Forum für Philosophie und Politik
Von Antje Schrupp
Frankfurt Katharinenkirche am Aschermittwoch: Beim Gottesdienst zum Auftakt der diesjährigen Fastenaktion der evangelischen Kirche in Deutschland predigt der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Das Thema ist “Sich entscheiden” (getreu dem Motto der diesjährigen Aktion) und Schirrmacher nimmt sich in seiner Rede das Zaudern vor. Vor lauter Abwägen nicht zum Entschluss zu kommen, das Nichts-Tun wählen, immer erstmal Abwarten – das sei eine typisch deutsche Haltung. Aber in solchen kollektiven Zauder-Zeiten wie den heutigen gebe es auch Hoffnung, und zwar auf die mutige Tat des Einzelnen (als Beispiel führte er den Piloten an, der in New York ein Passagierflugzeug auf dem Hudson-River notlandete).
Die Predigt hatte alle Attribute von “Männlichkeit”, die man sich nur denken kann: Nicht nur stand Schirrmacher selbst in extrem männlicher Rednerhaltung an der Kanzel, die Arme durchgedrückt und links und rechts aufgestützt. Er hat auch in seinem Rundgang durch die Kulturgeschichte ausschließlich Männer zitiert. Lediglich als Gegenbeispiel wählte er weibliches: eine Frau, die zögert, morgens auf die Straße zu gehen, weil sie sich über alle möglichen Eventualitäten den Kopf zerbricht. Und schließlich gibt es wohl kein männlicheres Heldenbild als das des mutigen Piloten. Da bräuchte es gar nicht mehr den Subtext, der dieses Bild noch verstärkt: Das Wissen darum, dass Schirrmacher die deutsche Geistes- und Medienwelt für verweiblicht hält und das bedenklich findet. Oder das Wissen darum, dass sich sein Lob auf Entschlossenheit und Tatkraft angesichts politisch-kollektiver Zauderei gegen eine Regierung richtet, die zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands von einer Frau geführt wird. (vgl. dazu auch Andrea Günters Artikel “Politik und Zeiten der Ratlosigkeit“)
Nun ist das alles für Schirrmacher nichts Besonderes und inhaltlich enthielt seine Rede eigentlich nichts wirklich Schlimmes oder Falsches (was allerdings auch daran lag, dass sie keinen großen Tiefgang hatte, die Beispiele kamen mir alle irgendwie zusammengegoogelt vor, aber das ist eine andere Sache). Was mich nachdenklich machte, war vielmehr das Setting, in dem diese Rede sich abspielte: Ein Gottesdienst in einer evangelischen Kirche, also einer Organisation, die sehr auf die Gleichberechtigung der Geschlechter achtet – das ist schließlich eines ihrer “Alleinstellungsmerkmale” gegen die anderen, Frauen diskriminierenden orthodoxen oder römisch-katholischen Kirchen. Das kam auch im Gottesdienst selbst zum Ausdruck: Gebet und Segen von einer Pröpstin im Talar, die Liturgie von einem Pfarrer, der eigens und inklusiv betont, dass Jesus zu seinen “Jüngerinnen und Jüngern” gesprochen habe.
Allerdings hatte dieser “geschlechter-egalitäre” Rahmen eben genau die Wirkung, dass die “Männlichkeit” des Schirrmacher-Auftritts nicht mehr thematisierbar war und als solche nicht weiter auffiel. Es wäre interessant gewesen, hinterher unter dem (etwa halbe-halbe zusammengesetzten) Publikum eine Umfrage zu machen, wie die Predigt gefallen hat. Ich wette, dass sie den Männern deutlich besser gefallen hat als den Frauen. Jedenfalls war ich sehr verwundert, dass ein mir bekannter eher “linker” Pfarrer, der in meiner Nähe saß, halblaut kommentierte, das sei “Spitze” gewesen.
Das erinnerte mich an eine Szene im hessischen Wahlkampf: Wir schauten uns in einer Gruppe von Frauen und Männern gemeinsam das TV-Duell zwischen Roland Koch und Andrea Ypsilanti an. Roland Koch ist ja ebenfalls ein Politiker mit einer großen Aura von “Männlichkeit”. Jovial und souverän geht er mit Medien um, lässt nie einen Zweifel an seiner “starken Hand” und weiß auf alles eine Antwort (Zaudern käme ihm nie in den Sinn). Ebenso also auch in diesem Fernsehduell, obwohl Andrea Ypsilanti sich besser geschlagen hat, als viele ihr vorher zugetraut hatten. Nun waren alle, die sich da vor unserem Fernseher versammelt hatten, inhaltlich und politisch ganz klar gegen Roland Koch. Und doch war bei vielen (aber nicht allen) Männern deutliche Bewunderung für diesen “Kerl” zu spüren. “Genial” würde er die Fragen der Reporter parieren, “wirklich souverän” noch die bescheuertsten Thesen rüberbringen. Ich war sprachlos. Denn bei mir war es genau andersherum: Nicht das, was Koch inhaltlich sagte, verärgerte mich so – jedem seine Meinung -, sondern gerade der Gestus, die Jovialität, die betonte Souveränität, mit der er auftrat. Eben diese überhebliche Schröder-Fischer-Koch- und-wie-sie-alle-heißen-Haltung.
Inzwischen bin ich der Auffassung, dass dieser männliche “Gestus” das eigentlich Entscheidende im Bezug auf die Geschlechterdifferenz in der Politik ist und nicht so sehr der Inhalt dessen, was gesagt wird: Er begegnet bei “Rechten” wie Schirrmacher und Koch ganz genauso wie bei “Linken”, wovon ich mich im vergangenen Oktober bei einem Grundeinkommens-Kongress in Berlin überzeugt habe. Ich fühle mich “kulturell” den meisten Frauen viel näher, selbst wenn wir unterschiedliche Auffassungen haben, als den meisten Männern, mit denen mich gemeinsame Auffassungen verbinden. Und insgeheim sehen das auch alle Beteiligten so: Einmal war ich auf einem Podium mit drei Männern und noch einer Frau. Die Frau und ich waren ganz unterschiedlicher Meinung, während einer der Männer praktisch dasselbe sagte wie ich – nur sagte er es eben ganz anders und sie sagte ihres so ähnlich wie ich. Als die Diskussion herum war, stellten sich die drei Männer sofort zusammen und diskutierten weiter, die Frau und ich blieben etwas ratlos abseits stehen. Wir spielten keine Rolle in der Debatte – die Männer hatten ja untereinander die verschiedenen inhaltlichen Rollen längst besetzt. Es fehlte ihnen nichts.
Das Problem daran ist: In einem Kontext, in dem alle der festen Überzeugung sind, die Gleichberechtigung der Geschlechter im Prinzip verwirklicht zu haben, kann sich der männliche Habitus umso ungestörter wieder verbreiten, weil er nicht benennbar und nicht kritisierbar ist. Frauen, die sich dem nicht fügen, die mit anderem Gestus und einer anderen Grundhaltung Politik machen, werden abgestraft, wie es Andrea Ypsilanti passiert ist – und zwar mit einer eindeutig frauenfeindlichen Grundargumentation, die heute eben funktioniert, ohne dass das Wort “Frau” dabei überhaupt nur ausgesprochen werden muss (vgl. dazu auch Andrea Günters Analyse).
Oder anders gesagt: Die männliche Selbstbehauptung und Definitionsmacht über das, was “normal” ist, funktioniert in einer sich als “gleichberechtigt” verstehenden Gesellschaft umso besser, weil man so tun kann, als sei sie gar nicht vorhanden. Nichts ist beweisbar, alles ist immer nur Zufall. Wo es keine Frauen und Männer mehr gibt, sondern nur noch “normale” Menschen, sind Leute wie Roland Koch oder Frank Schirrmacher quasi nur “zufällig” Männer und Leute wie Andrea Ypsilanti nur “zufällig” eine Frau (nur trampelige Blätter wie die Bildzeitung sprechen das tatsächlich noch aus). Und man will doch niemandem eine bestimmte Verhaltensweise nur aufgrund des Geschlechts unterschieben oder zuschreiben? Die Folge: Das Männliche bleibt von außen unkritisierbar, wer etwas anderes will, muss zunächst zum selben werden (also ebenso jovial und eloquent im Umgang mit den Medien zum Beispiel). Und das Weibliche selbst wird gar nicht mehr thematisiert, weil es als abgeschafft gilt, und es kann sich daher auch nicht solidarisieren – oder wenn, dann nur über den Opferstatus der Frauen.
Vielleicht hat mich der Gottesdienst neulich abends auch nur deshalb so frustriert, weil ich ohnehin einen schlechten Tag hatte. Mittags hatte ich von den sich häufenden Frauenmorden in Tschetschenien gelesen: Frauen werden dort offensichtlich reihenweise exekutiert, weil sie sich nicht an das halten, was die Männer für “moralisch” und “gute Tradition” ausgeben.
Es besteht in meiner Sicht ein enger Zusammenhang zwischen beidem. Schließlich war die Frauenunterdrückung in “anderen Kulturen” im Westen schon immer ein Argument, um die eigenen Frauen in die Schranken zu weisen nach dem Motto: Seht mal, im Vergleich zu denen geht es euch doch gut! Und wer wollte das bestreiten!
Diese beide Weisen der Vermännlichung der heutigen Welt – die konkrete Unterdrückung wenn nicht gar Ausrottung von Frauen auf der einen Seite und ihre quasi “theoretische” Abschaffung auf der anderen – sind zwei Seiten derselben Medaille. Es handelt sich keineswegs um den Gegensatz, den die westliche “Moderne” hier gerne sieht. Sondern hinter beidem steht eine tiefe Respektlosigkeit gegen weibliche Subjektivität, nämlich gegen das, was Frauen an Anderem wollen und einzubringen haben. Deshalb laufen auch die westlichen Hinweise auf “Menschenrechte” in diesem Zusammenhang so ins Leere (und dass sie ins Leere laufen, dürfte mittlerweile jedem, der nur ab und zu die Nachrichten liest, klar sein): Solange die westlichen Kulturen das Töten von Frauen lediglich aus neutralen Gerechtigkeits- und Gleichheitsgründen ablehnen – man darf Frauen nicht töten, weil man auch Männer nicht töten darf – aber ansonsten selbst nicht wissen, wofür Frauen, die weibliche Differenz, überhaupt gut sein soll, bleibt ihr Engagement schal und ist wenig überzeugend. Auch die westlichen Männer scheinen, ebenso wie die Männer in Tschetschenien, gar nicht zu verstehen, dass etwas Entscheidendes fehlt, wenn keine Frauen da sind oder man sie mundtot macht. Deshalb können sie immer noch so tun, als wäre ihr Bekenntnis zur Gleichberechtigung so etwas wie eine gute Tat für die Frauen (für die wir entsprechend dankbar zu sein haben, denn wir werden ja nicht wie die Tschetscheninnen erschossen, wenn wir etwas “falsch” machen).
Natürlich hat das westliche Modell für uns Frauen einen entscheidenden und extrem wichtigen Vorteil, den ich keineswegs geringschätze: Es ist im Westen nicht lebensgefährlich für uns. Und wir haben zumindest theoretisch die Möglichkeit, uns einzumischen und etwas zu tun, und viele Frauen versuchen das auch. Aber es werden, soweit ich es beurteilen kann, immer weniger. Das war nämlich der zweite Grund, warum ich bei jenem Gottesdienstbesuch einen schlechten Tag hatte.
Nachmittags hatte ich erfahren, dass eine meiner Kolleginnen, die ich sehr schätze, ihre Stelle gekündigt hat. Sie hat zwar keinen neuen Job, aber sie konnte jenen “männlichen Gestus”, der sich auch in unserer Institution immer breiter macht, nicht mehr ertragen. Ich kann sie gut verstehen, aber durch ihren resignierten Weggang wird die Situation für uns Zurückbleibende natürlich nicht besser.
Solche Erlebnisse habe ich in letzter Zeit massenweise – Geschichten von Frauen, die angesichts der Vermännlichung der Welt resignieren, sich in ihre “weiblichen” Nischen, die sie sich geschaffen haben, zurückziehen und die Welt da draußen sich selbst überlassen.
Nur ein Beispiel noch: Kürzlich war ich bei einem Workshop von Frauenprojekten, also Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt, Frauenhäusern und so weiter. Diese Institutionen sind bekanntlich von der Frauenbewegung geschaffen und – gegen männlichen Widerstand übrigens – erkämpft worden. Sie haben inzwischen jahrzehntelange Erfahrung und leisten so unbestritten gute Arbeit für die Allgemeinheit, dass sie heute fast vollständig aus Staatsgeldern finanziert werden. Allerdings erzählten diese Frauen davon, wie trotzdem die weibliche Autorität in der öffentlichen Debatte zu diesem Thema systematisch und gerade mit Hinweis auf die “Gleichstellung der Geschlechter” demontiert wird. Männliche “Genderexperten” (die aus dem Boden sprießen, seit der Staat für dieses “Thema” viel Geld locker macht) schreiben Studien und Gutachten, in denen sie die “Unwissenschaftlichkeit” und “Einseitigkeit” feministischer Beratungsansätze beklagen und ihnen ihren eigenen “neutralen, wissenschaftlich objektiven” (sprich: männlichen) Blick entgegenstellen. Auch das ist natürlich nichts Neues, neu war für mich aber die Resignation, mit der die eigentlich politisch sehr engagierten Frauen darauf inzwischen reagieren: Sie haben keine Lust, sich erneut und immer wieder öffentlich zu solchen Dingen zu äußern, Stellungnahmen zu schreiben, sich zu rechtfertigen, ihren Ansatz zu begründen. Sie begnügen sich damit, sozusagen “im Verborgenen” weiterhin gute Arbeit zu leisten – und können das im Übrigen auch, weil nämlich “insgeheim” die Qualität ihrer Arbeit auch den Männern durchaus bekannt ist (Frauenhäuser tragen zur Befriedung der Gesellschaft bei). Außerdem haben sie Unterstützerinnen in den Parlamenten und Gremien. Um ihre Finanzierung müssen sie sich grundsätzlich keine Sorgen machen. Aber es geht nicht nur ums Geld, es geht um die öffentliche Anerkennung weiblicher Autorität und Differenz!
Ich weiß nicht, wie dieser Situation zu begegnen wäre. Die Resignation der Frauen ist verständlich und ihr Gefühl, es habe “doch alles keinen Zweck” nachvollziehbar. Was passiert, wenn sie mal aus der Reihe tanzen und Ambitionen auf Veränderungen, ist ja mit dem “Fall Ypsilanti” spätestens allen Frauen klargemacht worden (ein anderes Beispiel für diese männliche Bestrafung weiblicher Dissidenz war im Übrigen auch schon die unsägliche Debatte um die “Bibel in gerechter Sprache” – auch hier fand eine ganz ungenierte Demontage weiblicher Autorität unter dem Deckmantel der “Neutralität” und “Objektivität” statt).
Moralische Appelle an mehr “Staatsbürgerinnenverantwortung” liegen mir nicht. Und so beobachte ich den Rückzug der Frauen etwas ratlos. Ich beobachte nur, wie die “Vermännlichung” unserer Gesellschaft voranschreitet, wie die Männer es genießen, sich jetzt wieder so richtig männlich ausleben zu können, und zwar heute eben ganz ohne schlechtes Gewissen, da das schlechte Gewissen ja schließlich bei den Tschetschenen und ihresgleichen gut aufgehoben ist. Und Frauen können nichts sagen, weil sie ja prinzipiell überall “zugelassen” sind und selbst dran schuld, wenn sie ihre Chancen nicht nutzen (wahrscheinlich zaudern sie eben immer zu viel). Ein paar Frauen sind schließlich immer dabei, um die Männlichkeit einer Veranstaltung zu verschleiern, wie die Pröpstin in dem Aschermittwochsgottesdienst.
Aber was Frauen zu sagen haben, ist nicht wichtig. Wenn sich keine Frauen finden, machen eben Männer den Job – so what? Wie oft habe ich das Argument, es hätten sich keine Frauen gefunden, als Rechtfertigung für männerdominierte Gremien oder Tagungen gehört! Und genau das ist die gemeinsame Grundlage für die Vermännlichung der Welt, ob in Tschetschenien oder in Deutschland: Solange westliche Männer Frauen nur aus Gerechtigkeitsgründen zuhören und nicht aus echtem Interesse daran, was Frauen an möglicherweise anderem zu sagen haben, kommen wir nicht weiter. Denn das führt dazu, dass Frauen sich entweder anpassen oder aber resigniert zurückziehen, und beides hat zur Folge, dass das Weibliche verschwindet. Vielleicht nicht unbedingt einmal zum Schaden der Frauen selbst, die im Geheimen, Verborgenen, vermeintlich “privaten” ganz sicher viele interessante Betätigungsfelder finden. Aber zum Schaden der Allgemeinheit.
Verstehen-Vorurteile
Hi Antje, ich habe deinen Artikel ganz und ganz langsam gelesen. Du wirst sicher nicht verwundert sein, dass ich einen großen Teil deiner Thesen nicht nachvollziehen kann und auch nicht verstehe. Vielleicht liegt das Problem genau da, wir (Männer) verstehen es einfach nicht (im Sinne von “Naturgesetz). Es ist nach meiner Meinung auch zuviel durchsetzt von pauschalierenden Vorurteilen und nicht beweisbaren (deinen) Ansichten.
“Was passiert, wenn sie mal aus der Reihe tanzen und Ambitionen auf Veränderungen, ist ja mit dem “Fall Ypsilanti” spätestens allen Frauen klargemacht worden” Sie ist nicht gescheitert weil sie eine Frau ist. Sie ist wegen geschlechtsneutralen Charakterschwächen gescheitert. Daher hat ihr auch die Unterstützung ihrer Geschlechtsgenossinnen gefehlt.