich aus der Tiefe meines Grabes Gehör verschaffen.” Sollte sie sich geirrt haben?
Olympe de Gouges wurde als Marie Gouze im Jahr 1748 in der südfranzösischen Stadt Montauban geboren. Sie war aller Wahrscheinlichkeit nach die außereheliche Tochter des dem Adelsstand angehörenden Jean-Jacques Le Franc de Pompignan und litt lebenslang daran, dass er – ein gefeierter Literat – seine Vaterschaft nie anerkannte. Diese Willkür des patriarchalischen Gesellschaftssystems prägte ihr Leben genauso wie ihre Verheiratung an Louis-Yves Aubry im Alter von 17 Jahren. Sie brachte diesem Sohn Pariser Bürger und Küchenchef eines adeligen Haushalts in Montauban keinerlei Gefühle entgegen. Gut ein Jahr nach der Eheschließung brachte sie den gemeinsamen Sohn Pierre zur Welt. Louis-Yves Aubry scheint bald darauf gestorben zu sein, zumindest bezeichnete de Gouges sich wenige Jahre später als Witwe.
Zu diesem Zeitpunkt lebte sie bereits in Paris, wohin sie wahrscheinlich zu Beginn der 1770er Jahre übersiedelt war. Sie hatte ihren Ehenamen abgelegt und sich in Abwandlung ihres Mädchennamens Marie-Olympe de Gouges genannt. Den Anstoß zur Übersiedlung nach Paris hat vielleicht die Tatsache gegeben, dass ihre älteste Schwester Jeanne in der Hauptstadt lebte, es könnte aber auch Jacques Biétrix de Villars de Rozières bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben, ein begüterter adeliger Unternehmer im königlichen Heeresdienst, der in Paris de Gouges’ Lebensgefährte wurde. Er räumte ihr notariell eine Leibrente ein, die ihr ein gutbürgerliches Leben ermöglichte. Die Beziehung hielt fast zwanzig Jahre.
Dass Olympe de Gouges dennoch eine Wiederverheiratung verweigerte, alleine lebte, für freie Partnerwahl und offene Beziehungen eintrat, dass sie auch zugab, Geliebte zu haben, brachte ihr den Ruf einer femme galante ein, und sie wurde über diesen Weg der persönlichen Diffamierung später von ihren politischen und gesellschaftlichen Gegnern und missliebigen Zeitgenossen öffentlich verächtlich gemacht.
Das situierte Pariser Leben ermöglichte de Gouges den Zugang zu literarischen und Intellektuellenzirkeln. Außerdem fand sie Gefallen an den Privattheatern, die es in manchen reichen Haushalten gab. In dieser Zeit betrieb sie wahrscheinlich über einige Jahre hinweg ein eigenes Wandertheater, in dem auch ihr Sohn Pierre als Schauspieler brillierte. Sie dürfte zu diesem Zeitpunkt mit dem Verfassen eigener Stücke begonnen haben. Von ihrem großen dramatischen Oeuvre sind heute allerdings nur etwa zwölf Theaterstücke erhalten.
Erstmals öffentlich von sich reden machte de Gouges, als 1785 ein von ihr anonym eingereichtes Stück nach Fürsprache einer adeligen Gönnerin vom französischen Nationaltheater, der Comédie Française, angenommen wurde. Das Stück thematisierte die Sklaverei schwarzer Menschen und wurde trotz seiner ursprünglich gefälligen Annahme erst nach fünfjährigem Streit und öffentlichen Wortgefechten tatsächlich gespielt. Später stellte sich heraus, dass die französischen Kolonisten dem Theater im Fall der Aufführung mit der Kündigung ihrer Jahresabonnements gedroht hatten.
De Gouges’ Themen waren unbequem, als schreibende Frau war sie suspekt. Sie mischte sich in politische Diskussionen ein und stellte gängige gesellschaftliche Konventionen in Frage. Selten fand eines ihrer Stücke den Weg auf die Bühne, obwohl deren Druckversionen durchwegs gute Kritiken bekamen. Den größten Erfolg brachte ihr ein Stück ein, das sich gegen die Abschiebung junger Mädchen ins Kloster wandte. Ihre anderen Dramen, über vierzig Stück, und die beiden Romane blieben nahezu unbeachtet.
Als politische Denkerin wurde Olympe de Gouges bekannt, als sie sich 1788 mit zwei Schriften an die Öffentlichkeit wandte. Frankreich stand vor dem Ausbruch der Revolution, und die Not im Volk war groß. In ihrem “Brief an das Volk” und den “Patriotischen Anmerkungen” rief sie zu Besonnenheit auf, warnte vor der Gefahr eines Bürgerkriegs, wies auf das große Elend der Bevölkerung und die Pflicht zum Beistand hin und schlug eine “patriotische Kasse” vor, in die jeder Bürger seinen Mitteln und Möglichkeiten entsprechend einzahlen sollten, um die Staatsschulden zu begleichen, insbesondere natürlich die Angehörigen der reichen Stände. Beide Texte wurden vom Journal général de France auf der ersten Seite abgedruckt.
Es sind heute über 70 politische Schriften von de Gouges erhalten, die sie ab diesem Zeitpunkt verfasste – Pamphlete, Forderungskataloge, offene Briefe, Wandplakate oder Gesuche. Die im deutschen Sprachraum berühmteste Schrift ist die 1791 verfasste “Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin”, in der sie Freiheits- und Eigentumsrechte sowie politische Rechte und das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen formulierte. Weniger bekannt ist, dass sie sich auch für die Abschaffung der Sklaverei engagierte, für Sozialmaßnahmen und Fürsorgeeinrichtungen einsetzte, und dass sie stets zu Vernunft und Gewaltfreiheit aufrief. Ihr philosophisches Vorbild war Jean Jacques Rousseau, und sie argumentierte ihre politische Meinung oft in Anlehnung an seine Schriften, deren profunde Kennerin sie war. Gemeinwohl, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität prägten ihre Argumentationen und Vorschläge zur Befriedung der politischen Lage während der Revolution. Sie blieb in ihrer Meinung unabhängig, wendete sich gegen Despotismus und Anarchismus, gegen blinde Parteilichkeit, Demagogie und Populismus. Aus ihren Schriften spricht eine vorausschauende Aufklärerin und weitsichtige Humanistin. Den Rat eines Freundes, mit ihrer politischen Meinung zurückhaltender zu sein, schlug de Gouges in den Wind: “Selbstbewusst und furchtlos wie Jean-Jacques war ich erst recht damit beschäftigt.” Ihr emphatischer Mut und ihr kompromissloses Festhalten am Recht auf freie Meinungsäußerung brachten sie im November 1793 auf das Schafott.
Der Politikwissenschafterin Hannelore Schröder ist die erste deutsche Übersetzung der “Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin” zu verdanken, die mittlerweile verstorbenen Romanistin Gisela Thiele-Knobloch machte sich mit einigen Publikationen und weiterer Forschungsarbeit zu Leben und Werk von Olympe de Gouges verdient. Dem französischen Historiker Olivier Blanc schulden wir aktuellste Forschungsergebnisse und akribische Feinarbeit auf der Suche nach den erhaltenen Bestandteilen ihres Oeuvres. Weitere Forschungen, die Aufarbeitung ihres Nachlasses und die Urbarmachung ihrer Schriften für die Forschung stehen an.
Meine in Arbeit befindliche Dissertation zu “Denken und Werk von Olympe de Gouges” soll einen Beitrag in dieser Richtung leisten. Außerdem wird im November 2009 in Wien die Tagung “Olympe de Gouges, un animal amphibie” stattfinden. Der Call for Papers sowie die Tagungsinformation sind im Internet abrufbar. Mit dieser Arbeit sollen der Forschung um das Werk von Olympe de Gouges neue Impulse gegeben und Forscherinnen und Forscher aller Disziplinen zu Austausch und Zusammenarbeit angeregt werden.
Inzwischen haben wir 2020! eigentlich bin ich durch die Literatur einer sehr jungen Italienerin auf Olympe de Gouges aufmerksam geworden. (Cinzia Giorgio)
In den heutigen Nachrichten 5.Juni 2020 – berichtet man von den Morden und Diskriminierungen der Frauen in Mexico, tägliches Leid und was passiert gerade in Amerika!
Das Sklavenzeitalter scheint noch lange nicht vorbei und all die Bemühungen, großartigen Ideen von Olympe de Gouges sind aktueller den je! Wieviele Rechte haben wir Frauen inzwischen erreicht, hier müssen wir unsere Meinung nicht mehr mit dem Tod bezahlen. Ich appelliere an alle Frauen die in der Öffentlichkeit eine Stimme haben und die sich mit dem Thema im Lehrberuf beschäftigen können, nur Mut und viel Erfolg in den Fußstapfen von Olympe! Monika Roebbelen
Es ist schon viel passiert…
Ich bin begeistert, dass es für junge Frauen heute selbstverständlich ist, eine Dissertation über Olympe de Gouges zu verfassen. Bravo! Ebenso freut mich, dass es eine Tagung über sie und ihr Werk in 2009 geben wird. Wer hätte das gedacht… Ich jedenfalls nicht, als ich Anfang der 90er Jahre zusammen mit zwei Kolleginnen (Gudrun Gründken und Marlies Mrotzek) mit den Porträts für den 1. Band der Philosophinnen (von der Antike bis zur Aufklärung) beschäftigt war. Dabei stellte sich zwar heraus, dass es eine Vielzahl von Philosophinnen zu allen Zeiten gegeben hat, ihre Werke aber kaum rezipiert und nur selten übersetzt waren und es teilweise bis heute noch nicht sind. Seither hat sich einiges zum Positiven entwickelt: das Verschweigen und Verdrängen dieser Tradition ist endlich aufgebrochen – zahlreiche Texte wurden seither übersetzt und Frauen wie z.B. Olympe de Gouges werden zum 200. Todestag in den Feuilletons der großen Zeitungen erwähnt! Das dies noch zu wenig ist, ist mir klar. Aber solange wir für diese Forschungen nicht genauso viele Ressourcen zur Verfügung haben wie für die Erforschung der “bedeutenden großen Philosophen” (Institute, Lehrstühle etc.) wird es eben noch länger dauern. Die eigentliche Forschungsarbeit steht deshalb bei fast allen Philosophinnen noch immer aus. Und solange es private “Eigeninitiave” der Übersetzerin ist, z.B. Charlotte Perkins Gilman oder Mary Astell erstmals ins deutsche zu übersetzen (die Englischlehrerin Petra Altschuh-Riederer übersetzt in ihren Sommerferien!), wird es noch eine Weile brauchen, bis wir gleichgezogen haben. Aber wir arbeiten dran! In diesem Sinne liebe Grüße Marit Rullmann